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Der Credit-Suisse-Kollaps: Was es nun braucht

Für einen widerstandsfähigeren Finanzplatz braucht es Veränderungen bei der Bankenregulierung, grössere Kompetenzen für die Finma und mehr Freiheit für die Medien.
Fehlen der Finanzmarktaufsicht (Finma) die Sanktionsmöglichkeiten? Urban Angehrn, Direktor (links), und Marlene Amstad (Mitte), Verwaltungsratspräsidentin der Finma. (Bild: Keystone)

Es war ein Wochenende, das die ganze Schweiz in Atem hielt. Am 19. März 2023 kollabierte mit der Credit Suisse (CS) ausgerechnet im Bankenland Schweiz die erste und bis dato einzige der gemäss Finanzstabilitätsrat (FSB) weltweit 30 systemrelevanten international tätigen Banken. Dem Kollaps der CS vorausgegangen waren mehrere Skandale, ein Vermögensabfluss von über 100 Milliarden Franken und ein Absturz des Aktienkurses von 90 Franken im Jahr 2007 auf 1.55 Franken im März 2023.

Aus unserer Sicht musste die Traditionsbank in dieser prekären Situation gerettet werden. Die vom Bundesrat vermittelte Notübernahme durch die UBS war einerseits für die internationale Finanzmarktstabilität wichtig. Andererseits muss die CS jetzt von starken und loyalen Führungskräften der Käuferin UBS auf mehreren Hierarchiestufen entwirrt und integriert werden. Eine verstaatlichte CS hätte dies nicht leisten können. Die Schweizer Wirtschaft braucht die Kompetenz und die Reichweite einer global agierenden Schweizer Bank im internationalen Zahlungs-, Finanzierungs- und Firmenkundengeschäft.

Die letzte Phase vor dem Kollaps

Der CS-Kollaps ist ein Zusammenbruch mit Ansage. Deshalb ist diese Hauruckübung innerhalb von nur drei Tagen so irritierend. Bereits ab Sommer 2022 nahm der CS-Untergang seinen Lauf. Denn der strategische Plan des eingewechselten Führungsteams rund um CEO Ulrich Körner überzeugte schon damals nicht. Der im Oktober 2022 erfolgte erste Bank-Run warf erstmals ein grelles Licht auf die angespannte Liquiditätslage der CS. Dem Management und dem Verwaltungsrat musste dies jedoch schon Monate, wenn nicht sogar Jahre vorher bewusst gewesen sein.

Die Zeichen des Zerfalls waren offensichtlich: nicht cashwirksame Aufwertungen verschiedener Unternehmensteile ohne sichtbare Verbesserung der Leistungskennzahlen, beispielsweise die Aufwertung der Schweizer Tochtergesellschaft von 9 Milliarden Franken per September 2022, um die Kernkapitalquote CET1 zu verbessern; verzweifelt aussehende Beschaffungsübungen für frisches Kapital wie etwa die letzte Kapitalerhöhung, wo die bestehenden Grossaktionäre nicht vorangingen und damit ihr Vertrauen in die CS verweigerten – mit der Saudi National Bank schoss dafür ein neuer Grossaktionär 1,5 Milliarden Franken ein[1]; exorbitante, vorab mit Steuerhinterziehung und Geldwäscherei verbundene Bussengelder in den USA[2]; angesichts der schlechten Ertragslage überrissene Bonivergütungen; der Verkauf von Liegenschaften an bester Lage sowie Mahnungen der Schweizer und von US-Regulierungsbehörden betreffend fehlerhafte Cashflow-Statements. Alle diese Punkte belasteten das Vertrauen der Kunden und Anleger in die CS. Im Maschinenraum der CS wusste man darüber Bescheid.

Anders als die CS hat die Käuferin UBS die Übernahme gut vorbereitet und diese am 19. März professionell durchgezogen. Auch die Nationalbank war auf den Notverkauf der CS vorbereitet. Die Bundesgarantie für das 100-Milliarden-Notenbank-Instrument «Public Liquidity Backstop» wurde über Nacht mit Notrecht eingeführt. Dieses Instrument würde der «New UBS» im Bedarfsfall zusätzliche Liquidität sichern. Hingegen erstaunt, dass der ehemalige Finanzminister Ueli Maurer nach dem ersten Bank-Run in einer Interviewaussage Mitte Dezember pauschalisierend beruhigte. Dies, obwohl die Regulierungsbehörde Finma die CS kurz davor instruiert hatte, einen Datenraum (Due Diligence) für den Verkauf oder Teilverkauf einzurichten. Diesem Aspekt wird die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) nachgehen müssen.

