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Wie steht es um den Innovationsstandort Schweiz im digitalen Zeitalter?

Bahnbrechende Innovationen gibt es heute vor allem im digitalen Bereich. Innovationen in der Schweiz konzentrieren sich allerdings tendenziell auf traditionelle, analoge Bereiche. Was bedeutet dies für den Innovationsstandort Schweiz?
In der Schweiz ist der Anteil an Patenten mit einer digitalen Komponente eher tief. Der Siegeszug der Videospiele begann in den 1970er-Jahren in den USA – auf dem Bild das allererste Telespiel mit Namen «Pong». (Bild: Keystone)

Die Entwicklung digitaler Technologien boomt. Prominente Beispiele dafür sind die von Tech-Firmen getriebenen Fortschritte in den Bereichen künstliche Intelligenz oder Cloud-Computing. Doch auch abseits des klassischen Sektors der Informations- und Kommunikationstechnologie haben eine Vielzahl neuer Innovationen zunehmend digitale Komponenten. Denn digitale Technologien weisen Merkmale sogenannter General Purpose Technologies (GPT) auf: Sie können eine breite Palette von Funktionen erfüllen, was sie zum Einsatz in unterschiedlichsten Branchen und Anwendungen prädestiniert. Aufgrund dieser Vielseitigkeit tragen sie wesentlich zum mittel- und langfristigen Wirtschaftswachstum bei.[1] Zudem können Unternehmen, welche digitale Technologien frühzeitig einführen, langfristige Wettbewerbsvorteile gewinnen. Ähnliches gilt auch für geografische Regionen, die bahnbrechende (sogenannt disruptive) Technologien in frühen Stadien (mit)entwickelten: Solche Pionierregionen verzeichnen auch viele Jahre nach dem ersten Aufkommen disruptiver Technologien höhere Löhne und mehr hoch qualifizierte Arbeitsplätze.[2]

Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Zukunft des Standorts Schweiz die interessante Frage: Wie ist die Schweiz im internationalen Vergleich in Bezug auf Innovationen in diesen Technologiebereichen positioniert? Wir haben diese Frage in einer empirischen Analyse genauer untersucht und fassen hier deren Hauptaussagen zusammen.[3]

Neue Daten verfügbar

Als Grundlage unserer Analyse dient ein neuer Datensatz, der die jährliche Verbesserungsrate für mehr als 1750 verschiedene Technologiegruppen, wie Optical Information Storage und Bio-Affecting Pharmaceuticals, enthält (Singh et al., 2021). Die Verbesserungsrate ermöglicht es uns, sehr unterschiedliche Technologien miteinander zu vergleichen. Ein bekanntes Beispiel für die Verbesserungsrate einer Technologie ist das «mooresche Gesetz», das nach dem Intel-Mitbegründer Gordon Moore benannt ist. Es besagt, dass sich die Rechenleistung von Mikrochips im Durchschnitt alle 18 bis 24 Monate verdoppelt. Ähnliche Muster lassen sich auch für viele andere Technologien beobachten, wobei deren Verbesserungsraten zum Teil stark variieren.

In den von uns untersuchten Technologiegruppen fällt dabei auf, dass digitale Technologien im Durchschnitt eine höhere Verbesserungsrate aufweisen als analoge. Weiter zeigt unsere Analyse, dass die zehn sich am schnellsten entwickelnden Technologien – wie beispielsweise Data Management for
Automating E-Commerce Activities und Network Management Specifically Client-Server Applications – allesamt digitaler Natur sind. Und umgekehrt: Die zehn sich am langsamsten entwickelnden Technologien – wie beispielsweise Automatic Vehicle Washing und Physical Manipulation of Clothes – sind analoger Natur.[4]

In einem nächsten Schritt verknüpfen wir die Verbesserungsrate mit Patentdaten, die auch Angaben zum Land und zur Branche der Patentanmeldung geben. Und schliesslich kategorisieren wir die Patente mittels Informationen der OECD in digitale oder analoge Technologien. So können wir die Innovationstätigkeit der Schweiz im Bereich sich schnell entwickelnder und digitaler Technologien analysieren und mit anderen Ländern vergleichen.

Innovationsstandort Schweiz: Nicht unter den Spitzenreitern

Für die Schweiz lässt sich zuallererst festhalten, dass der Anteil an Patenten mit einer digitalen Komponente eher tief ist. Der Rückstand auf die bestplatzierten Länder ist insbesondere in der chemischen und der pharmazeutischen Industrie sehr gross (siehe Abbildung 1). Diese Branchen sind gleichzeitig auch jene, welche für das Schweizer Innovationssystem besonders wichtig sind.[5]

Abb. 1: Geringer Anteil digitaler Patente an der Gesamtzahl Patenten einer Branche in der Schweiz (2010–2015)

Lesebeispiel: Ein Wert von 4 für Kanada in der chemischen Industrie bedeutet, dass Kanada viermal mehr digitale Patente im Verhältnis zur Gesamtzahl der Patente in dieser Branche angemeldet hat als die Schweiz.
Quelle: Niggli und Rutzer (2023), basierend auf Patentdaten des USPTO im Zeitraum 2010-2015 / Die Volkswirtschaft

 

Weiter zeigt unsere Auswertung, dass Patenterfindungen in der Schweiz im Vergleich zu den führenden Ländern seltener in disruptiven, digitalen Technologiefeldern stattfanden (siehe Abbildung 2). Dieses Bild zeigt sich zudem erneut über alle wichtigen Branchen hinweg, wobei insbesondere die Medizintechnik sowie die chemische und die pharmazeutische Industrie relativ schlecht abschneiden.

