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Diese Stellen sind besonders vom Fachkräftemangel betroffen

In der Schweiz hat der Fachkräftemangel seit Aufhebung der Corona-Schutzmassnahmen ein historisches Ausmass angenommen. Welche Stellenmerkmale erschweren es, eine Stelle zu besetzen? Eine Studie gibt Aufschluss.
Besonders schwierig zu finden: Eine Stelle für einen Heizungsinstallateur bleibt durchschnittlich 76 Tage online. Demontage eines Ölheizkessels. (Bild: Keystone)

Der gegenwärtige Fachkräftemangel ist getrieben von der demografischen Entwicklung (Stichwort Alterungseffekt) und dem Stellenwachstum. Früher beschränkte er sich auf einige Berufsfelder wie beispielsweise technische und naturwissenschaftliche Berufe. Heute erstreckt er sich über verschiedenste Bereiche der Schweizer Wirtschaft. Analysen zum Fachkräftemangel stützen sich meist auf Unternehmensumfragen oder gesamtwirtschaftliche Masszahlen wie die Anzahl offener Stellen. Im Zentrum steht jeweils der Vergleich des Fachkräftemangels zwischen Branchen, Berufsgruppen oder Regionen. Jedoch: Ein hoher Fachkräftemangel im Gesundheitswesen heisst nicht automatisch, dass Ärzte, Pflegefachfrauen und Praxisassistentinnen in gleichem Ausmass fehlen.

Um den Fachkräftemangel in der Schweiz besser zu verstehen, haben das Beratungsbüro BSS und die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes untersucht, welche Stellenmerkmale es erschweren, eine Stelle zu besetzen. Für die neue Studie[1]haben die Autoren rund 3,1 Millionen Online-Stelleninserate der Firma x28-AG ausgewertet, die zwischen 2018 und 2021 in der Deutsch- oder der Westschweiz publiziert wurden. Die Daten decken nahezu alle Online-Stelleninserate in jener Periode ab.

Die Vakanzdauer als Mangelindikator

Die Vakanzdauer bezeichnet die Zeitdauer von der Publikation eines Stelleninserats bis zu dessen Löschung. In der Studie dient sie als Indikator für den Fachkräftemangel in einem spezifischen Arbeitsmarktsegment.[2] Dahinter steht der einfache Gedanke, dass sich der Fachkräftemangel dadurch kennzeichnet, dass auf dem Arbeitsmarkt bei den vorherrschenden Arbeitsbedingungen vergleichsweise wenig Stellensuchende auf viele offene Stellen treffen. Daher bleiben diese überdurchschnittlich lange ausgeschrieben. So analysiert die Studie, wie die Vakanzdauer von Beruf, Branche, Arbeitsort, geforderten Kompetenzen und anderen Stellenmerkmalen abhängt.

Fachkräftemangel verursacht volkswirtschaftliche Kosten

Gesamtschweizerisch sind offene Stellen durchschnittlich 43 Tage online ausgeschrieben. Die Bandbreite der Vakanzdauer variiert dabei stark – so ist etwa jede zehnte Stelle mehr als 100 Tage online aufgeschaltet. Übermässig lange Suchprozesse, so darf man annehmen, führen zu Produktionseinbussen bei Firmen und damit zu volkswirtschaftlichen Kosten. Eine grobe Schätzung zeigt, dass allein übermässig lange Wartezeiten bis zur Stellenbesetzung einen Wertschöpfungsverlust von bis zu 0,66 Prozent des Bruttoinlandprodukts oder jährlich fast 5 Milliarden Franken verursachen.

