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Brandgefährlicher Subventions­wettlauf

Die EU und die USA fördern nachhaltige Technologien und Computerchips. Überraschung: Die Schweiz könnte daraus Vorteile ziehen. Trotzdem sollte sie sich nicht an einem Subventionswettlauf beteiligen.

Brandgefährlicher Subventions­wettlauf

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2022 zu Besuch beim europäischen Halbleiterhersteller STMicroelectronics. Für eine neue Chipfabrik im französischen Crolles erhielt der Konzern Zuschüsse von 2,9 Milliarden Euro vom französischen Staat. Der Hauptsitz von STMicroelectronics ist in Genf. (Bild: Keystone)

Wer die Wirtschaftsnachrichten der letzten beiden Jahre liest, dem fällt auf: Die Blütezeit des freien Handels scheint vorbei. Die Länder werden protektionistischer, die Brieftasche mit den Subventionen sitzt lockerer: 2022 etwa kündigten die USA und die EU Subventionsprogramme für die Herstellung von Mikrochips an. Damit sollen Angebotsengpässe der letzten Jahre und die Abhängigkeit von asiatischen Produzenten reduziert werden.

Kurz darauf, im August 2022, verabschiedeten die USA den «Inflation Reduction Act» (IRA) mit Hunderten Milliarden an Subventionen, unter anderem für eine nachhaltige Energieproduktion und die Cleantech-Industrie (siehe Kasten). Die Zuschüsse sind teilweise an US-Herkunftsvorschriften gebunden und deshalb protektionistisch. Die EU antwortete postwendend: Ihr Industrieplan zum Green Deal (GDIP) soll die CO2-neutrale Industrie wettbewerbsfähiger machen und die Dekarbonisierung unterstützen. Auch werden die Beihilferegeln der EU gelockert, um zusätzliche Förderprogramme durch die Mitgliedsstaaten zu ermöglichen. Inzwischen reagieren auch einzelne Länder: So skizzierte etwa die französische Regierung einen Plan zur «Reindustrialisierung». Stand jetzt sieht dieser vor, dass die Kriterien für Konsumzuschüsse für Elektrofahrzeuge so ausgestaltet werden dürften, dass vor allem europäische Unternehmen davon profitieren.

Wie soll die Schweiz auf diese Entwicklung reagieren?

Nicht so gross, wie es scheint

Mit den genannten industriepolitischen Programmen sollen grosse Geldsummen verteilt werden. So sieht etwa der IRA 391 Milliarden Dollar Zuschüsse für die Industrie vor, die allerdings über zehn Jahre verteilt werden sollen. Eine Studie der niederländischen Zentralbank[1] schätzt, dass die Zusatzausgaben jährlich nur maximal 0,17 Prozent des US-BIP erreichen. Die Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft werden voraussichtlich sehr klein sein.

Besorgniserregender sind die sogenannten Herkunftsvorschriften. Denn Konsum-, Investitions- und Produktionszuschüsse für Elektroautos oder Batterien gibt es gemäss IRA nur dann, wenn sie mehrheitlich in den USA gefertigt wurden. Das benachteiligt ausländische Produzenten. Gemäss dem Brüsseler Thinktank Bruegel belaufen sich solche wettbewerbsverzerrende Ausgaben des IRA auf rund 60 bis 80 Milliarden.[2] Jährlich entspräche dies eher bescheidenen 6 bis 8 Milliarden Dollar.

Anders als der IRA enthält der europäische GDIP keine expliziten Herkunftsvorschriften. Aber auch er sieht Subventionen für inländische Produzenten vor, was marktverzerrend sein kann. Die Zuschüsse werden ebenfalls über die Jahre verteilt, im Unterschied zum IRA sind die Gelder grösstenteils aber nicht neu, sondern werden einfach aus bestehenden in neue Töpfe umgeleitet. Die EU Recovery and Resilience Facility zum Beispiel – das Herzstück des Corona-Wiederaufbaufonds – erhält 250 Milliarden Euro für Förderungen. Neu sind dabei aber nur 20 Milliarden. Der Rest wird aus bestehenden Töpfen bezogen, deren Verwendungszweck lediglich erweitert wurde. Vergleichbares gilt für das Europäische Chip-Gesetz. Angekündigt sind 43 Milliarden Euro an Investitionen. Gesichert davon sind auf europäischer Ebene aber nur 3,3 Milliarden. Der Rest soll aus privaten Mitteln mobilisiert werden.

