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Temporärarbeit: Die Gunst der Stunde nutzen

Vielen Stellensuchenden dient Temporärarbeit als Brücke zu einer Festanstellung. Für rund ein Drittel hingegen ist temporäre Arbeit ein dauerhaftes flexibles Erwerbskonzept, wie eine Befragung von über 6000 Temporärarbeitenden gezeigt hat.
Sie helfen, kurzfristigen Personalmangel auszugleichen: Temporärarbeitende in der Gastronomie. (Bild: Keystone)

Gegensätzliche Entwicklungen prägen die Arbeitswelt. Einerseits verändern Krisen, Wettbewerbsdruck und Digitalisierung die Wirtschaft und die Berufsprofile. Der Wandel gefährdet Stellen und erfordert von Erwerbstätigen vielfach eine Neuorientierung. Andererseits bewirken Arbeitskräftemangel, demografische Entwicklung und gesellschaftlicher Wandel, dass Erwerbstätige ihre persönlichen Bedürfnisse neu definieren. Sinn, Autonomie und Flexibilität gewinnen an Bedeutung.

Entlang dieser Entwicklungen lassen sich anhand der Resultate der Befragung von Temporärarbeitenden (siehe Kasten) zwei Typen identifizieren. Der erste Typ umfasst Menschen, die ungewollt in eine fragile Erwerbsphase geraten und durch Temporärarbeit ihre Chance auf eine Festanstellung steigern möchten. Der zweite Typ von Temporärarbeitenden strebt nach Freiheit und Autonomie. Er weiss die Chancen der sich verändernden Welt zu nutzen. Deshalb sucht er flexible Arbeitsmodelle.

Temporärarbeit als Brücke zur Festanstellung

Menschen, die eine Festanstellung suchen, nutzen Temporärarbeit als Übergang: Sie wollen im Erwerbsleben verbleiben oder (erneut) darin Fuss fassen. Rund 40 Prozent von ihnen waren vor ihrem Temporäreinsatz arbeitslos oder nicht erwerbstätig. Dank niedriger Eintrittsbarrieren und breitem Netzwerk der Personaldienstleister können sie mit temporärer Arbeit ihre Arbeitserfahrung erhalten und neue Kompetenzen erwerben. Besonders Menschen mit tiefer Bildung und ältere Personen schätzen an der Temporärarbeit, dass der Personaldienstleister für sie die Stellensuche übernimmt. Jüngere Personen möchten in erster Linie Berufserfahrung sammeln.

Wie gut stehen die Chancen für eine Festanstellung? Rund ein Jahr nach Aufnahme der Temporärarbeit haben 42 Prozent die gewünschte Feststelle gefunden (siehe Abbildung 1). Insgesamt 84 Prozent sind im Arbeitsmarkt integriert – sei es fest, befristet, temporär oder selbstständig. Besonders markant ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit: Waren vor Beginn der Temporärarbeit 34 Prozent arbeitslos, sinkt dieser Wert nach einem Jahr auf 12 Prozent.

Häufig werden Beschäftigte, die temporär in einem Betrieb arbeiten, von diesem fest angestellt. Dies ist ihr idealtypischer Weg, um an eine feste Stelle zu gelangen. So hat rund die Hälfte der Befragten mit Festanstellung demnach zuvor temporär im jeweiligen Betrieb gearbeitet. Von der Möglichkeit der Übernahme profitieren besonders Arbeitnehmende mit tiefem Bildungsgrad. Sie sind auf dem Arbeitsmarkt trotz Fachkräftemangel oft benachteiligt. Indem sie temporär arbeiten, können sie direkt durch ihre Arbeitsleistung überzeugen. Knapp 60 Prozent der heute fest angestellten Personen mit tiefer Bildung waren zuvor temporär im selben Betrieb beschäftigt.

Abb. 1: Brücke: Beschäftigungssituation der Temporärarbeitenden, die eine feste Stelle suchen (2022)

INTERAKTIVE GRAFIK

 

Anmerkung: Mehrfachnennungen möglich.
Quelle: Swissstaffing / GFS Zürich 2022 / Die Volkswirtschaft

Temporärarbeit als langfristiges Modell für Flexibilitätssuchende

Ein Drittel der Temporärarbeitenden hingegen sucht explizit keine Festanstellung. Diese Beschäftigten wünschen sich vielmehr ein langfristiges flexibles Erwerbskonzept, das ihnen erlaubt, ein Gleichgewicht zwischen Arbeitsstelle und anderen Lebensbereichen zu finden. Die Entwicklung ihrer Erwerbssituation macht dies deutlich: Sie bewegen sich weg von der Festanstellung, hin zu flexiblen Arbeitsformen. Rund ein Jahr nach Beginn ihrer Temporärarbeitsphase steigt der Anteil flexibler Formen (temporär, befristet, selbstständig, freiberuflich) markant von 35 auf 52 Prozent an (siehe Abbildung 2). Im Gegensatz zu jenen, die eine feste Stelle suchen, sinkt bei ihnen der Anteil der Festanstellungen.

