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Stahlzölle: Die WTO gibt der Schweiz erneut recht

Die von den USA im Jahr 2018 eingeführten Zölle auf Stahl und Aluminium verstossen gegen internationales Handelsrecht, entscheidet die WTO. Die USA haben dagegen Berufung eingelegt. Die Entscheidung bleibt somit hängig.
Rohblock aus Stahl: Gemäss der Welthandelsorganisation verstossen die zusätzlichen US-Zölle auf Stahl und Aluminium gegen das Gatt. Die USA haben dagegen Berufung eingelegt. (Bild: Keystone)

Im US-Präsidentschaftswahlkampf von 2016 versprach Donald Trump: «Es wird amerikanischer Stahl sein, der die bröckelnden Brücken des Landes stärkt und die Wolkenkratzer in den Himmel ragen lässt.»[1] Die USA waren damals der grösste Stahlimporteur der Welt. Ihre Eigenproduktion aber verringerte sich von 115 Millionen Tonnen im Jahr 2000 auf 113 Millionen Tonnen im Jahr 2016. China hingegen produzierte gleich viel Stahl wie die restliche Welt zusammen (2016: 1193 Millionen Tonnen).[2] Nachdem zwei Untersuchungen[3] zum Schluss gekommen waren, dass die Stahl- und Aluminiumimporte die nationale Sicherheit der USA bedrohen, verhängte Präsident Trump im April 2018 auf diese Importe zusätzliche Zölle in Höhe von 25 beziehungsweise 10 Prozent.

Ein Déjà-vu

Für die Schweiz hatten diese Massnahmen etwas von einem Déjà-vu. Präsident George W. Bush hatte bereits Anfang der 2000er-Jahre während der amerikanischen Stahlkrise Schutzmassnahmen ergriffen, indem er auf Stahlimporte je nach Produkt Zölle zwischen 8 und 30 Prozent erhob oder ein Zollkontingent einführte.[4] Die Schweiz und sieben weitere Länder fochten diese Massnahmen vor der Welthandelsorganisation (WTO) an. Am 4. Dezember 2003, wenige Tage vor der Verabschiedung des Berichts des WTO-Berufungsgremiums, in dem die US-Massnahmen für rechtswidrig erklärt wurden, zog Präsident Bush die Massnahmen zurück. Er musste befürchten, dass die Gewinner des Verfahrens US-Exporte im Wert von über zwei Milliarden Dollar mit zusätzlichen Zöllen belegen würden.

Gestützt auf diesen Erfolg, war es für die Schweiz selbstverständlich, sich der Koalition der WTO-Mitglieder Kanada, China, Indien, Mexiko, Norwegen, Russland, Türkiye und Europäische Union (EU) anzuschliessen und im Frühling 2018 die neuen US-amerikanischen Stahl- und Aluminiumzölle anzufechten – da diese nicht nur die Schweizer Exporte in die USA beschränkten, sondern darüber hinaus indirekt andere WTO-Mitgliedsstaaten veranlassten, ihre Importe zu begrenzen. Die EU zum Beispiel erliess im Sommer 2018 eigene Schutzmassnahmen in Form von Einfuhrkontingenten. Laut den USA hatte die WTO keine Kompetenz, in dieser Angelegenheit zu prüfen, da die US-Massnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit ergriffen wurden. Mit dieser Argumentation würde, sollte ihr stattgegeben werden, das multilaterale Handelssystem als Ganzes gefährdet. Wie die acht genannten Länder leitete auch die Schweiz ein WTO-Streitbeilegungsverfahren gegen diese Massnahmen ein und beantragte, dass ein aus drei Schiedsrichtern bestehendes Panel über ihre WTO-Konformität entscheiden solle.

Komplexes Verfahren

Das von den neun Ländern bei der WTO angestrengte Verfahren unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den vergangenen (siehe Abbildung).

Erstens liefen die von der Schweiz und den anderen acht Ländern eingeleiteten Verfahren entgegen der üblichen Praxis und dem Wunsch der Beschwerdeführer formal getrennt, aber parallel ab, da sich die USA gegen eine Zusammenlegung der Verfahren gewehrt hatten. Obwohl die neun Panels mit denselben Schiedsrichtern besetzt waren und die gleichen Massnahmen prüften, erfolgten die Anhörungen separat und nach jeweils eigenen Zeitplänen.

Zweitens beteiligten sich an jedem Verfahren rund dreissig WTO-Mitgliedsländer als Drittparteien. So konnten sie detailliert über die Argumente der Parteien informiert werden und in den verschiedenen Verfahrensphasen Stellungnahmen abgeben.

Drittens wurde das Verfahren ausgesprochen transparent geführt, da die Schweiz und die USA unter anderem vereinbart hatten, ihre erste Panelsitzung öffentlich zu machen. Nachdem sich das Verfahren aufgrund der Covid-19-Pandemie verzögert hatte, konnte es dank virtueller Mittel doch noch abgeschlossen werden.

WTO-Streitbeilegungsverfahren

Quelle: Eigene Darstellung der Autorinnen / Die Volkswirtschaft

 

WTO-Panel gibt Schweiz recht

Analog zu den anderen Beschwerdeführern machte die Schweiz in erster Linie einen Verstoss gegen das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) von 1994 geltend. Die USA argumentierten, dass es sich bei den Massnahmen um eine zulässige Ausnahme vom Gatt zum Schutz der nationalen Sicherheit handle. Zudem sei keine internationale Gerichtsbarkeit befugt, nationale Sicherheitsentscheidungen zu hinterfragen, weshalb das Panel dem Antrag der Schweiz nicht stattgeben dürfe. Die Schweiz wies die Begründung der USA entschieden zurück. Sie betonte, dass WTO-Mitglieder unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen wie Kriegssituationen oder stark angespannten internationalen Beziehungen zwar berechtigt seien, solche Sicherheitsmassnahmen zu treffen, hier aber kein solcher Fall vorliege.

