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Das Potenzial bei den Pensionierten ist hoch

In der Schweiz wird sich der Mangel an Personen in der beruflichen und der freiwilligen Arbeit verschärfen. Eine neue Studie zeigt: Der Wille, sich nach der Pensionierung beruflich oder freiwillig zu engagieren, ist weitverbreitet. Dieses Potenzial muss mobilisiert werden.
Pensioniert – und voller Energie: Viele Menschen wollen sich auch im Alter noch für die Gesellschaft nützlich machen. Ein früherer Seminarlehrer unterrichtet Zürichdeutsch. (Bild: Keystone)

Der demografische Wandel in der Schweiz ist in vollem Gang. Gemäss Szenario des Bundesamts für Statistik wird dadurch das Verhältnis der Rentner zu Erwerbstätigen in der Schweiz im Jahr 2050 auf 2:1 steigen. In ländlichen Regionen finden auch sogenannte Wanderverluste statt: Junge und gut qualifizierte Personen ziehen für Ausbildung und Beruf in urbane Zentren weg und bleiben dort. Dies beschleunigt in diesen Regionen den Anstieg des Anteils der über 65-Jährigen (Ü65) in der Bevölkerung zusätzlich. Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel deutlich spürbar[1]. Aber nicht nur die Wirtschaft sucht händeringend nach Personal – auch Vereine und Gemeinden sind auf Freiwillige und Ehrenamtliche angewiesen.

Ein grosses, bisher kaum erschlossenes Potenzial bieten die Seniorinnen und Senioren. Nicht nur der Anteil an älteren Personen hat sich verändert, sondern auch die Lebensgestaltung im Alter. Der Wandel hin zu einer «silbernen» Gesellschaft, in der ein grosser Teil der Bevölkerung mehrheitlich gesund und mit Energie aus dem Berufsleben ausscheidet, eröffnet neue Chancen. Die chancenorientierte Betrachtungsweise bleibt bislang im Hintergrund. In der öffentlichen Diskussion dominieren eher die Folgen des demografischen Wandels mit besonderem Fokus auf die Ungleichgewichte in den Sozialwerken oder die steigenden Gesundheitskosten. Auch Unternehmen tun sich (noch) schwer mit der Nutzung dieser Ressource «Alter». Vereinzelt bieten sie in einem systematischen Ansatz an, Personen über das ordentliche Rentenalter hinweg zu beschäftigen.

Viele Pensionierte wollen weiterarbeiten

Im Rahmen des Forschungsprojekts «Plus 65» der Fachhochschule Graubünden wurden schweizweit Seniorinnen und Senioren zu ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement und ihrer Absicht, über das Pensionsalter hinaus zu arbeiten, befragt. Dabei zeigt sich: Der Wunsch, nach dem ordentlichen Pensionsalter weiterzuarbeiten, ist weitverbreitet. Von 317 befragten Personen haben bei den Männern 38 Prozent und bei den Frauen 28 Prozent Teilzeit weitergearbeitet. Bei den Männern haben 7 Prozent und bei den Frauen 2 Prozent sogar Vollzeit weitergearbeitet. Bei den Seniorinnen und Senioren ohne Erwerbsarbeit haben 45 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen angegeben, sie hätten gerne Teilzeit nach ihrer Pensionierung weitergearbeitet. Jeweils 6 Prozent der Männer und Frauen haben angegeben, sie hätten sogar gerne Vollzeit weitergearbeitet (siehe Abbildung 1). Der Wunsch, nach dem ordentlichen Pensionsalter teilzeitlich einer Erwerbsarbeit nachzugehen, ist demnach ein nicht zu vernachlässigendes Bedürfnis vieler Seniorinnen und Senioren.

