Wie wichtig ist Adam Smith heute noch?
Sein Werk überdauert die Zeiten: Statue von Adam Smith im schottischen Edinburgh, wo er bis zu seinem Tod 1790 lebte. (Bild: Alamy)
Sehr wichtig. Denn dem Moralphilosophen Smith war es mit seinem «Wealth of Nations» 1776 erstmals gelungen, ein zusammenhängendes Denkgebäude zu errichten, mit dem sich die Frage bearbeiten liess, wie gesamtwirtschaftlicher Fortschritt zustande kommt. Damit konnte sich die Volkswirtschaftslehre als eigenständige akademische Disziplin etablieren. Und noch heute bewegen wir uns in dem analytischen Rahmen, den Smith erdacht hat.
Er riet vor allem dazu, alles zu unterlassen, was den wirtschaftlichen Fortschritt hemmt. Das bedeutete für ihn in seiner Zeit vor allem, vom merkantilistischen Geist gestützte Privilegien abzuschaffen, die Kartellierungstendenz der Kaufleute nicht noch zusätzlich zu fördern und den Arbeitskräften nicht ihre Mobilität zu nehmen. Vieles davon ist noch heute ein guter Rat.
Adam Smith ist kein Freund des Egoismus.
Ich denke nicht. Natürlich hat die Volkswirtschaftslehre inzwischen Fortschritte gemacht – es wäre schlimm, wenn nicht. Aber Smith fordert uns noch immer heraus, vor allem mit dem, was wir heute als Interdisziplinarität seines Blicks bezeichnen würden und was für ihn als Philosophen damals selbstverständlich war. In seine ökonomische Analyse und in die darauf fussenden Politikempfehlungen baute er anthropologische, psychologische, ethische, historische und staatswissenschaftliche Aspekte mit ein. Wer kann das heute noch?
Beide sind eng verzahnt. In seiner «Theory of Moral Sentiments» von 1759 untersucht Smith die Tugenden und fragt zum einen, wie wir moralische Urteile über uns selbst und andere fällen, sowie zum anderen, wie sich normative Vorstellungen in der Gesellschaft entwickeln. Zur Erklärung konzipiert er einen dynamischen, interaktiven sozialen Prozess, in dem wir uns gegenseitig einen Spiegel vorhalten. Den wirtschaftlichen Fortschritt modelliert er nach exakt demselben Bauplan, als dynamischen, interaktiven sozialen Prozess, in dem nun aber die Arbeitsteilung die wichtigste Rolle spielt.
Unbedingt. Diese Metapher, die er im «Wealth of Nations» nur ein einziges Mal fallen lässt, ist völlig überschätzt. Seine Theorie ist viel komplexer. Smith ist kein Freund des Egoismus. Nach seiner Modellierung haben wir zwei Antriebe in uns, Eigenliebe und Nächstenliebe, und zwischen diesen gilt es eine Balance zu suchen. Wenn die Eigenliebe dominiert, wird sie zum Egoismus, und dieser schadet oft anderen – etwa den Armen, wenn gierige Kaufleute die Politik für ihre Zwecke kapern. Indes ist es ein Zeichen der Klugheit und in der Regel gemeinwohlförderlich, ein aufgeklärtes Eigeninteresse zu verfolgen. Klugheit ist eine Tugend.
Interview: «Die Volkswirtschaft»
Zitiervorschlag: Nachgefragt bei Karen Horn, Universität Erfurt (2023). Wie wichtig ist Adam Smith heute noch? Die Volkswirtschaft, 04. Juli.