Der am 9. Dezember 2022 von der WTO veröffentlichte Schlussbericht[5]kam wenig überraschend zum Schluss, dass die US-Massnahmen gegen das Gatt verstiessen und nicht durch die von den USA geltend gemachte Sicherheitsausnahme zu rechtfertigen seien. Das Panel gab der Schweiz eindeutig recht, ebenso wie Norwegen, China und Türkiye. Kanada, Mexiko und die EU haben ihre Verfahren nach einer Einigung mit den USA ausgesetzt, während die von Russland und Indien eingeleiteten Verfahren derzeit noch laufen. Der Bericht des Panels stellt das Recht der WTO-Mitglieder, Massnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit zu treffen, nicht infrage. Er bestätigt, dass sie diesbezüglich über einen grossen Handlungsspielraum verfügen, solange sie bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, deren Einhaltung von einem WTO-Panel überprüft werden kann.

Kein Schlussentscheid für die Schweiz

Am 26. Januar 2023 wiesen die USA die Schlussfolgerungen des Panels öffentlich zurück und legten Berufung gegen die Entscheidung ein. Das WTO-Berufungsgremium kann aber schon seit Dezember 2019 keine Berufungen mehr bearbeiten, da die USA die Ernennung seiner Mitglieder blockieren und damit das Berufungsgremium blockiert ist. Mit andern Worten: Die angefochtenen Berichte können vom Streitbeilegungsgremium nicht verabschiedet werden und bleiben hängig. Erst wenn das Berufungsgremium wieder voll besetzt ist, können die USA eine erneute Prüfung der Fälle erwirken. Für die Schweiz bedeutet dieser Stillstand, dass sie von der WTO kein grünes Licht erhalten wird, den amerikanischen Zöllen mit Vergeltungsmassnahmen zu begegnen, solange die Überprüfung dieser Fälle zumindest formal noch nicht abgeschlossen ist. Mit ihrer Blockade bringen die USA die Schweiz nicht nur um eine rechtskräftige Entscheidung, sie schwächen auch das Streitbeilegungssystem der WTO, mit dem bereits Hunderte von Auseinandersetzungen geschlichtet werden konnten. Dadurch gefährden sie das gesamte regelbasierte internationale Handelssystem.

Die USA halten an ihren Massnahmen fest

2003 hatten die USA ihre Niederlage zur Kenntnis genommen und die unrechtmässigen Massnahmen nach Abschluss des Verfahrens sofort zurückgezogen. Heute ist der Ton ein anderer. Am gleichen Tag, an dem der Panelbericht zu den Stahl- und Aluminiumzöllen veröffentlicht wurde, erklärte der Sprecher des US-Handelsbeauftragten (USTR), Adam Hodge, unmissverständlich: «Die Biden-Regierung hat sich verpflichtet, die nationale Sicherheit der USA zu wahren, indem sie die langfristige Lebensfähigkeit unserer Stahl- und Aluminiumindustrie sicherstellt. Wir denken nicht daran, die Zölle […] aufgrund dieser Streitigkeiten aufzuheben.»[6]

Das gegenwärtige Umfeld ist von Handelsspannungen zwischen den USA und China, der Zunahme protektionistischer Massnahmen, akuten Sicherheitsbedenken, der Blockade des WTO-Berufungsgremiums und der Suche nach «Deals» mit einer starken politischen Dimension geprägt. Für ein regelbasiertes multilaterales Handelssystem und rechtsgestützte, faire und vorhersehbare Lösungen einzustehen, gleicht einer Fahrt durch unruhige Gewässer, bleibt aber für die Schweiz wichtiger denn je.

 

 

 

  1. Siehe Rede von Donald Trump, Alumisource, Monessen, PA, 28. Juni 2016. []
  2. Siehe Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). []
  3. Siehe US Department of Commerce (2018a) und (2018b). []
  4. Proklamation n° 7529 vom 5. März 2002 zur Erleichterung der Anpassung an den Wettbewerb durch Einfuhren bestimmter Stahlerzeugnisse. []
  5. Siehe Welthandelsorganisation (2022). []
  6. Siehe Erklärung des Sprechers des US-Handelsbeauftragten, Adam Hodge, 9. Dezember 2022. []

Literaturverzeichnis
  • US Department of Commerce (2018a). The Effects of Imports of Steel on National Security, US Department of Commerce. 11. Januar.
  • US Department of Commerce (2018b). Effects of Imports of Aluminum on National Security, US Department of Commerce. 17. Januar.
  • Welthandelsorganisation (2022). United States – Certain Measures on Steel and Aluminium Products. Report of the Panel, 9. Dezember.

Bibliographie
  • US Department of Commerce (2018a). The Effects of Imports of Steel on National Security, US Department of Commerce. 11. Januar.
  • US Department of Commerce (2018b). Effects of Imports of Aluminum on National Security, US Department of Commerce. 17. Januar.
  • Welthandelsorganisation (2022). United States – Certain Measures on Steel and Aluminium Products. Report of the Panel, 9. Dezember.

Zitiervorschlag: Nelly Chakowski, Valérie Engammare, Céline Todeschini-Marthe (2023). Stahlzölle: Die WTO gibt der Schweiz erneut recht. Die Volkswirtschaft, 06. Juni.