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Der Fachkräfte­mangel fordert (auch) das Bildungssystem

Die Schweizer Wirtschaft und damit auch der Arbeitsmarkt unterliegen einem stetigen Wandel. Arbeitnehmende auf allen Qualifikationsstufen sind betroffen. Mit diversen Massnahmen trägt das Bildungssystem dazu bei, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Die Weichen für oder gegen eine spätere Mathematik- oder Informatiklaufbahn werden früh gestellt. Ein Junge beugt sich in der Tagesschule über Mathe-Aufgaben. (Bild: Keystone)

«Bildung» ist zuallererst eine Bezeichnung für die Formung des Menschen im Hinblick auf sein selbstverantwortliches Denken und Handeln. Da die über Bildung erworbenen Kompetenzen auch wichtige Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit sind, schliesst sie monetäre Aspekte mit ein. Dies gilt für das Individuum selbst und, natürlich, für die Wirtschaft.

Im Kontext des Fachkräftemangels ist einerseits relevant, wie viele Personen überhaupt ins Bildungssystem eintreten, Abschlüsse erlangen und auf den Arbeitsmarkt kommen. Angesichts gestiegener Geburtenzahlen prognostiziert das Bundesamt für Statistik (BFS) für die nächsten zehn Jahre auf allen Bildungsstufen und in allen Bildungsgängen eine Zunahme bei den Lernenden und Abschlüssen.

Andererseits ist entscheidend, ob die Schweizer Bevölkerung in Bezug auf ihre Qualifikationen so ausgebildet ist, dass sie arbeitsmarktfähig ist. Die Tertiärquote (Abschluss Hochschule oder höhere Berufsbildung) steigt weiter an: Heute besitzt bereits jede zweite 25- bis 34-jährige Person einen Abschluss (beruflich oder akademisch) auf Tertiärstufe. Dies ist eine gute Nachricht, denn der Fachkräftemangel ist in jenen Berufen am ausgeprägtesten, die eine tertiäre Ausbildung erfordern. Darüber hinaus zeigt das BFS, dass in Bildungsfeldern mit überdurchschnittlichem Bedarf an Fachkräften erwartungsgemäss auch die Anzahl ausgebildeter Personen überdurchschnittlich zunehmen wird. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Angebot und Nachfrage automatisch in allen Fachbereichen decken. Auch variiert der Fachkräftebedarf stark zwischen einzelnen Berufsfeldern.

Berufs- und Weiterbildung

Daher schafft die Bildungspolitik Anreize und gute Rahmenbedingungen für eine solide Ausbildung sowie Möglichkeiten zur Nach- und Höherqualifizierung. Die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften liegt im ureigenen Interesse der Wirtschaft, sie sichert sich so ihren Berufsnachwuchs. Die Organisationen der Arbeitswelt (Sozialpartner, Berufs- und Branchenverbände) legen die Inhalte der Berufsbildungsabschlüsse praxisnah fest: Es wird gelehrt, was auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt ist. Diese Nähe der Bildungsinhalte zum Arbeitsmarkt schützt vor Ineffizienzen beziehungsweise Transaktionskosten am Übergang von der Bildung zum Arbeitsmarkt. Denn ein Unternehmen, das eine ausgelernte Fachperson anstellt, kann sicher sein, dass diese genau jene Kompetenzen mitbringt, die in Betrieb und Branche benötigt werden und die auf die Anforderungen einer sich laufend verändernden Arbeitswelt abgestimmt sind. In der Schweiz besteht hier ein umfangreiches Angebot an Weiterbildung. Erwachsene können sich unabhängig von Branche und Qualifikationsstufe rasch neue Kenntnisse aneignen und mit den Veränderungen in der Arbeitswelt Schritt halten.

Ein- und Wiedereinstieg sollen erleichtert werden

Bund und Kantone unterstützen Erwachsene beim Ein- und Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt wie auch beim Umstieg mit flexiblen und durchlässigen Strukturen und Beratung. Ein Beispiel dafür ist der Berufsabschluss für Erwachsene. Ausserdem fördert das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) die Weiterbildung und das lebenslange Lernen – beispielsweise mit Massnahmen zur Förderung von Grundkompetenzen oder dem Förderschwerpunkt «Einfach besser!… am Arbeitsplatz». Eines der Ziele ist, die Arbeitsmarktfähigkeit gering qualifizierter Personen zu verbessern.

