Suche

Abo

Ins UK exportieren? Einfacher als gedacht – trotz Brexit

Die Schweiz und das Vereinigte Königreich haben seit Anfang Jahr ein neues Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Konformitätsbewertungen. Damit müssen in gewissen Produktbereichen – wie vor dem Brexit – Schweizer und britische Hersteller ihre Produkte für beide Märkte nur einmal prüfen lassen.

Ins UK exportieren? Einfacher als gedacht – trotz Brexit

Das Vereinigte Königreich gehört zu den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz. Der Brexit soll nichts daran ändern. (Bild: Keystone)

Produkte müssen, bevor sie auf den Markt gebracht werden können, auf ihre Konformität mit den gesetzlichen Vorschriften hin überprüft werden. Je nach Sicherheitsrisiko des Produkts kann der Hersteller diese Prüfung selbst vornehmen, von einer privaten Konformitätsbewertungsstelle vornehmen lassen – oder er benötigt eine staatliche Zulassung, beispielsweise bei Arzneimitteln.

Grenzüberschreitend reduzieren Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, genannt MRA (Mutual Recognition Agreement), die Anzahl an Prüfungen im In- und Ausland für die vom Abkommen abgedeckten Produktsektoren auf ein Minimum. Das MRA der Schweiz mit der EU etwa umfasst 20 Produktsektoren und basiert auf harmonisierten Rechtsgrundlagen. Es erleichtert der Schweiz die Teilnahme am EU-Binnenmarkt. Hersteller aus der EU respektive der Schweiz müssen ihre Produkte nur einmal auf ihre Konformität hin überprüfen lassen und können sie auf beiden Märkten in Verkehr bringen.

Mind the gap

Vor dem Brexit war das Vereinigte Königreich von Grossbritannien und Nordirland (UK) Vertragspartei dieses Abkommens mit der EU. Um die Auswirkungen des Brexit auf den Handel abzufedern, schlossen die Schweiz und das UK im Rahmen der «Mind the gap»-Strategie unter dem Handelsabkommen ein erstes MRA ab. Dieses beruht wie jenes mit der EU auf harmonisierten Rechtsgrundlagen.

Das britische und das Schweizer respektive das EU-Recht sind heute allerdings nicht mehr harmonisiert, da das UK seit dem Brexit regulatorisch wieder autonom ist. Daher umfasst dieses MRA nur drei der vormals zwanzig vertraglich abgedeckten Produktbereiche, weil nur in diesen drei Bereichen die Vorschriften international harmonisiert sind. Es handelt sich dabei um Kraftfahrzeuge, Gute Laborpraxis (GLP) und Inspektion der Guten Herstellungspraxis (GMP) für Arzneimittel und Chargenzertifizierung.

Das UK gehört zu den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz. Deshalb suchten die beiden Partner nach einer umfassenderen Lösung, um die früheren Handelsbeziehungen so weit wie möglich vertraglich wiederherzustellen. Eine Ausweitung (Triangulierung) des MRA der Schweiz mit der EU, wie dies etwa mit den EWR-Efta-Staaten gemacht wird, war dabei nicht möglich, bezweckte das UK doch mit dem Brexit unter anderem, die regulatorische Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Dennoch konnte im vergangenen November ein zweites Abkommen über die Anerkennung von Konformitätsbewertungen unterzeichnet werden. Dieses deckt nun alle Produktbereiche ab, in welchen die Schweiz eigenständige Schweizer Konformitätskennzeichen kennt: Messgeräte, ortsbewegliche Druckgeräte, Telekommunikationsgeräte, Elektromagnetische Verträglichkeit und Lärmemissionen von im Freien genutzten Maschinen.

Ein zweites MRA

Bei diesem zweiten Abkommen handelt es sich um ein sogenannt traditionelles MRA, das nicht auf harmonisierten Rechtsvorschriften basiert. «Traditionell» bedeutet, dass die heimischen Konformitätsbewertungsstellen (KBS) befugt sind, zu prüfen, ob die Produkte, die für den Markt des Vertragspartners bestimmt sind, dessen Vorschriften genügen. Ein Schweizer beziehungsweise ein britischer Exporteur muss zwar somit für dasselbe Produkt weiterhin zwei Bewertungen erstellen lassen – die aber dank dem neusten MRA von ein und derselben Stelle erbracht werden können. Das spart Zeit, Kosten und verhindert sprachliche Missverständnisse. Ohne ein solches Abkommen müsste der Hersteller sein Produkt zwingend im jeweils anderen Staat nochmals prüfen lassen.

Das jüngste Abkommen der Schweiz mit dem UK über Konformitätsbewertungen ist aber gleichzeitig ambitionierter als die üblichen traditionellen MRAs. Das war möglich, weil heute die technischen Vorschriften zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich de facto noch immer weitgehend harmonisiert sind.

Behörden müssen eng zusammenarbeiten

Diese einzigartige Ausgangslage wurde genutzt für eine enge Zusammenarbeit: Gemeinsam identifizieren die zuständigen Behörden beider Staaten bei Gesetzesänderungen mögliche regulatorische Unterschiede. Die entsprechende Liste wird den Herstellern und den KBS zur Verfügung gestellt. Somit kann die Schweizer Industrie de facto auf der Grundlage der Schweizer Gesetzgebung arbeiten und die Produkte unter Berücksichtigung der ermittelten Unterschiede auf den britischen Markt bringen. Das funktioniert aber nur, solange diese Unterschiede angemessen bleiben. Deshalb wurden zusätzliche Mechanismen eingebaut, um auch grösser werdenden Rechtsunterschieden Rechnung tragen zu können. Sollten die Unterschiede zu gross werden, müssen die Parteien deren Auswirkungen auf das Funktionieren des Abkommens prüfen und nötigenfalls einzelne Kapitel oder gar das ganze Abkommen aussetzen.

In einem globalen Umfeld, das vermehrt marktabschottende Tendenzen aufweist, ist das vorliegende ambitionierte traditionelle MRA ein Versuch, einen offenen, hürdenfreien und geregelten Handel sowie Transparenz und Dialog zu fördern – und aus der einzigartigen Ausgangslage den grösstmöglichen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Damit es auch mittelfristig funktioniert, sind zwei Voraussetzungen nötig. Einerseits müssen die zuständigen Behörden der Schweiz und des UK weiterhin eng zusammenarbeiten. Andererseits ist das Gelingen davon abhängig, ob sich die technischen Vorschriften der Vertragsparteien auch künftig ähnlich entwickeln. Insbesondere bei letzterem Punkt gibt es seit Neustem Fragezeichen.

UK prüft seine Rechtsvorschriften

Mitte Februar stimmte das britische Unterhaus dem «Retained EU Law Bill» zu (die Abstimmung im britischen Oberhaus steht noch aus). Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Tausende vom sekundären EU-Recht abgeleitete Rechtsvorschriften, die beim Brexit praktisch unverändert in britisches Recht übergeführt worden sind, bis Ende 2023 von der britischen Verwaltung überprüft werden müssen. Wenn sie bis dahin nicht überprüft, geändert oder erneuert worden sind, laufen sie automatisch aus. Auch drei Jahre nach dem Brexit muss der Handel somit mit erheblichen Rechtsunsicherheiten klarkommen. Der Entscheid des britischen Parlaments in dieser Sache wird wegweisend sein – nicht nur für die britische Handelspolitik, sondern auch für die Weiterführung des neusten Abkommens der Schweiz mit dem Inselstaat.

Zitiervorschlag: Rebekka Holenstein (2023). Ins UK exportieren? Einfacher als gedacht – trotz Brexit. Die Volkswirtschaft, 08. Mai.