Das Weltwirtschaftsforum: Im Zentrum der Macht
Umweltaktivistin Greta Thunberg trifft Christine Lagarde, die Ex-Chefin des Internationalen Währungsfonds, im Januar 2019 am Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort kommen jährlich Regierungschefs, Vertreter des Privatsektors und der Zivilgesellschaft zusammen. (Bild: Keystone)
Wo treffen sich die weltweit wichtigsten Führungsleute aus Politik und Wirtschaft? So ziemlich überall: sei es in Privaträumen bei einem Spiel an der vergangenen Fussball-Weltmeisterschaft in Doha oder am Formel-1-Rennen beim Grossen Preis von Monaco. Auch zahlreiche privat organisierte Anlässe bringen gezielt Hunderte oder gar Tausende hochrangiger Führungskräfte zusammen. Darunter die Treffen der Clinton Global Initiative in New York, die Global Conferences des Milken Institute in Los Angeles oder die Fortune Global Forums mit wechselnden Austragungsorten. Dort können sich die Gäste nicht nur vernetzen, sondern diskutieren auch Themen von globaler Bedeutung.
Neben den Privaten organisieren auch einige Länder solche Treffen mit Führungskräften aus Wirtschaft und Politik. Etwa das Boao Forum, eine hochrangige Veranstaltung, initiiert von rund dreissig Ländern aus dem asiatisch-pazifischen Raum, darunter insbesondere China. Oder das von Russland organisierte Internationale Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg (Spief). Offiziell möchte das Boao Forum «positive Energie bündeln, um die Entwicklung Asiens und der Welt zu sichern». Das Spief gilt laut Organisatoren als weltweite Plattform, wo sich Mitglieder aus der Geschäftswelt treffen und die wichtigsten wirtschaftlichen Fragen erörtern können, welche Russland, die Schwellenländer und die weltweite Gemeinschaft beschäftigen.
Nicht unerwähnt bleiben soll schliesslich die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Neben den Staatschefs der UNO-Mitgliedsstaaten nehmen dort auch zahlreiche führende Persönlichkeiten aus der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft teil.
Exklusive Treffen
Abgesehen von der Tatsache, dass hier sorgfältig ausgewählte Personen zusammenkommen, haben diese grossen Konferenzen noch weitere Gemeinsamkeiten, etwa die Diskriminierung bestimmter Teilnehmender. Am Boao-Forum hatten nur knapp zwanzig von insgesamt zweitausend Teilnehmenden im Jahr 2023 die Gelegenheit, sich mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping auszutauschen. Die Teilnahme kostet bis zu über zehntausend Dollar, dazu kommen Spesen für Reise und Unterkunft. Wer mehr zahlt, erhält häufig bessere Networking-Möglichkeiten, beispielsweise Zugang zu exklusiven Räumen oder Empfängen.
Die wichtigsten Gäste – darunter die Staats- und Regierungschefs – müssen für diese Konferenzen meist nichts bezahlen. Da diese «Super-VIPs» den Veranstaltungen ein gewisses Prestige verleihen, erhalten sie oft eine Vorzugsbehandlung, auch wenn sie bisher nicht durch herausragende Leistungen geglänzt haben oder gar im Privatjet anreisen, obwohl die Klimakrise an diesen internationalen Treffen ein Dauerthema ist. Die Präsidenten grosser Länder sind fast immer Ehrengäste und werden von den anderen Teilnehmenden mit kritischen Fragen verschont. Und wenn sie an einer Podiumsdiskussion mitmachen, fassen sie die Moderatoren meist mit Samthandschuhen an, sobald es um heikle Themen wie Korruption oder mangelnde Sicherheit geht.
Eine einzigartige Anziehungskraft
Das 1971 gegründete Weltwirtschaftsforum (WEF) nimmt unter all diesen exklusiven Anlässen eine Sonderstellung ein. Denn es zieht viel mehr führende Persönlichkeiten an als jeder andere vergleichbare internationale Event: Jedes Jahr reisen rund fünfzig Staats- und Regierungschefs sowie siebzig CEOs der umsatzstärksten US-Unternehmen gemäss der «Fortune 100»-Liste nach Davos. Klaus Schwab, Gründer und geschäftsführender Vorsitzender des WEF, nennt dies die «Convening Power» – also die Anziehungskraft – des Forums (siehe Tabelle).
Teilnehmende des öffentlichen Lebens am Weltwirtschaftsforum (2023)
Region oder Organisation | Anzahl Teilnehmende |
Europa | 124 |
Asien | 60 |
Nord- und Südamerika | 51 |
Afrika | 45 |
Internationale Organisationen | 43 |
Naher Osten | 39 |
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten | 6 |
Ozeanien | 1 |
Quelle: Weltwirtschaftsforum: List of public figures, 10. Januar 2023 / Die Volkswirtschaft
Aufgrund dieser starken Anziehungskraft ist man unweigerlich fasziniert von der Arbeit dieser Genfer Stiftung, die seit 2018 von der Schweiz offiziell als «internationale Organisation für öffentlich-private Zusammenarbeit» bezeichnet wird. Doch wie ist es dem WEF gelungen, diesen äusserst seltenen Status zu erlangen, der bisher nur dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zuteilwurde? Und wie hat es das Forum geschafft, so attraktiv für wichtige Führungskräfte aus allen Bereichen zu werden?