Gründe für den Niedergang

Doch weshalb manövrierten sich die systemrelevante Bank und damit die Schweiz in diese exponierte Situation? Dafür gibt es mehrere Gründe:

Am schwersten wiegt das Management- und Verwaltungsratsversagen bei der CS mit den monetären Fehlanreizen – weshalb war beispielsweise der Incentive-Plan für das Topmanagement nicht mit der Profitabilität des Gesamtunternehmens verknüpft? – und einem mangelhaften Risikomanagement. Ebenso entscheidend waren Interessenkonflikte (siehe Kasten).

Da die Finanzmarktaufsicht (Finma) über kein griffiges Sanktionsinstrumentarium verfügt, hatte sie keine Handhabe, um ihre Forderungen gegenüber der CS durchzusetzen. Zudem stellt sich die Frage, warum die Liquiditätsüberwachung bei der Grossbank erst so spät erfolgte und schliesslich erst von den amerikanischen Behörden angeprangert wurde. Fehlte ein Frühwarnsystem, die Fachkompetenz, und/oder gab es Unklarheiten bei den Zuständigkeiten zwischen der Finma und der Nationalbank bei der Liquiditätsüberwachung der CS? Auch mit dieser Frage wird sich die PUK beschäftigen müssen.

Wie weiter?

Kurzfristig muss das mit Interessenkonflikten unterminierte Geschäftsmodell der CS auf der Führungsebene entwirrt, verschlankt und in die UBS integriert werden. Die UBS muss das neue Geschäftsmodell selbstständig gestalten können – ohne Interventionen der Politik. Der UBS und ihrem Kader ist aufgrund des Erfolgsausweises seit der Finanzkrise 2008 zuzutrauen, dass sie die operativ profitablen Teile der CS – wie etwa das Schweizer Inlandgeschäft – stärken wird.

Die verlustbringenden CS-Teile müssen unter Schadenminimierung für den Steuerzahler abgewickelt werden.[3] Und falls die neue UBS, wie oft befürchtet, tatsächlich zu gross wird? Szenarien, um die CS wieder als eigenständige Bank abzuspalten, sind – falls überhaupt – erst nach der erfolgreichen Fusion realisierbar, nicht parallel. In der Integrationsphase braucht es einen klaren Plan, starke Führungspersönlichkeiten, einen Fokus auf die Kunden, eine hohe Entscheidungskadenz und Entschlossenheit bei der Durchsetzung der getroffenen Entscheide.

Mehr Kompetenzen für die Finma

Mittelfristig muss das nationale und internationale Bankgeschäft wieder zu einem Dienstleistungsgeschäft werden. Der Eigenhandel, der auf eigenes Risiko der Bank kurzfristige Handelsgewinne ermöglichen soll, ist auf ein gesundes Mass zu limitieren.

Die Eigenkapitalanforderungen der Banken müssen erhöht und die Liquiditätsüberwachung durch die Finma verbessert werden. Insbesondere ist zu überlegen, welche Einfluss- und Sanktionsmöglichkeiten der Finma gewährt werden sollen, wenn eine Bank die formellen Anforderungen zwar noch erfüllt, aber ihre Entwicklung besorgniserregend ist.

Wichtig ist, dass neu auch Governance-Themen von der Finma geprüft werden. Interessenkonflikte, die aufgrund vertikaler, gleichzeitig ausgeübter Rollen als Aktionär, Verwaltungsrat und Kunde entstehen, müssen angegangen werden. Zudem muss die Finma bei der nun einzigen international systemrelevanten Schweizer Bank mit ausländischen Behörden uneingeschränkt zusammenarbeiten können.

Auch die Governance der Schweizerischen Nationalbank bedarf einer wirksameren Trennung von strategischer Aufsicht und operativer Führung. Zu prüfen ist ausserdem, ob ihre Geschäftsleitung erweitert werden soll. Denn um rechtzeitig vorausschauende und ausgewogene Entscheide fällen zu können, braucht die Nationalbank bei der Vorbereitung ihrer Entscheide eine Meinungsvielfalt.