Laut Bildungsbericht Schweiz 2023 sind manuelle Tätigkeiten immer weniger gefragt, kognitive Nichtroutinetätigkeiten umso mehr. Der Bund fördert deshalb die höhere Berufsbildung – zum Beispiel indem er Absolventinnen und Absolventen von eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen direkt finanziell unterstützt und die höheren Fachschulen im Bildungssystem besser positioniert.

Auch universitäre Hochschulen, Fachhochschulen und pädagogische Hochschulen spielen eine bedeutende Rolle bei der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften, ganz besonders in den Bereichen Mint (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, dazu weiter unten), Gesundheit, Medizin sowie Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Die Aus- und Weiterbildung ist in den strategischen Zielen der Träger (Kantone bzw. Bund) und den Planungen der Hochschulen verankert. Um den Mangel zu lindern, ist die Ausbildung von Fachkräften 2021–2024 auch im Fokus der Rektorenkonferenz Swissuniversities und der Schweizerischen Hochschulkonferenz (SHK). Sie wird auch in der Periode 2025–2028 prioritär bleiben.

Bund und Kantone unterstützen die Ausbildung von Fachkräften

Bund und Kantone anerkennen die Bedeutung der Fachkräfteausbildung und tragen dieser in der Grundfinanzierung der Hochschulen entsprechend Rechnung. Die SHK unterstützt zudem mittels projektgebundener Beiträge Kooperationsprogramme der Hochschulen, welche die Fachkräfteausbildung zum Ziel haben. Dazu gehörte in der Vergangenheit das Sonderprogramm Humanmedizin 2017–2020: Die Kapazitäten für Studienplätze konnten damit erhöht und die Hausarztausbildung und die Interprofessionalität gestärkt werden. Das nationale Netzwerk zur Förderung der Mint-Bildung ist ein anderes Beispiel: Mit der Förderung der hochschultypenübergreifenden Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen bezweckt das Netzwerk, die Mint-Fächer in der obligatorischen Schule aufzuwerten.

Wichtig sind auch die laufenden Kooperationsprogramme zur Stärkung der digitalen Kompetenzen, der Chancengleichheit und der Diversität sowie zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Der Bund unterstützt zudem über den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) die Karrieren und das Kompetenzprofil des wissenschaftlichen Nachwuchses. Innosuisse fördert gezielt auch unternehmerische Kompetenzen.

Informatikunterricht ist jetzt obligatorisch

Im OECD-Vergleich bildet die Schweiz zwar relativ viele Studierende im Bereich Mint aus. Doch der Bedarf an hoch qualifizierten Mint-Fachkräften ist und bleibt ein Thema. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Weichen für oder gegen eine «Mint-Ausbildung» schon früh gestellt werden, nämlich in der Phase zwischen Kindergarten und Sek I.

Aus diesem Grund führen die Akademien der Wissenschaften Schweiz (a+), mandatiert vom SBFI, seit 2013 das Programm «MINT Schweiz». a+ entwickelt hier einerseits eigene Projekte wie etwa «Swiss TecLadies», ein Mentoringprogramm, das explizit auf Mädchen fokussiert. Anderseits unterstützt a+ im Rahmen von «MINT Schweiz» auch schulergänzende Angebote wie beispielsweise «NaTech bewegt – Immer einen Schritt voraus»: Die Pädagogische Hochschule Thurgau stellt damit ein Format für Projektwochen zur Verfügung, in denen Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klasse das Thema Nachhaltige Stadtentwicklung bearbeiten.

Angesichts der zunehmenden Digitalisierung schliesslich haben die Kantone beschlossen, schweizweit an allen Gymnasien den Unterricht von Informatik als obligatorisches Fach im Lernbereich «Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften» einzuführen. Die künftigen Fachkräfte, die im Schuljahr 2022/2023 ins Gymnasium eingetreten sind, sind die ersten, für die diese Neuerung gilt.

Zitiervorschlag: Dani Duttweiler, Marco Scruzzi, Alice Leibundgut (2023). Der Fachkräfte­mangel fordert (auch) das Bildungssystem. Die Volkswirtschaft, 12. September.