Die Unterschiede zwischen Branchen und Regionen sind gross. So ist die durchschnittliche Vakanzdauer in der Branche «Architektur und Planung» mit 62 Tagen deutlich höher als in der Branche der «Öffentlichen Verwaltung» mit 29 Tagen. Auch das Baugewerbe, die Umwelttechnik, die Informatik und verschiedene MEM-Branchen (Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie) verzeichnen gemessen an der mittleren Vakanzdauer einen hohen Fachkräftemangel. Regional zeigt sich ein Ost-West-Gefälle: Am höchsten ist die mittlere Vakanzdauer in der Inner- und der Ostschweiz sowie im Kanton Aargau (siehe Abbildung 1). Stellen im Kanton Glarus sind durchschnittlich 50 Tage, jene in Genf und der Waadt durchschnittlich 38 Tage online.

Abb. 1: Durchschnittliche Vakanzdauer nach Kanton

Anmerkungen: Die Grafik zeigt die durchschnittliche Vakanzdauer offener Stellen in Tagen nach Kanton. Stellenausschreibungen aus dem Tessin wurden nicht in die Analyse mit einbezogen. Zeitraum: Publikationsdatum in 2018–2021.
Quelle: KOF / BSS / Die Volkswirtschaft

 

Heizungsinstallateure sind am schwierigsten zu finden

Zwischen den Berufen sind die Unterschiede noch ausgeprägter. Eine Stelle für eine Sekretariatsfachkraft wird durchschnittlich nach 23 Tagen vom Netz genommen, jene für einen Heizungsinstallateur bleibt 76 Tage online (siehe Abbildung 2). Insgesamt zeigt sich, dass der Fachkräftemangel bei Büro- und Sekretariatskräften und Hilfsarbeitskräften gering ist. Am grössten ist er in einigen technischen Berufen der Industrie und des Baugewerbes, die ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) verlangen. Darunter fallen etwa Zimmerleute, Poliere und Vorarbeiter, Sanitärinstallateurinnen oder technische Zeichner. Dies heisst nicht, dass tertiär gebildetes Personal einfach zu finden wäre: In Informatikunternehmen fehlt mehrheitlich Personal mit tertiären Qualifikationsanforderungen wie etwa Softwareingenieurinnen. Im Gesundheitswesen sind neben Fach- und Allgemeinärzten auch gewisse Pflegeprofile und Stellen für Medizintechnikerinnen schwierig zu besetzen.

Abb. 2: Die 10 Berufe mit der höchsten und die 10 Berufe mit der tiefsten Vakanzdauer

 

Anmerkungen: Die Grafik zeigt Statistiken (Durchschnitt und Quantile) zur Vakanzdauer offener Stellen nach Beruf (CH-ISCO-19 5-stellig). Zeitraum: Publikationsdatum in 2018–2021.
Lesehilfe am Beispiel des Heizungsinstallateurs: Stellen in diesem Beruf sind durchschnittlich 76 Tage online ausgeschrieben (mittlerer Punkt). Eine von fünf Stellen in diesem Beruf ist aber nur höchstens 25 Tage online ausgeschrieben (linker Punkt). Eine von fünf Stellen in diesem Beruf bleibt umgekehrt sogar 130 Tage oder länger online (rechter Punkt).
Quelle: x28 / KOF / BSS, eigene Berechnungen / Die Volkswirtschaft

 

Die Studie beleuchtet auch den Mangel an Kompetenzen und Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Eine besonders lange Vakanzdauer haben nicht nur Stellen, die harte Skills wie Deutsch- oder Programmierkenntnisse erfordern, sondern auch jene, die gewisse Soft Skills wie Begeisterungsfähigkeit, Einsatzbereitschaft, Gewissenhaftigkeit oder Verantwortungsbewusstsein verlangen. Im Arbeitsmarkt mangelt es somit nicht nur an Fachwissen, sondern auch an ausgewählten nicht kognitiven, übertragbaren Fähigkeiten.

