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Wie viel Staat braucht es?

Wie viel Staat braucht es?

Baustelle auf der Autobahn A1 zwischen Birrfeld und Lenzburg AG. (Bild: Keystone)
Herr Scheidegger, wie viel Staat braucht die Schweiz?

So wichtig die Frage ist: Sie lässt sich nicht mit einer Zahl beantworten. Es gibt keine optimale Staatsgrösse. Ein Indikator für den Umfang des staatlichen Einflusses ist allerdings die Staatsquote. Sie misst den Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandprodukt. In der Schweiz beträgt sie rund 32 Prozent.

Ist das viel?

Schweden und Deutschland haben einen Wert von etwa 50 Prozent, in Entwicklungs- und Schwellenländern liegt er deutlich unter 30 Prozent.

Wo ist der Staat gefragt?

Grundsätzlich sollte er sich auf jene Leistungen beschränken, bei denen allein privatwirtschaftliche Angebote zu einer Unterversorgung führen: etwa bei der Sicherheit, der Infrastruktur, der sozialen Absicherung oder beim Umweltschutz. Wichtig ist, dass die staatlichen Aufgaben effizient erbracht werden. Eine übermässige Staatsgrösse hemmt den wirtschaftlichen Wohlstand aufgrund steigender Abgabelasten.

 

Es gibt keine optimale Staatsgrösse.

 

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Im internationalen Vergleich haben wir eine gute staatliche Versorgung bei Bildung, Infrastruktur, Soziales und Gesundheit. Die Kosten sind zwar verhältnismässig hoch, gleichzeitig schätzen wir als Bürgerinnen und Bürger aber die hohe Qualität. Vorsicht ist derzeit jedoch zunehmend bei Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Tätigkeit geboten. Denn erstens nimmt diese auch über ihren verlängerten Arm halbstaatlicher Unternehmen wie der Post, der SBB oder der kantonalen Versorgungsunternehmen, zu. Dadurch droht eine schleichende Erweiterung staatlicher Tätigkeit in Geschäftsaktivitäten, welche auch ohne staatliches Zutun gute private Leistungen hervorbringen, wie der Wettbewerb bei den privaten Postdienstleistern zeigt. Zweitens geht die wachsende staatliche Aktivität mit einem kräftigen Wachstum der staatlichen Beschäftigung einher. Das könnte den Arbeitskräftemangel in der Privatwirtschaft verschärfen.

Wie liberal ist die Schweiz noch?

Liberale Grundlagen wie Wettbewerb, das Leistungsprinzip oder die Eigenverantwortung sind in einer sozialen Marktwirtschaft sehr wichtig. Entscheidend ist, ob Liberalismus als Mittel zum Zweck oder als Ziel an sich betrachtet wird.

Warum ist diese Frage zentral?

Als Mittel zum Zweck ist in der Schweiz die Wirtschaftsfreiheit als Voraussetzung für die Entfaltung der wirtschaftlichen Tätigkeit vergleichsweise gut erhalten. Als liberales Ziel gilt der Schutz der Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern. Staatspolitische Grundlagen wie die (halb)direkte Demokratie oder der Föderalismus sichern weitgehende Partizipationsmöglichkeiten, wie man sie in anderen Ländern nicht kennt.

Interview: «Die Volkswirtschaft»

Zitiervorschlag: Die Volkswirtschaft / La Vie économique (2023). Wie viel Staat braucht es. Die Volkswirtschaft, 12. Juni.

Interviewpartner

Eric Scheidegger ist Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Bern