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Wirtschaftskriminelle und Behörden: Kooperation lohnt sich

Wirtschaftskriminalität ist generell schwer aufzudecken. Im angelsächsischen Raum oder in Frankreich kommt es jedoch häufiger als in der Schweiz zu Selbstanzeigen. Auslöser sind Anreize für delinquente Unternehmen, möglichst früh mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren.
Korruption: Liessen sich Reputationsschäden allenfalls mit einer Selbstanzeige verhindern? Ein Angeklagter auf dem Weg ins Zürcher Bezirksgericht. (Bild: Keystone)

Wirtschaftskriminalität findet im Verborgenen statt. Nur selten werden Spuren hinterlassen, die den Ermittlungsbehörden einen begründeten Verdacht liefern, um den Sachverhalt strafrechtlich zu untersuchen. Bei Korruption, einem Delikt mit Doppeltätercharakter, haben weder der Bestechende noch der Bestochene ein Interesse daran, ihre Handlungen offenzulegen. Bedenkt man zudem die Professionalität, mit der solche – oft grenzüberschreitenden – Geschäfte verschleiert werden, sind niedrige Aufdeckungsquoten kaum erstaunlich.

Im Dezember 2017 schickte der Bundesrat die Änderung der Strafprozessordnung (StPO) in die Vernehmlassung. Die Bundesanwaltschaft nutzte diese Gelegenheit, um einen neuen Artikel (Art. 318bis StPO) vorzuschlagen: Zielkonflikte[1] sollten behoben und Anreize geschaffen werden für ein kooperatives Verhalten der delinquenten Unternehmen. Der Vorschlag hätte in Strafverfahren die Möglichkeit geboten, nach Abschluss der Untersuchung von einer Anklage abzusehen und im Fall einer Bewährung das Verfahren einzustellen. Ein Aufschub der Anklageerhebung sollte dabei nur infrage kommen, wenn das Unternehmen bei der Feststellung des Sachverhalts vollumfänglich mitgewirkt hat. Zweitens forderte der Vorschlag die Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Unternehmen und Staatsanwaltschaft zu Sachverhalt, Bussenhöhe, Entschädigungen sowie Vorkehren zur Behebung des Organisationsmangels.

Der Vorschlag für eine aufgeschobene Anklageerhebung fand keinen Eingang in die Revision der Strafprozessordnung. Man befürchtete eine Aufweichung der abschreckenden Wirkung des Strafrechts sowie den Ausbau der bereits starken Position der Staatsanwaltschaften. Damit stellt sich die Frage, welche Formen von Kooperation für Unternehmen gemäss geltender Rechtsordnung bestehen.

Die Selbstanzeige als Beispiel möglicher Kooperation

Die Selbstanzeige spielt als Auslöser von Strafuntersuchungen wegen Bestechungshandlungen eine grosse Rolle, wie eine OECD-Studie gezeigt hat.[2] Von weltweit 263 untersuchten Fällen zwischen 1999 und 2017 wurden nicht weniger als 59 (22%) durch eine Selbstanzeige ausgelöst (siehe Abbildung).

Mit einer Selbstanzeige gibt ein Unternehmen gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde ein strafrechtliches Fehlverhalten zu oder legt zumindest dar, dass ein solches vorliegen könnte, wenn beispielsweise interne Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Die Mehrheit der von der OECD erfassten Selbstanzeigen stammt aus dem angelsächsischen Raum: Hier wurden vor längerer Zeit entsprechende gesetzliche Anreize geschaffen, namentlich der Aufschub der Anklagerhebung («Deferred Prosecution» oder vergleichbare Instrumente) und verbindliche Richtlinien im Umgang mit Selbstanzeigen durch die Strafverfolgungsbehörden. Basierend auf dem angelsächsischen Erfolg, hat Frankreich im Jahr 2016 ein entsprechendes Instrument in seiner Strafprozessordnung eingeführt («Convention Judiciaire d’Intérêt Public»).

Wie wird Wirtschaftskriminalität aufgedeckt? (1999–2017)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: OECD (2017) / Die Volkswirtschaft

 

Erst eine einzige Selbstanzeige in der Schweiz

In der Schweiz sind Selbstanzeigen ebenfalls möglich. Jedoch: Soweit bekannt, kam es im Rahmen des Schweizer Unternehmensstrafrechts, das 2003 eingeführt wurde, erst zu einer einzigen Selbstanzeige. Es handelt sich dabei um das Unternehmen Koenig & Bauer Banknote Solutions AG[3]. Der Betrieb hat sich 2015 selbst bei der Bundesanwaltschaft angezeigt[4] wegen des Verdachts mangelhafter Antikorruptionsvorkehren, die ursächlich für Bestechungszahlungen an ausländische Amtsträger gewesen sein dürften. Im Strafbefehl wird das kooperative Verhalten des Unternehmens gewürdigt. Dies führte zu einer rein symbolischen Busse von einem Schweizer Franken. Die Dauer des Verfahrens war mit eineinhalb Jahren relativ kurz. Positiv zu werten ist ferner, dass die Öffentlichkeit über den Sachverhalt erst nach dem Verfahrensabschluss informiert wurde. Dies verunmöglichte mediale Spekulationen über mögliche existenzielle Bedrohungen für das Unternehmen.

