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Künstliche Intelligenz fordert auch höher qualifizierte Fachkräfte heraus

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt rasant. Maschinen führen immer komplexere Arbeitsschritte aus. Von den Veränderungen am Arbeitsplatz sind zunehmend auch höher qualifizierte Fachkräfte betroffen.
Als das Sparbüchlein noch zum Bankschalter getragen wurde … Längst hat KI die Arbeitswelt verändert – Jobprofile werden anspruchsvoller, aber auch abwechslungsreicher. (Bild: Keystone)

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Erwerbsleben sind umwälzend: Dank immer leistungsfähigeren Computersystemen, fortschreitender Robotik und anderer technologischer Entwicklungen können Maschinen immer mehr Arbeitsschritte übernehmen. In einer früheren Phase der Digitalisierung ging es vor allem um die Automatisierung von repetitiven manuellen Tätigkeiten. Heute werden zunehmend auch komplexe kognitive Tätigkeiten automatisierbar. Am Beispiel des interaktiven Sprachroboters Chat-GPT zeigt sich eindrücklich, wie sehr sich die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) künftig auf unsere Arbeitswelt auswirken könnten.

Der Einsatz von KI dürfte zwar nur in seltenen Fällen dazu führen, dass ein Beruf komplett verschwindet. Sicher ist aber, dass sich die Tätigkeits- und Anforderungsprofile in vielen Berufen verändern werden. In unserer Studie haben wir im Auftrag der zehn Deutschschweizer Kantone Aargau, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Glarus, Graubünden, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau, Zug und Zürich untersucht, welche Berufe besonders stark von der Digitalisierung betroffen sind. Dabei haben wir uns auf Berufsfelder konzentriert, die durch einen hohen Anteil an Routinearbeit auffallen oder viele Anwendungsmöglichkeiten für künstliche Intelligenz bieten. Drei Berufsfelder weisen dabei ein besonders hohes Potenzial auf, durch KI transformiert zu werden: Büro- und Sekretariatskräfte, Verkaufskräfte im Detailhandel sowie Marketing- und Vertriebsspezialisten. Mittels Experteninterviews haben wir einen vertieften Einblick in die Veränderungen der Tätigkeiten und Kompetenzanforderungen in diesen Berufen gewonnen (siehe Abbildung).

Der Einfluss von künstlicher Intelligenz in verschiedenen Branchen

 

Anmerkung: Betroffenheit der Berufe durch die Digitalisierung. Einordnung der Berufe basierend auf der Routineintensität der Tätigkeiten (horizontale Achse) und dem Anwendungspotenzial von künstlicher Intelligenz (vertikale Achse). Eingefärbt sind Berufe mit einem besonders hohen Potenzial für die Anwendung von künstlicher Intelligenz sowie eine Auswahl von Berufen, die bislang nicht so stark im Fokus von KI-Anwendungen stehen. Die Achsen markieren die durchschnittlichen Ausprägungen über alle Berufe hinweg. Die Kreisgrösse entspricht der Anzahl beim RAV gemeldeter Stellensuchender.

Quelle: Seco, Avam, Abmeldekohorten 2020/2021, Amosa-Gebiet / Die Volkswirtschaft

 

An Schnittstelle zwischen Kundschaft und Technologie

Büro- und Sekretariatsarbeiten sind häufig geprägt durch Routinearbeiten – von der Postbearbeitung über die Organisation von Büromaterial bis hin zur Datenablage und Aktenverwaltung. Bereits in der Vergangenheit wurden hier viele Schritte automatisiert oder teilweise an die Kundschaft ausgelagert. So wurde zum Beispiel im Bankenbereich der Zahlungsverkehr weitgehend automatisiert – viele Bankkunden erledigen heute Zahlungsaufträge selbstständig über E-Banking.