Neue Chancen für die Schweizer Wirtschaft

Aus Sicht der Schweiz werden sich diese Programme teilweise positiv auswirken. Denn erstens könnten Schweizer Firmen, welche in der EU oder in den USA produzieren, direkt davon profitieren. So erhielten kürzlich der Halbleiterhersteller STMicroelectronics mit Sitz in Genf und sein US-Partner Global Foundries für eine neue Chipfabrik im französischen Crolles Zuschüsse von 2,9 Milliarden Euro vom französischen Staat. Zweitens gibt es in der Schweiz Zulieferbetriebe, welche durch die Fördergelder indirekt von neuen Aufträgen profitieren könnten.

Drittens könnten gewisse Technologien künftig günstiger und aus diversifizierteren Beschaffungsquellen auf den Weltmärkten erhältlich sein. Wenn zum Beispiel die Preise für europäische Windturbinen sinken, kommt das auch Schweizer Energieproduzenten zugute. Und viertens profitiert die Schweiz generell, wenn neue Forschungsprogramme die technologische Entwicklung erneuerbarer Energien beschleunigen. Denn neuartige Technologien können auch Schweizer Produzenten und Forschende voranbringen.

Der GDIP der EU sieht zudem eine Stärkung der regelbasierten Handelsordnung durch die Welthandelsorganisation (WTO) sowie eine Ausbildungsoffensive und eine Entschlackung administrativer Prozesse bei grünen Technologien und Investitionen vor. Das ist grundsätzlich auch im Interesse der Schweiz, zumal eine regelbasierte, nicht protektionistische Handelsordnung wichtig für eine offene Volkswirtschaft ist. Auch von einem grösseren Fachkräfteangebot in Europa kann die Schweiz über die Personenfreizügigkeit profitieren.

Negative Auswirkungen dürften begrenzt sein

Gleichzeitig können protektionistische Subventionen Schweizer Unternehmen auch benachteiligen. Es wäre also denkbar, dass der Produktionsstandort Schweiz zumindest kurzfristig unter den EU- und US-Massnahmen leidet. Doch obwohl die Schweiz mit rund 19 Prozent einen relativ hohen Industrieanteil (ohne Bau) am BIP hat, dürften die betroffenen Branchen hierzulande eher untervertreten sein (z. B. Hersteller von Elektroautos). Somit ist a priori unklar, ob die Schweizer Wirtschaft insgesamt überhaupt negativ betroffen ist oder ob sogar die positiven Effekte überwiegen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat deshalb eine Studie in Auftrag gegeben und wird im Lagebericht zur Schweizer Wirtschaft Anfang 2024 eine Einschätzung vornehmen.

Zudem sind Subventionen nicht matchentscheidend für die Standortattraktivität. Wegzüge von Schweizer Unternehmen ins Ausland sind deshalb nicht zu erwarten. Denn für die Standortattraktivität viel wichtiger sind die aussenwirtschaftliche Offenheit, die Rechtssicherheit, der Bildungsstandort, das Fachkräfteangebot, ein flexibler Arbeitsmarkt, eine gute Infrastruktur, attraktive Steuern und stabile makroökonomische Bedingungen. Bei all diesen Faktoren kann die Schweiz punkten. In der Vergangenheit gelang es unseren Unternehmen so stets, auf jene Nischen zu fokussieren, in denen sie konkurrenzfähig sind. Das galt auch dann, als andernorts grössere industriepolitische Programme «en vogue» waren.

Finger weg vom Subventionswettlauf

Klar ist: An einem Subventionswettlauf sollte sich die Schweiz keinesfalls beteiligen. Denn Massnahmen, die bestimmte Branchen und Unternehmen anderen gegenüber in grossem Stil bevorzugen, sind langfristig brandgefährlich.

Erstens bergen sie Risiken für die Steuerzahlenden. Denn mit der Förderung einzelner Unternehmen und Branchen bestimmt die Politik, wer sich am Markt kurzfristig durchsetzt, nicht mehr die Konsumenten und Produzenten. Die Geschichte lehrt, dass es sich dabei oft nicht um jene Betriebe handelt, die am Markt langfristig zukunftsträchtig sind. So kamen der französische Onlinedienst Minitel, die deutsche Magnetschwebebahn Transrapid, der Schweizer Panzer 68 oder das US-Solarunternehmen Solyndra die Staatshaushalte teuer zu stehen. Die Produkte verschwanden nach einigen Jahren vom Markt oder schafften es gar nie zur Marktreife. Und die verwendeten Steuermittel fehlten an anderem Ort.

Zweitens führt die Förderung ausgewählter Branchen zu konjunkturellen Fehlentwicklungen: Investieren viele Staaten gleichzeitig massiv in die Chipproduktion, sind baldige Überkapazitäten programmiert. Staatliche Investments können so unrentabel werden und auch private Firmen in den Ruin getrieben werden.