Abb. 2: «Umgekehrte Brücke»: Beschäftigungssituation der Temporärarbeitenden, die Flexibilität suchen (2022)

INTERAKTIVE GRAFIK

 

Anmerkung: Mehrfachnennungen möglich.
Quelle: Swissstaffing / GFS Zürich 2022 / Die Volkswirtschaft

 

Jene Menschen, die Flexibilität suchen, nutzen die Temporärarbeit entweder als Neben- oder als Haupterwerb. Solche im Nebenerwerb sind häufig Menschen mit familiären Verpflichtungen, Studierende oder Pensionierte – aber auch Selbstständigerwerbende, die ihre Auftragslage durch Temporärarbeit stabilisieren. Sie arbeiten verstärkt in Branchen mit akutem Arbeitskräftemangel wie der Gastronomie, dem Gesundheitswesen oder im Detailhandel. Dabei nutzen sie die geringen Eintrittsbarrieren der Temporärarbeit und können – in ihren jeweiligen Branchen – das Wissen von Betrieb zu Betrieb leicht übertragen.

Temporärarbeitende im Haupterwerb andererseits suchen ein dauerhaftes Erwerbsmodell, das ihr Bedürfnis nach Flexibilität und Autonomie erfüllt. Sie sind gut ausgebildet und arbeiten als Fach- oder Führungskräfte, häufig in Branchen mit Fachkräftemangel wie dem Gesundheitswesen, dem Bau oder der IT. Nebst der Flexibilität suchen sie in der Temporärarbeit soziale Sicherheit. Diese ist im Personalverleih umfassender als in anderen flexiblen Arbeitsformen.[1] 82 Prozent der Flexibilitätssuchenden halten die soziale Absicherung für wichtig, ältere eher mehr als jüngere.

Vorteile auch für Unternehmen

Die Ergebnisse der Studie belegen die integrative Wirkung der Temporärarbeit für Menschen, die in wirtschaftliche Veränderungsprozesse geraten sind. Für Menschen, die bewusst flexibel arbeiten möchten, bietet die Erwerbsform eine gesunde Balance zwischen Flexibilität und sozialer Absicherung. Indem sie das Erwerbspotenzial ausschöpfen, entschärfen Temporärarbeitende den Arbeits- und Fachkräftemangel in der Gastronomie, im Detailhandel, in der IT und im Gesundheitswesen. Wo Abwanderungstendenzen bestehen wie in der Pflege, werden Fachkräfte dank flexiblem Gestaltungsspielraum im Beruf gehalten.

Diese Vorteile wissen Unternehmen zu schätzen. Die internationale Studie von Cranet (The Cranfield Network on International Human Resource Management), in der Schweiz geleitet von der Universität Luzern, belegt: Unternehmen beschäftigen Temporärarbeitende aufgrund kurzfristigen Personalbedarfs (88%), für Projektarbeiten (61%) und zur Bewältigung von Schwankungen im Geschäftsverlauf (48%). Ein Drittel der Unternehmen stellt dabei geringere Anforderungen an Temporärarbeitende.[2] Stellensuchende können somit die Gunst der Stunde nutzen – unabhängig davon, ob Arbeitsmarktintegration oder Flexibilität im Vordergrund steht.

  1. Siehe Swissstaffing (2022). []
  2. Siehe Pletscher, Sender und Staffelbach (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Ariane M. Baer, Marius Osterfeld (2023). Temporärarbeit: Die Gunst der Stunde nutzen. Die Volkswirtschaft, 03. Juli.

Die Studie

Im Zeitraum vom 10. Oktober bis zum 20. November 2022 befragte das Institut GFS Zürich im Auftrag von Swissstaffing, dem Verband der Personaldienstleister, online 6012 Menschen, die in der Schweiz im Jahr 2021 temporär gearbeitet hatten. Angeschrieben wurden insgesamt 72’325 Mitarbeitende von zwölf grossen und kleinen Temporärunternehmen. Die Rücklaufquote betrug 8,3 Prozent. Die Beobachtungen wurden nach Umfragerücklauf pro Unternehmen gewichtet.

Hier geht’s zur Originalstudie.