Abb. 2: Schweizer Patenterfindungen sind seltener in disruptiven, digitalen Technologiefeldern (2010–2015)

Lesebeispiel: Eine Verbesserungsrate von 2 für Grossbritannien in der Medizinaltechnik bedeutet, dass dortige Patente zu Technologiegruppen gehören, die im Durchschnitt eine doppelt so hohe Verbesserungsrate aufweisen wie Schweizer Patente derselben Branche.
Quelle: Niggli und Rutzer (2023), basierend auf Patentdaten des USPTO im Zeitraum 2010-2015 / Die Volkswirtschaft

 

Gefahr droht, wenn neue Technologien alte ins Abseits drängen

Der Innovationsstandort Schweiz ist demnach vergleichsweise wenig auf disruptive, digitale Technologiefelder ausgerichtet. Das könnte insbesondere dann problematisch sein, wenn neue Innovationen in diesen Technologiefeldern Konkurrenzprodukte in traditionellen Technologien verdrängen. Ob die Gefahr einer solchen Verdrängung besteht oder nicht, dürfte von Branche zu Branche (und gar von Unternehmen zu Unternehmen) verschieden sein. Unsere Analyse erlaubt keine Beurteilung dieser Frage.

Dennoch scheint es aus wirtschaftspolitischer Sicht angezeigt, jenen Standortfaktoren besondere Aufmerksamkeit zu schenken, die entscheidend dafür sind, dass sich der Wirtschafts- und Innovationsstandort Schweiz möglichst rasch und einfach an neue Herausforderungen anpassen kann. Dazu gehört insbesondere ein dynamisches Forschungs- und Bildungssystem. Hier ist die Schweiz gut aufgestellt – mit einem bedarfsorientierten, praxisnahen Berufsbildungssystem und Forschungsinstitutionen, die Spitzenpositionen in der Weiterentwicklung disruptiver Technologien einnehmen. Kooperationen zwischen diesen Institutionen und der Privatwirtschaft und deren Unterstützung durch öffentliche Förderinstitutionen oder universitäre Technologietransferstellen können einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Standorts Schweiz leisten – wie auch die Förderung von Spin-offs und Start-ups. Es bleibt abzuwarten, welche Schlüsse die Politik aus diesen Forschungsergebnissen zieht.

  1. Siehe etwa Helpman (1998) oder Bresnahan und Trajtenberg (1995). []
  2. Siehe Bloom et al. (2021). []
  3. Siehe Niggli und Rutzer (2023) für die vollständige Analyse. []
  4. Siehe Niggli und Rutzer (2023, S. 20). []
  5. Gemäss unseren Daten entfiel zwischen 2010 und 2015 rund ein Drittel aller Schweizer Patente auf diese beiden Branchen (siehe Niggli und Rutzer, 2023). []

Literaturverzeichnis
  • Bloom, N., T. A. Hassan, A. Kalyani, J. Lerner und Tahoun, A. (2021). The diffusion of disruptive technologies. National Bureau of Economic Research Working Paper 28999.
  • Bresnahan, T. F. und M. Trajtenberg (1995). General purpose technologies ‘engines of growth’? Journal of Econometrics, 65(1), 83–108.
  • Brynjolfsson, E., D. Rock und C. Syverson, (2021). The productivity j-curve: How intangibles complement general purpose technologies. American Economic Journal: Macroeconomics, 13(1), 333–72.
  • Helpman, E. (1998). General purpose technologies and economic growth. MIT Press.
  • Niggli, M. und C. Rutzer, (2023). Digital technologies, technological improvement rates, and innovations «Made in Switzerland». Swiss J Economics Statistics 159(1).
  • Singh, A., G. Triulzi und C. L. Magee (2021). Technological improvement rate predictions for all technologies: Use of patent data and an extended domain description. Research Policy, 50(9), 104294.
  • Tambe, P., L. Hitt, D. Rock und E. Brynjolfsson (2020). Digital capital and superstar firms. National Bureau of Economic Research Working Paper 28285.

Bibliographie
  • Bloom, N., T. A. Hassan, A. Kalyani, J. Lerner und Tahoun, A. (2021). The diffusion of disruptive technologies. National Bureau of Economic Research Working Paper 28999.
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  • Tambe, P., L. Hitt, D. Rock und E. Brynjolfsson (2020). Digital capital and superstar firms. National Bureau of Economic Research Working Paper 28285.

Zitiervorschlag: Matthias Niggli, Christian Rutzer (2023). Wie steht es um den Innovationsstandort Schweiz im digitalen Zeitalter. Die Volkswirtschaft, 02. Juni.