KMU stärker von Fachkräftemangel betroffen

Schliesslich ermittelt die Studie mit einer Regressionsanalyse, welche Stellenmerkmale mit einer langen Vakanzdauer einhergehen, wenn man die Stelle in den anderen Dimensionen statistisch vergleichbar macht. So zeigt sich etwa: Die öffentliche Verwaltung kann Stellen schneller besetzen als andere Branchen, die Stellen mit vergleichbarem Profil ausschreiben – also etwa gleichem Beruf, gleichen Kompetenzanforderungen und gleichem Arbeitsort. Auch Non-Profit-Organisationen (NPO) sowie staatsnahe Branchen wie das Bildungswesen, die Luftfahrt und die Energieversorgung können Stellen rascher besetzen als andere Branchen, die ähnliche Profile rekrutieren. Im Bau- und im Gastgewerbe sind die Stellen hingegen vergleichsweise lange online.

Zudem ist die Stelle eines grossen Unternehmens mit mindestens 250 Beschäftigten im Schnitt 9 Tage weniger lange online als Stellen mit ähnlichem Profil von kleinen und mittelgrossen Unternehmen. Eine mögliche Erklärung ist, dass Grossunternehmen attraktivere Arbeits- und Lohnbedingungen bieten. Auch gibt es Evidenz, dass Teilzeitstellen und solche mit Angabe eines flexiblen Arbeitspensums (z. B. 80–100%) einfacher zu besetzen sind als reine Vollzeitstellen. Und: Je mehr Kompetenzen Unternehmen fordern, desto länger suchen sie. Dies gilt auch dann, wenn man Stellen mit ansonsten identischen Merkmalen miteinander vergleicht.

Potenzial der Daten noch nicht ausgeschöpft

Die Daten und Methoden der Studie erlauben es im Prinzip sogar, die Vakanzdauer jeder Stellenausschreibung vorherzusagen. Zum Beispiel lässt sich gemäss den Schätzungen in St. Gallen eine Vollzeitstelle als Bauingenieur in einem Bau-KMU, das Reisebereitschaft, Englisch und Innovationskraft fordert, nur sehr schwer besetzen. Diese facettenreichen Erkenntnisse führen zu einer differenzierteren Betrachtung des Fachkräftemangels. Sie können Wirtschaft und Politik wichtige Hinweise liefern, welche Massnahmen geeignet sind, um diesen zu bekämpfen.

  1. Siehe Kaiser et al. (2023). []
  2. Gemäss Wissensstand der Autoren wurde die Vakanzdauer offener Stellen als Knappheitsindikator auf dem Schweizer Arbeitsmarkt erstmals von Sheldon (1988) verwendet. Eine weitere Anwendung findet sich in einer jüngeren Studie zum Bedarf an ICT-Kompetenzen (Sheldon 2020). []

Literaturverzeichnis
  • Kaiser, B., Möhr, T. und M. Siegenthaler (2023). Welche Stellen sind von Fachkräftemangel betroffen? Erkenntnisse aus der Analyse der Vakanzdauer von Stelleninseraten. BSS Volkswirtschaftliche Beratung und KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Studie im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.
  • Sheldon, G. (1988). Qualitative Ungleichgewichte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Swiss Journal of Economics and Statistics (SJES), 124(III), 259–275.
  • Sheldon, G. (2020). Bedarf und Knappheit an ICT‐Kompetenzen in der Schweizer Wirtschaft im Zeitraum 2012–19, im Auftrag der Fondation CH2048.

Bibliographie
  • Kaiser, B., Möhr, T. und M. Siegenthaler (2023). Welche Stellen sind von Fachkräftemangel betroffen? Erkenntnisse aus der Analyse der Vakanzdauer von Stelleninseraten. BSS Volkswirtschaftliche Beratung und KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Studie im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.
  • Sheldon, G. (1988). Qualitative Ungleichgewichte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Swiss Journal of Economics and Statistics (SJES), 124(III), 259–275.
  • Sheldon, G. (2020). Bedarf und Knappheit an ICT‐Kompetenzen in der Schweizer Wirtschaft im Zeitraum 2012–19, im Auftrag der Fondation CH2048.

Zitiervorschlag: Boris Kaiser, Michael Siegenthaler, Simon Wey (2023). Diese Stellen sind besonders vom Fachkräftemangel betroffen. Die Volkswirtschaft, 08. September.