Drittens besteht das Risiko eines verzögerten Strukturwandels. Kurzfristig mögen durch staatliche Förderung Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten werden. Der langfristige Strukturwandel lässt sich damit aber nicht aufhalten. Sobald die finanzielle Unterstützung endet, kann im Extremfall Massenarbeitslosigkeit resultieren.

Und viertens begibt sich die Politik damit unter verstärkten Einfluss von Lobbyorganisationen. Denn Unternehmen und Branchen könnten versucht sein, eher in politisches Lobbying zu investieren statt in marktfähige Produkte. Zudem ist es politisch äusserst schwer, durch Subventionen geschaffene Abhängigkeiten bestimmter Branchen wieder aufzulösen. So wurden etwa in den 1960er-Jahren eingeführte Fördergelder für die deutsche Steinkohleindustrie erst 2018 weitgehend abgeschafft. Denn ohne staatliche Gelder war der Sektor auf den Weltmärkten nicht konkurrenzfähig.

Bedrohliche Verschuldungslage

Sollte es tatsächlich zu einem international ungebremsten Subventionswettlauf kommen, können sich makroökonomische Risiken hinzugesellen. Schon seit Dekaden übersteigen in vielen westlichen Ländern die Staatsausgaben regelmässig die Einnahmen. Hinzu kamen beispiellose Unterstützungsmassnahmen während der Corona-Pandemie und um die gestiegenen Energiepreise abzufedern. Die Verschuldungsquote vieler Länder ist heute so hoch wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Sollte es dereinst zu einer Verschuldungskrise kommen, wird ein gesunder Staatshaushalt zentral sein für die makroökonomische Resilienz.

Aus all diesen Gründen sollte die Schweiz an ihrer bewährten Strategie festhalten. Konkret heisst das: für möglichst gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen sorgen, welche allen Wirtschaftsteilnehmenden gleichermassen zugutekommen. Denn solche Massnahmen sind für die Steuerzahlenden günstiger, langfristig weniger risikobehaftet und ausserdem fair, weil sie niemanden bevorzugen.

  1. De Nederlandsche Bank (2023). Macroeconomic Effects of the Inflation Reduction Act[]
  2. Siehe Kleiman, David (2023). How Europe Should Answer the US Inflation Reduction Act. Policy Contribution: 04/23, Februar. []

Zitiervorschlag: Ronald Indergand (2023). Brandgefährlicher Subventions­wettlauf. Die Volkswirtschaft, 14. Juli.

Wichtige Industrieprogramme im Überblick

Neben einer Steuerreform und Anpassungen im Gesundheitswesen sieht der amerikanische «Inflation Reduction Act» (IRA), der im August 2022 verabschiedet wurde, auch Finanzmittel für die Dekarbonisierung vor. Die Produktion erneuerbarer Elektrizität soll stärker als bisher subventioniert werden, und es sind Zuschüsse für den Kauf von Elektroautos vorgesehen. Zudem werden die Produktion von Cleantech-Produkten (z. B. Windturbinen) und Investitionen dafür subventioniert oder steuerlich begünstigt. Diese Zuschüsse erfolgen aber nur, wenn in den USA produziert wird. Insgesamt dürften Mehrausgaben von mindestens 450 Milliarden entstehen.

Der EU-Industrieplan zum Green Deal (GDIP), der im Februar 2023 verabschiedet wurde, enthält als erstes Standbein eine administrative Entlastung und schnellere Bewilligungsverfahren für grüne Investitionen. Zweitens sind Zuschüsse insbesondere für die Herstellung und die Einführung sauberer Technologien vorgesehen, und die Beihilferegeln der EU zur Unterstützung der Dekarbonisierung werden aufgeweicht. Drittens soll die Ausbildung im Cleantech-Bereich intensiviert werden. Viertens soll die aussenwirtschaftliche Öffnung der EU vorangetrieben werden.

Hinzu kommt der «Chips and Science Act» der USA zur Förderung einer US-Mikrochipindustrie vom August 2022. Er sieht Ausgaben von 280 Milliarden Dollar vor bis 2027. Der grösste Teil fliesst in die Forschung, aber auch Start-ups und Chipproduzenten dürften davon profitieren. Das Europäische Chip-Gesetz, das europäische Pendant zum «Chips and Science Act», das im April 2023 verabschiedet wurde, ist etwas kleiner. Es will bis 2030 43 Milliarden Euro für die Chipproduktion mobilisieren. Die Ausgaben sollen der Forschung, Start-ups und etablierten Firmen zugutekommen. Der grösste Teil der Ausgaben soll aber durch private Initiative entstehen.