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Start-up-Nation Schweiz: Wie lange noch bei Food- und Medtech?

Die Schweizer Foodtech- und Medtech-Branchen fordern bessere Startbedingungen für Jungunternehmen. Dazu gehören vereinfachte Gründungsprozesse sowie regulatorische Experimentierfreiheit.
Hamburger oder Veggieburger? Bei neuartigen Lebensmitteln fehlt eine Anerkennung der Gleichwertigkeit von Regelungen zwischen der Schweiz und der EU. (Bild: Keystone)

Der Bundesrat hat im Juni 2022 einen Richtungsentscheid für einen staatlichen Innovationsfonds getroffen.[1] Während in der Schweiz die Einführung eines solchen Innovationsfonds[2] noch im Bundesrat hängig ist, unterstützen andere Nationen wie die Niederlande, Belgien und das Vereinigte Königreich mit Milliardenprogrammen Hochtechnologie-Gründungen in der Wachstumsphase. Gegner eines Innovationsfonds verweisen gerne auf die florierende Schweizer Start-up-Landschaft. Dabei handelt es sich jedoch um ein Missverständnis, denn beim Innovationsfonds geht es nicht generell um Start-ups, sondern um sogenannte Scale-ups.

Scale-ups sind junge, innovative Unternehmen, welche die frühe unternehmerische Entwicklungsphase bereits erfolgreich gemeistert haben, jährlich mit 50 bis 100 Prozent exponentiell wachsen, im Schnitt zwischen 100 und 1000 Mitarbeitende beschäftigen und ein Finanzierungsvolumen von 20 bis 100 Millionen Franken aufweisen.[3] Scale-ups sind die Wachstumsmaschinen unter den Start-ups. Bekannte Schweizer Scale-ups sind und waren etwa das Umwelttechnologieunternehmen Climeworks oder der Sportartikelhersteller On. Sind solche Scale-ups mit mehr als einer Milliarde bewertet, spricht man auch von Unicorns – oder auf Deutsch: Einhörner.

Jungunternehmen schaffen Stellen

Hochrechnungen der Universität St. Gallen ergeben, dass zwischen 2021 und 2030 gegründete Start-ups und Scale-ups in der Schweiz 150’000 neue Arbeitsplätze schaffen und kumulativ eine Wertschöpfung von bis zu 455 Milliarden Franken generieren könnten.[4]

Wie steht das Schweizer Start-up-Ökosystem im internationalen Vergleich da? Und wo gibt es regulatorischen Handlungsbedarf? Diesen Fragen ist ein Forscherteam der Universität St. Gallen mit Expertinnen aus den Bereichen Entrepreneurship und Privatrecht nachgegangen und hat konkrete Handlungsempfehlungen formuliert. Die Studie «Unicorn Nation Switzerland»[5] entstand im Auftrag der Swiss Entrepreneurs and Startup Association (Swesa) und wurde durch die Mobiliar Versicherung finanziert.

Handlungsbedarf bei Lebensmitteln und Medizin

Die Studie mit einer Expertenbefragung in der Branche kommt zum Schluss, dass Unternehmerinnen und Unternehmer in den frühen Phasen insbesondere die bürokratischen Hürden beklagen. Dazu zählt etwa die obligatorische notarielle Beurkundung von Gründungsdokumenten. In späteren Phasen, die gerade bei Scale-ups wichtig sind, gewinnen dann steuerliche und finanzielle Anreize an Relevanz.

Besonders grossen Handlungsbedarf identifiziert die Studie in den Schweizer Vorzeigebranchen Lebensmitteltechnologie (Foodtech) und Medizintechnik (Medtech). Hier sehen sich die betroffenen Unternehmen mit hohen regulatorischen Hürden konfrontiert, insbesondere im Verhältnis zur EU: So erschwert die ausbleibende Aktualisierung des Mutual Recognition Agreement den Zugang zum EU-Markt für Schweizer Medtech-Produkte. Auch bei neuartigen Lebensmitteln fehlt eine gegenseitige Anerkennung von Zulassungen, weshalb auch hier weiterhin Harmonisierungsmassnahmen mit der EU anzustreben sind.

Um das schnellere Testen von Innovationen am Markt zu ermöglichen, wird zudem empfohlen, die Einführung einer sogenannten Regulatory Sandbox vertieft zu prüfen. Eine solche Sandbox kann Unternehmen befristet von Regulierungen ausnehmen und so ein frühzeitiges Ausprobieren und Experimentieren erlauben,[6] so wie ein Sandkasten Kindern ein möglichst freies und kreatives Spielen ermöglicht. Ein Beispiel ist die risikobasierte Regulierung im Rahmen der Fintech-Lizenz, welche durch tiefere regulatorische Anforderungen einen vereinfachten Zugang zum Finanzmarkt ermöglicht.[7] Auch zur Eindämmung der Kosten im Gesundheitssektor sind bereits Pilotprojekte möglich, welche von den Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes abweichen dürfen.[8]