Sechs Gründe können dies erklären. Erstens: Das WEF entschied sich von Anfang an für einen sogenannten Multistakeholder-Governance-Ansatz, um besser auf die multidisziplinären globalen Herausforderungen reagieren zu können. Aus diesem Grund kommen am WEF nicht nur Regierungschefs und Führungskräfte aus der Privatwirtschaft zusammen, sondern auch zahlreiche Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft: Vertreterinnen von Religionsgemeinschaften und Gewerkschaften, von Umweltschutzbewegungen oder jungen Generationen sowie die Medien.
Finanziert von Privatunternehmen
Zweitens wird das WEF in erster Linie durch globale Unternehmen finanziert. Insbesondere durch die hundert sogenannten strategischen Partner, die Jahresbeiträge von bis zu 600’000 Franken plus die Teilnahmegebühr pro Anlass bezahlen. Diese Partner stammen aus vielen unterschiedlichen Branchen und aus allen Regionen der Welt. Mit ABB, Adecco, Credit Suisse, Kudelski, Nestlé, Novartis, Swiss Re, Trafigura, UBS, Zurich-Versicherung sowie dem jüngst fusionierten Chemiekonzern DSM-Firmenich sind Schweizer Unternehmen allerdings stark übervertreten.
Dank der Finanzierung von Privatunternehmen können deren Führungskräfte hochrangige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik treffen und sich so in die grossen Zukunftsdebatten einbringen. Gleichzeitig kann das WEF aufgrund dieser grosszügigen Unterstützung zahlreiche Regierungsmitglieder und Personen aus der Zivilgesellschaft einladen.
Drittens wählt das WEF die Teilnehmenden nach strengen Kriterien aus und bevorzugt dabei aktuell amtierende Politiker gegenüber ehemaligen Grössen. Natürlich strebt das WEF auch eine ausgewogene Repräsentation der Weltregionen und der gesellschaftlichen Facetten an. Doch bisher waren Frauen und bestimmte Länder untervertreten.
Am Tisch mit den Leadern von morgen
Viertens bemüht sich das WEF darum, künftige Führungspersönlichkeiten zu identifizieren und einzubeziehen. Jedes Jahr werden rund hundert «Young Global Leaders» und über tausend «Global Shapers» ausgewählt. Darunter war einst beispielsweise auch Angela Merkel, deren Potenzial dem WEF schon lange vor ihrer Rolle als deutsche Bundeskanzlerin aufgefallen war.
Fünftens ist das WEF sehr entwicklungsfähig. Einerseits wird fast jede Person, die ausserhalb des WEF erfolgreich ist, irgendwann eingeladen. So auch die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg, die 2020 nach Davos kam. Andererseits hat sich das Tätigkeitsfeld des WEF deutlich vergrössert: Das Forum organisierte ursprünglich nur internationale Anlässe, kümmert sich heute aber auch um Communitys wie etwa die «Technologiepioniere» oder die «sozialen Unternehmer». Zudem veröffentlicht es Studien, zum Arbeitsmarkt («The Future of Jobs Report») oder zu den grossen globalen Risiken der Gegenwart und der Zukunft («Global Risks Report»). Oft sind diese Initiativen stark sozial oder ökologisch motiviert, wie etwa die «First Movers Coalition», eine öffentlich-private Partnerschaft, welche die Energiewende beschleunigen möchte, um bis 2050 CO2-neutral zu werden.
Der sechste und letzte Grund für den Erfolg des WEF ist, dass der Gründer Klaus Schwab sehr rasch begriffen hat, wie gross der Einfluss der Medien bei der Verstärkung der «Convening Power» seiner Stiftung ist. Denn: Je öfter die grossen internationalen Medien über das Davoser Forum berichten, desto grösser wird sein Einfluss und desto einfacher wird es, die wichtigen Entscheidungsträger aus aller Welt herbeizulocken. Alle diese Gründe haben dazu beigetragen, dass das WEF sehr schnell zu einem Zentrum der Macht geworden ist.
Zitiervorschlag: Monnier, Philippe D. (2023). Das Weltwirtschaftsforum: Im Zentrum der Macht. Die Volkswirtschaft, 27. Juni.
Der Nutzen des Weltwirtschaftsforums (WEF) für die Schweiz wird oft unterschätzt. Er übersteigt die Einnahmen durch die Hotelübernachtungen der rund dreitausend offiziellen Teilnehmenden und ihrer Entourage bei Weitem. Konkret erhöht das WEF die Sichtbarkeit der Schweiz und stärkt ihre Rolle als weltweite Gesprächsplattform. So war es wohl kein Zufall, dass Genf zum Austragungsort wichtiger globaler Gipfeltreffen auserkoren wurde, wie zum Beispiel desjenigen zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten 2021. Zudem ist die Schweiz an den Jahrestreffen des WEF überdurchschnittlich gut vertreten: Von den dreitausend anwesenden Gästen kommen fast zweihundert Personen aus der Schweiz. Und zu den rund hundert strategischen Partnern des WEF zählen knapp ein Dutzend Schweizer Konzerne. Am WEF nutzen die Bundesräte nicht nur die Gelegenheit, heikle Fragen zu diskutieren (beispielsweise das EU-Dossier), sondern profitieren auch von einem privilegierten Kontakt zu internationalen Entscheidungsträgern und Schweizer Unternehmenschefs. 2019 gehörten die CEOs von ABB, Nestlé und Novartis zu den insgesamt fünfzehn Unternehmenschefs, die an ein privates Dinner mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump eingeladen waren.