Abb. 1: Wunsch, nach der Pensionierung weiterzuarbeiten (nicht arbeitstätige Pensionierte, 2022)

Quelle: Fachhochschule Graubünden / Die Volkswirtschaft

 

Die Gründe für den Wunsch nach einer Weiterarbeit wurden in der Umfrage nicht ermittelt. Ein Indiz könnte jedoch folgende Analyse liefern: Zu den Personengruppen, die über das ordentliche Pensionsalter hinaus gerne gearbeitet hätten, gehören auch Personen, die überdurchschnittlich freiwillig engagiert sind oder sich freiwillig engagieren wollen (siehe Abbildung 2). Das heisst, die Motivation bezieht sich nicht nur auf die Erwerbsarbeit, sondern auch auf das freiwillige Engagement. Der grosse Pool an willigen Seniorinnen und Senioren steht demnach nicht nur den Arbeitgebern zur Verfügung, sondern auch den vielfältigen Non-Profit-Organisationen wie zum Beispiel Sport- und Kulturvereinen, karitativen Organisationen und politischen Behörden. Weiter zeigt sich, dass Engagierte beziehungsweise Personen, die sich zukünftig engagieren wollen, in ihrem Berufsleben öfter eine Kaderfunktion innehatten.

Abb. 2: Wunsch, nach der Pensionierung weiterzuarbeiten, je nach derzeitigem Engagement (2022)

 

Anmerkung: Die Zurückgezogenen haben kein Engagement und möchten in Zukunft auch keines. Bloomer sind derzeit engagiert, wollen in Zukunft aber kürzertreten. Fragezeichen sind Personen, die aktuell nicht engagiert sind, aber in Zukunft sich engagieren möchten. Stars sind Personen, die sich freiwillig engagieren und dies auch in Zukunft tun möchten.
Quelle: Fachhochschule Graubünden / Die Volkswirtschaft

 

Arbeitsbedingungen anpassen

Aus diesen Erkenntnissen[2] können folgende Empfehlungen abgeleitet werden: Unternehmen können mit innovativen Modellen Seniorinnen und Senioren im Arbeitsprozess halten – eine gewisse Bereitschaft der Seniorinnen und Senioren hierfür ist aus den Daten klar ersichtlich. Dies kann ein wichtiges Puzzleteil zur Entschärfung des Fachkräftemangels sein. Die Arbeitsbedingungen müssen jedoch auch ein freiwilliges Engagement neben dem Job zulassen – da die willigen Seniorinnen und Senioren freiwillig engagiert sind und dies auch in Zukunft sein möchten. Hier gilt es, vor allem die Arbeitszeitflexibilität im Auge zu behalten.

Seniorinnen und Senioren wollen die neu gewonnene Flexibilität nach der Pensionierung durch ein freiwilliges Engagement oder eine Teilzeitarbeitsstelle nicht vollends aufgeben. Hier innovative und für beide Seiten nutzenstiftende Modelle zu finden, wird eine wichtige Teiletappe zur Entschärfung des Fachkräftemangels darstellen. Ein Beispiel könnte eine zeitlich flexible Teilzeitanstellung mit Beratungsfunktion über die Pensionierung hinaus sein. Ehrenamtliche Organisationen können beispielsweise zeitlich flexible Ämter für ein Engagement schaffen und gezielt Seniorinnen und Senioren dafür anfragen.

Massnahmen wie diese können einen Beitrag dazu leisten, pensionierte Personen mit viel Know-how und Erfahrung in Unternehmen und Non-Profit-Organisationen (inkl. Behörden und Gemeinden) weiterzubeschäftigen. Sie können damit gemeinschaftsstärkend wirken und zu einer höheren Befriedigung auf individueller Ebene beitragen. Und nicht zuletzt liesse sich mit diesen Massnahmen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Produktivität erhöhen.

 

  1. Siehe Adecco Group (2022). Fachkräftemangel Index Schweiz 2022[]
  2. Die Studie und die Toolbox zum Projekt «Plus 65» können bei der Fachhochschule Graubünden hier oder direkt bei den Autoren bestellt werden. []

Zitiervorschlag: Dario Wellinger, Curdin Derungs (2023). Das Potenzial bei den Pensionierten ist hoch. Die Volkswirtschaft, 12. September.