Firmengründung vereinfachen: Das digitale Notariat

Unternehmensgründungen – insbesondere für Kapitalgesellschaften (z. B. AG, GmbH) – sind auch heute oftmals noch mit der Einreichung von Papieren und dem physischen Gang aufs Amt verbunden. Eine komplette Digitalisierung würde die zeitlichen und finanziellen Ressourcen von Start-ups spürbar entlasten. Bisher bieten jedoch erst 15 Kantone eine Option zum elektronischen Ausfertigen bestehender öffentlicher Urkunden an. Deshalb sollte die Einführung digitaler Verfahren auf Kantonsebene durch den Bund verpflichtend durchgesetzt werden. Ein erster Schritt in Richtung der digitalen Gründung wurde vom Parlament diesen Juni mit der Verabschiedung des Notariatsdigitalisierungsgesetzes gemacht.

Start-ups entstehen oft als Einzelunternehmen, da solche einfach und fast formfrei gegründet werden können, was Ressourcen spart. Die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft erfolgt erst später. Der Nachteil dabei ist, dass steuerfreie Kapitalgewinne bei einem Exit – also beim Verkauf des Start-ups – aufgrund einer gesetzlichen Sperrfrist frühestens fünf Jahre nach der Umwandlung realisiert werden können. Bei Nichteinhalten der Sperrfrist findet eine nachträgliche Besteuerung eines Teils des Erlöses als selbständiges Einkommen der Unternehmensgründerinnen und -gründer statt. Ein steuerneutraler Verkauf ist somit frühestens fünf Jahre nach der Umwandlung möglich, was bei schnell wachsenden Start-ups ein Hindernis darstellen kann. Die Studienautoren empfehlen deshalb, eine Lockerung dieser Frist oder eine Möglichkeit zur subjektiven Betrachtung zu prüfen. Letzteres würde Start-ups die Möglichkeit eröffnen, im Einzelfall nachzuweisen, dass ein Bedürfnis für eine steuerneutrale Umstrukturierung besteht. Alternativ wäre eine Absenkung des Mindestkapitals für Kapitalgesellschaften denkbar, um frühe Gründungen von Kapitalgesellschaften zu vereinfachen.

Klare Anreize für Business Angels

Die Start-up-Branche steht den regulatorischen Rahmenbedingungen für Frühphaseninvestments durch Privatpersonen – sogenannte Business Angels – kritisch gegenüber. Bei Business Angels besteht das Risiko, dass sie steuerlich als professionelle Wertschriftenhändler klassifiziert werden, wodurch Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Unternehmensanteilen an Start-ups der Einkommenssteuer unterliegen. Um dieser Unsicherheit zu begegnen, wird empfohlen, eine Anpassung des Kreisschreibens Nr. 36 der Eidgenössischen Steuerverwaltung sowie des Artikels 18 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) zu prüfen. Beide sollen so angepasst werden, dass eine Klassifizierung von Business Angels als gewerbsmässige Wertschriftenhändler ausgeschlossen ist. Alternativ könnte ein Start-up-Label eingeführt werden, um frühphasige Technologie-Unternehmen zu kennzeichnen. Dadurch würde ein Investment in ein solches Start-up unter Einhaltung von vordefinierten Kriterien per definitionem keinen gewerbsmässigen Wertschriftenhandel darstellen und somit bei Veräusserung ein steuerfreier Kapitalgewinn vorliegen.

Die Schweiz hat bei der Unterstützung von Jungunternehmen gegenüber ihren Nachbarländern beträchtliche Defizite. Geht sie diese nicht an, drohen erfolgsversprechende Wachstumsunternehmen abzuwandern. Durch gezielte und effektive Massnahmen, insbesondere die Revision relevanter regulatorischer Bereiche für Start-ups und Scale-ups, kann der Standort Schweiz langfristig im internationalen Wettbewerb gestärkt werden, wie die Studie «Unicorn Nation Switzerland» zeigt.

  1. Siehe Medienmitteilung «Bundesrat trifft Richtungsentscheid für einen Schweizer Innovationsfonds» auf Seco.admin.ch []
  2. Siehe Mattmann et al. (2022). []
  3. Siehe Grichnik, Hess et al. (2023). []
  4. In Anlehnung an Berechnungen für den deutschen Markt, siehe Dörner et al. (2021). []
  5. Siehe Grichnik, Müller-Chen et al. (2023). []
  6. Siehe Schneider et al. (2022). []
  7. Siehe Art. 1b BankG[]
  8. Siehe Art. 59b Abs. 2 KVG[]

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Dietmar Grichnik, Markus Müller-Chen, Sarah Maria Nordt, Jan Koch, Nadine Boss (2023). Start-up-Nation Schweiz: Wie lange noch bei Food- und Medtech. Die Volkswirtschaft, 31. August.