Warum hat der Fall bis heute keine weiteren Selbstanzeigen im Schweizer Unternehmensstrafrecht ausgelöst? Eine Befragung von Strafverteidigern[5] lieferte folgende Gründe: generell tiefe Aufdeckungswahrscheinlichkeit und somit kaum drohende Verurteilung und Folgeschäden sowie fehlende Rechtssicherheit im Umgang mit Selbstanzeigen.

Variable Bussen

Der erste Punkt, die geringe Gefahr der Aufdeckung, ist ein starkes Zeichen, dass im Bereich der Wirtschaftskriminalität andere Detektionsquellen geschützt und gefördert werden müssen. Nur wer mit einer Aufdeckung durch Dritte rechnen muss, wird sich die Selbstanzeige ernsthaft überlegen. In diesem Sinne empfiehlt sich der Ausbau bzw. die Schaffung des gesetzlichen Schutzes von investigativem Journalismus und von Whistleblowern. In die richtige Richtung geht eine kürzlich vom Bundesrat in Auftrag gegebene Gesetzesvorlage, welche die Transparenz der wirtschaftlichen Berechtigung bei juristischen Personen stärken soll.[6]

Ein Unternehmen wird sich in der Risikoabwägung, ob eine Selbstanzeige eingereicht werden soll, auch den möglichen Schaden einer Aufdeckung durch Dritte überlegen. Der Gesetzgeber hat auch hier die Möglichkeit, den Hebel anzusetzen: Die im internationalen Vergleich tiefe Maximalbusse, die heute im Unternehmensstrafrecht auf fünf Millionen Franken begrenzt ist, könnte variabel formuliert werden, um auch der besonderen Wirtschaftskraft von multinationalen Unternehmen Rechnung tragen zu können.

Fehlende Anreizinstrumente

Der zweite Grund, dass wenig Selbstanzeigen erfolgen, betrifft die drohende Verurteilung. Hier könnte die Strafprozessordnung ein entsprechendes Instrument – also beispielsweise einen Aufschub der Anklageerhebung («Deferred Prosecution») – einführen.

Um die Rechtssicherheit im Umgang mit Selbstanzeigen zu erhöhen, fordern Strafverteidiger entsprechende Richtlinien von Strafverfolgungsbehörden – zum Beispiel konkretere zeitliche und inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige und an das Verhalten des Unternehmens nach der Tat. Den Strafbehörden als Exekutivorgan fehlt aber die Rechtsgrundlage dazu. Und es gäbe potenziell 27 verschiedene Weisungen (26 kantonale Staatsanwaltschaften / Bundesanwaltschaft). Dies ist nicht wünschenswert. Vielmehr wären solche Richtlinien durch einen übergeordneten gesetzgeberischen Prozess – angestossen durch die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz (SSK) – zu erlassen.

Kooperation minimiert Reputationsschaden

Grundsätzlich ist jede Bemühung eines Unternehmens, einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt gemeinsam aufzuarbeiten, begrüssenswert. Kooperatives Verhalten begünstigt effizientere Verfahrensabschlüsse. Dies wird heute im Rahmen der Strafzumessung gewürdigt. Aber es gibt auch verfahrenstechnische Vorteile für Unternehmen, wenn sie früh kooperieren: Das Risiko kollateraler Schäden (z. B. Reputationsschäden) wird minimiert, und die Busse kann gegebenenfalls stark herabgesetzt werden. Die Berechnung der Ersatzforderung, das heisst der deliktisch erlangten Vermögenswerte, bleibt davon aber unberührt.

Ist nun also eine Kooperation zwischen Unternehmen und Strafbehörden überhaupt möglich? Die Antwort lautet ja. Die Zusammenarbeit ist im Interesse beider Seiten geboten. Sie erlaubt es der Staatsanwaltschaft, hochkomplexe Wirtschaftsstrafverfahren schnell und ressourcenschonend abzuschliessen. Und das Unternehmen kann internen Verfehlungen konsequent, glaubwürdig und ohne Reputationsschaden entgegentreten. Dass sich Unternehmen bisweilen nur zurückhaltend für eine Kooperation oder gar Selbstanzeige entscheiden, offenbart aber nach Meinung der Autoren auch, dass die bestehenden Instrumente zur kooperativen Zusammenarbeit weiterentwickelt und – mit Blick auf andernorts bewährte Lösungsansätze wie den Anklageaufschub («Deferred Prosecution»; «Convention Judiciaire d’Intérêt Public») – ergänzt werden sollten.

  1. Insbesondere der Konflikt zwischen der Pflicht der Staatsanwaltschaft, Verfahren möglichst zügig zu führen (Beschleunigungsgebot), und der Verpflichtung, den Sachverhalt gesamtheitlich bzw. vollständig zu untersuchen (Untersuchungsmaxime). []
  2. Siehe OECD (2017). []
  3. Vormals KBA-NotaSys AG. []
  4. Vgl. NZZ (2017). []
  5. Vgl. Aeby (2023)[]
  6. Vgl. SIF (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Stefan Blättler, Daniel Aeby, Matthias Portmann (2023). Wirtschaftskriminelle und Behörden: Kooperation lohnt sich. Die Volkswirtschaft, 29. Juni.