Die Medien spielen als vierte Kraft im Staat und als unabhängiges Frühwarnsystem eine ebenso wichtige Rolle. Doch diese können sie zurzeit nur eingeschränkt einnehmen. Denn seit 2015 droht Schweizer Journalisten ein Strafverfahren, wenn sie über geleakte Bankdaten schreiben. Deshalb muss das Schweizer Bankengesetz angepasst werden.[4] Finanzwirtschaftlicher Recherchejournalismus muss in alle Richtungen und ohne Strafandrohung wieder möglich sein, um Skandale wie jenen um Malaysias Staatsfonds 1MDB frühzeitig aufzudecken. Das Geldwäschereigesetz ist von den Banken auch auf Rechtsanwälte, Treuhänder und Notare auszuweiten. Nur so können die Risiken und Bussen aufgrund von Beihilfen zu Steuerhinterziehung und Geldwäsche eingeschränkt werden.

Roadmap für den Schweizer Finanzplatz

Strategisch wichtig ist auch der Markt- und Forschungszugang zur Europäischen Union. Darüber hinaus braucht es eine globale Industriestrategie für den Finanzplatz im Verbund mit unseren europäischen Nachbarländern. Sodann eine Transformation des Bankgeschäfts in und aus der Schweiz, weg von der riskanten Verwaltung der Gelder aus dubiosen Quellen, hin zu einem Dienstleistungsgeschäft. Es muss eine konsequente Weissgeldstrategie bei allen Schweizer Finanzintermediären – also auch bei Rechtsanwälten und Notaren – durchgesetzt werden. Nur so können Transparenz und Vertrauen nach innen und nach aussen gestärkt werden.

Doch die Schweiz kann nicht alles allein und gleichzeitig tun. Sie ist gut beraten, nicht weiter über ihrem wirtschaftlichen Gewicht zu boxen, wie sie das kürzlich bei der Blockierung der russischen Gelder oder der Weitergabe von bereits ins Ausland verkaufter Munition getan hat, und gegen alles und jeden zu kämpfen. Sie braucht Partnerländer, um ihre Wertschöpfungskraft zu entfalten. Die zahlreichen Blockaden müssen überwunden werden, um neue und zukunftsgerichtete Perspektiven zu eröffnen.

  1. Die Saudi National Bank wurde damit neu zum zweitgrössten Aktionär (Beteiligung knapp 10%) nach Harris Associates (10,1%) und vor dem katarischen Staatsfonds Qatar Investment Authority (5%) und dem saudiarabischen Family Office Olayan (4,9%). Aussagen des Präsidenten der Saudi National Bank führten Mitte März 2023 zu einem Absturz der CS-Aktien. []
  2. Die CS bezahlte in den USA von 2010 bis 2020 Bussen von 8,5 Milliarden Franken gemäss Berechnungen der «Finanz und Wirtschaft». []
  3. Siehe Staehelin und Brouzos (2023). []
  4. Siehe Schöchli (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Markus Braun, Roland Hofmann (2023). Der Credit-Suisse-Kollaps: Was es nun braucht. Die Volkswirtschaft, 06. Juli.

Interessenkonflikte im CS-Verwaltungsrat

Der Aktionär Qatar Investment Authority (QIA) war im Verwaltungsrat bei der CS mit einem Mitglied vertreten. Mit der QIA gründete die CS jedoch auch eine Kreditplattform und ein Vermögensverwaltungs-Joint-Venture. Zudem wollte der CS-Verwaltungsrat Michael Klein zuerst seine Beratungsfirma M. Klein & Co der CS verkaufen, um mit diesem Geld anschliessend deren Investmentbank zu übernehmen. Diese beiden wichtigen Akteure traten teilweise gleichzeitig in den Rollen als Eigner, als Verwaltungsräte und als Joint-Venture-Partner oder Kunde auf. Dies ist problematisch, weil beispielsweise ein Verwaltungsrat genauen Einblick in den Zustand der CS hat und über Insiderwissen verfügt. Solche Interessenkonflikte beeinträchtigten ein seriöses Risikomanagement, lähmten die Bank und machten sie wahrscheinlich am Ende «unführbar».