Künstliche Intelligenz bietet auch in weiteren kaufmännischen Berufen zahlreiche Automatisierungsmöglichkeiten – von der automatisierten Vorselektion von Bewerbungsdossiers in Human Resources über die Nutzung von KI-gestützten Übersetzungstools bis hin zum vollautomatischen Chatbot, der einfachere Kundenanfragen autonom beantwortet und seinen Wissensschatz über maschinelles Lernen stetig ausbaut. Viele Bürokräfte werden in Zukunft weniger Sachbearbeitung leisten und stattdessen vermehrt die Kundschaft bei der Anwendung neuer digitaler Tools und Dienstleistungen unterstützen. Zugleich wird im Backoffice das «Exception Handling», also das Reagieren auf unerwartete Ereignisse im Computerprogramm, immer wichtiger. Im Zuge dieser Entwicklungen werden die Tätigkeiten von Bürokräften abwechslungsreicher, aber auch komplexer. Gefordert sind neben einer hohen digitalen Affinität auch gute Auftritts- und Kommunikationskompetenzen sowie eine hohe Selbstorganisation und Eigenverantwortung.

Beratung als Schlüsselkompetenz im Detailhandel

Besonders sichtbar sind die Veränderungen durch die Digitalisierung im Detailhandel. Das Konsumverhalten verlagert sich zunehmend in den Onlinebereich. Heute wandern Produkte mit nur wenigen Klicks in den Warenkorb. KI-gestützte Algorithmen machen personalisierte Produktempfehlungen, und im Bedarfsfall bietet ein Chatbot den nötigen Kundensupport. Das sukzessive Verschwinden grosser Warenhausketten – wie des Traditionshauses Jelmoli per Ende 2024 – ist symptomatisch für diese Entwicklung. Ein gutes Verständnis digitaler Anwendungen wird also zunehmend auch im Detailhandel zentral. Die berufliche Grundbildung zum Detailhandelsangestellten EFZ hat dieser Entwicklung bereits Rechnung getragen, indem die Spezialisierung «Betreuen von Onlineshops» eingeführt worden ist.

Aber auch auf der Verkaufsfläche sind neue Kompetenzen gefragt: Verkaufskräfte müssen ihre gut vorinformierte Kundschaft kompetent und empathisch beraten können. Zu ihren Aufgaben gehört es, Einkaufserlebnisse zu schaffen und für ein angenehmes Ambiente zu sorgen. Hingegen fallen repetitive Tätigkeiten wie das Kassieren aufgrund der Verbreitung von Self-Check-out-Systemen immer mehr weg. Die Jobprofile im Detailhandel werden dadurch vielfältiger und attraktiver, aber auch anspruchsvoller und teilweise stressiger.

Hohe Dynamik im Marketing

Im Marketing folgen neue Trends immer rascher aufeinander. Tätigkeitsprofile von Marketingfachleuten dürften sich durch den verbreiteten Einsatz von KI stark verändern. Unternehmen setzen bereits heute KI-Algorithmen ein, um Muster im Kaufverhalten zu erkennen, Kundenbedürfnisse besser zu verstehen oder ihre Kundschaft individuell und persönlich zu adressieren. Digitales Marketing setzt auf neue Kanäle, Tools und Messmethoden. Gerade für Fachleute, die bisher vor allem im analogen Marketing gearbeitet haben, ist die Überwindung dieser Kluft zwischen dem analogen und dem digitalen Marketing eine grosse Herausforderung. Eine Befragung von Stellensuchenden in den Amosa-Kantonen hat aufgezeigt, dass viele Marketingfachleute im Bereich der digitalen Kompetenzen Defizite aufweisen – dies vor allem aufgrund der sich rasch verändernden beruflichen Anforderungen.

Aufgewertete Jobprofile und höhere Anforderungen

Die Digitalisierung ist Chance und Herausforderung zugleich. Indem repetitive und mühsame Arbeitsschritte wegfallen, werden viele Jobprofile aufgewertet. Berufliche Tätigkeiten werden abwechslungsreicher und interaktiver, aber gleichzeitig auch komplexer und anspruchsvoller. Die Studie von Amosa zeigt auf, dass alle gefordert sind, wenn es gilt, die digitale Transformation zu bewältigen – vom Sachbearbeiter bis zur Marketingspezialistin. Gerade auch höher qualifizierte Personen müssen einen grossen Lernwillen und eine hohe Bereitschaft zeigen, Veränderungen anzunehmen. Nur so lässt sich den sich rasant wandelnden beruflichen Anforderungen gerecht werden.

Zitiervorschlag: Katharina Degen, Miriam Hofstetter (2023). Künstliche Intelligenz fordert auch höher qualifizierte Fachkräfte heraus. Die Volkswirtschaft, 13. Juni.