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Tote Pferde gehören begraben

Roger Ambort, Geschäftsführer Gruppe Grosser Stromkunden, Naters

Standpunkt

Ein Monopolist gewinnt das Rennen, selbst wenn er ein totes Pferd reitet. Diese unsägliche Maxime wird jährlich landauf, landab an den meisten Generalversammlungen der staatsnahen Energieversorgungsunternehmen und Verteilnetzbetreiber bestätigt und als Erfolgsformel gewürdigt – never change a winning horse.

Gefördert und bekräftigt wird dieses missinterpretierte Prinzip des toten Pferdes auch in weiten Teilen der Politik und der Verwaltung. Beispiele für das Protegieren von staatsnahen Energieversorgern und Netzbetreibern gibt es zuhauf: die hohen Marktprämien zur Entlastung bei tiefen Strommarktpreisen, der Rettungsschirm zur Absicherung bei hohen Strommarktpreisen, die attraktive WACC-Verzinsung für das angeblich horrende Marktrisiko oder die unzähligen wohlwollenden Regulierungen zur Sicherung der hohen Markteintrittsbarrieren sowie der Gewinnmaximierung. Ausserdem: das risikolose Modell bei der Berechnung der Netzkosten, der teilliberalisierte Strommarkt mit Umsatzgarantie aus der Grundversorgung oder die rechtlich unscharfe Trennung zwischen Stromnetz und Energiehandel, welche durch Quersubventionierungen und Datensharing einen unlauteren Wettbewerbsvorteil zur Folge hat.

Kurz: Die Strombranche hat einen ausgeprägt schwachen Veränderungswillen bei gleichzeitig tiefem Veränderungsdruck.

 

Die immer dringendere Sanierung kann nur durch mehr Markt und weniger Staatsgläubigkeit gelingen.

 

Was bedeutet das nun für die Stromkunden, die das Ganze finanzieren müssen? Sie sind die Leidtragenden dieses maroden und überteuerten Systems, das kontinuierlich die Wettbewerbsfähigkeit des Werkplatzes Schweiz schmälert.

Die immer dringendere Sanierung kann nur durch mehr Markt und weniger Staatsgläubigkeit gelingen. Die kostenintensiven Fehlleistungen sind zu stoppen. Während die Nachfrageseite – die Konsumenten – sich dieser Herkulesaufgabe stellen wollen, verharrt die Angebotsseite in ihrer Sisyphusarbeit und begnügt sich damit, dass der Stein rollt – wohin, ist ihnen egal.

Aus Sicht der Stromkunden braucht es erstens: eine vollständige Marktöffnung, eine scharfe Trennung zwischen Verteilnetz und Stromhandel sowie ein Stromabkommen mit der EU. Zweitens soll das gesamte Verteilnetz auf allen Spannungsebenen als Service-public-Leistung per Konzession an ein paar wenige Verteilnetzbetreiber schweizweit vergeben werden. Niemand braucht 623 Verteilnetzbetreiber, wie das heute der Fall ist. Und drittens ist die Eigentumsstruktur der Energieproduzenten zu ändern: Eine Privatisierung der staatsnahen Unternehmen ist angezeigt. Sie würde nicht nur die Versorgungssicherheit der Schweiz stärken, sondern durch die Entpolitisierung zudem die vorhandenen Interessenkonflikte reduzieren.

Wie das gehen soll? Mit einem schlichten Pferdewechsel. Die Entscheidungs- und Leistungsträger müssen endlich den Mut aufbringen, sofort von ihrem toten Pferd zu steigen und der Realität ins Auge zu blicken. Die Endverbraucher sind es leid, stetig bevormundet zu werden und die toten Pferde der Strombranche finanzieren zu müssen.

Zitiervorschlag: Roger Ambort (2023). Standpunkt: Tote Pferde gehören begraben. Die Volkswirtschaft, 20. Juni.