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Duale Berufsbildung lindert den Fachkräftemangel

Fachkräfte verfügen per Definition über fachliche Kompetenzen, die sie von unqualifizierten Arbeitskräften unterscheiden. Damit trägt potenziell jede Ausbildung zur Linderung des Fachkräftemangels bei. Dies gilt besonders für die berufliche, betrieblich basierte Grundbildung.

Duale Berufsbildung lindert den Fachkräftemangel

Die betriebliche Grundausbildung trägt dazu bei, den Mangel an Fachkräften zu reduzieren. Eine Lernende an einem Apparateglasbläser in der Metroglas AG. (Bild: Keystone)

Ziel von Bund und Kantonen ist es, dass mindestens 95 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner im Alter von 25 Jahren über einen nachobligatorischen Schulabschluss verfügen – genannt auch Abschluss auf Sekundarstufe II. Dazu zählen die gymnasiale Maturität, der Abschluss einer Fachmittelschule und die Berufslehre mit oder ohne Berufsmaturität.

Die duale Berufsbildung ist ein sehr effektives Bildungsangebot, um das 95-Prozent-Ziel zu erreichen. Dies zeigt sich schon an folgendem Fakt: In Kantonen mit einem sehr hohen Anteil an Eintritten in die berufliche Grundbildung (Betriebslehre) liegt auch die Erfolgsquote auf Sekundarstufe II (nachobligatorischer Schulabschluss) deutlich höher als in Kantonen mit hohen Anteilen an allgemeinbildenden Bildungstypen (Gymnasien und Fachmittelschulen).

Das Stigma der Berufsbildung

Auch wenn die Gründe für diesen Zusammenhang nicht abschliessend benannt und in ihrer Bedeutung nicht quantifiziert werden können, gibt es ein paar Hinweise darauf, warum dem so ist. Je höher der Anteil am allgemeinbildenden Bildungssystem ist, desto kleiner ist der Pool der möglichen Lernenden in den Betrieben – dies sowohl quantitativ als auch qualitativ. Ersteres führt – dies lässt sich im Ausland gut beobachten – zu einer Stigmatisierung der Berufsbildung. Diese wiederum führt dazu, dass zu viele junge Menschen die Allgemeinbildung nur deshalb wählen, um diesem Stigma zu entkommen. Das hat Folgen auf qualitativer Ebene: Sind Jugendliche schulisch in den allgemeinbildenden Schulen – den Gymnasien und den Fachmittelschulen – überfordert, führt dies dort zu hohen Abbruchquoten. Dies hat potenziell negative Folgen für den Bildungserfolg insgesamt: Teilweise brechen Jugendliche, die scheitern, weitere Ausbildungen ab und enden ohne nachobligatorischen Bildungsabschluss.

Zudem, und vielleicht eher erstaunlich, zeigt die empirische Analyse, dass Betriebe mit Kandidatinnen und Kandidaten für eine Berufslehre, die weniger gute schulische Leistungen haben, nicht unbedingt auf das Angebot an anspruchsvollen Lehrberufen verzichten. Dies wiederum führt dazu, dass auch mehr Lernende in der Berufsbildung selbst scheitern.[1]

Tatsache ist: An Orten mit einer hohen Nachfrage nach Lehrstellen und einem entsprechenden Angebot in den Betrieben ist auch der Anteil jener jungen Menschen tief, die gar keine nachobligatorische Ausbildung machen – und somit auch keinen Beitrag zur Linderung des Fachkräftemangels leisten können.

Früher Realitätscheck

Die Berufsbildung sorgt also dafür, dass mehr Leute mit mindestens einem Abschluss auf Sekundarstufe II auf den Arbeitsmarkt treten. Es zeigen sich noch zwei weitere wichtige quantitative und qualitative Effekte. Diese entstehen dadurch, dass sowohl die Zahl der Ausbildungen in einem spezifischen Lehrberuf als auch die spezifisch auf diesen Beruf hin ausgebildeten Personen die Folge eines doppelten Passungsprozesses sind. Erstens wird quantitativ weniger häufig an den Marktbedürfnissen vorbei ausgebildet, weil die Präferenzen der ausbildungswilligen Personen quantitativ auch auf ein entsprechendes Ausbildungsangebot treffen müssen. Wo dies nicht der Fall ist, müssen sich die betroffenen Personen beruflich umorientieren.

Zweitens und nicht weniger wichtig ist die Passung der spezifischen Person mit dem Ausbildungsplatz, also der Berufslehre. Selbst wenn Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind, garantiert dies noch lange nicht, dass die Personen, die sich für einen bestimmten Beruf interessieren, auch genau über jene Eignung verfügen, die von Ausbildungsbetrieben erwartet wird. Der Prozess der Berufswahl bei der betrieblichen Grundbildung garantiert deshalb besser als alternative Ausbildungswege, dass am Schluss nicht quantitativ oder qualitativ an den Marktbedürfnissen vorbei ausgebildet wird. Dies ist entscheidend: In Ländern ohne nennenswerte betrieblich gesteuerte Berufsbildung liegt der Grund für Fachkräftemangel weniger darin, dass ausgebildete Personen fehlen. Vielmehr gibt es eine hohe Zahl an falsch, das heisst nicht für die Mangelberufe ausgebildete Personen. Das Risiko hierfür wäre auch in der Schweiz durchaus nicht vernachlässigbar (siehe Abbildung).

Anteil der Suchanfragen nach Lehrstellen (Wünsche) und Anteil der abgeschlossenen Lehrverträge (Realisationen) (2021/22)

Anmerkung: Deckt sich der Wunsch von Jugendlichen nach einer bestimmten Lehrstelle mit dem Angebot? Suchanfragen auf der Plattform der Online-Stellenbörse für Schnupperlehren und Lehrstellen (Lehrstellennachweis, Lena) geben Hinweise.
Lesehilfe: Die Abbildung stellt den Anteil der vierzig meistgewählten Lehrberufe in der Schweiz dem Anteil gegenüber, der sich bei den Suchanfragen nach diesen Lehrberufen auf der Lena-Plattform während eines Jahres ergibt. Gewisse Berufe entsprechen bezüglich Attraktivität dem Anteil der tatsächlich unterschriebenen Lehrverträge (z. B. Fachmann/-frau Betreuung). Andere Lehrberufe würden entweder deutlich häufiger ergriffen, wenn die Ausbildungswilligen frei entscheiden könnten (z. B. Kaufmann/-frau, Detailhandelsfachmann/-frau oder Informatiker/in) – oder deutlich weniger gewählt als tatsächlich ausgebildet werden (z. B. Fachmann/-frau Gesundheit und Koch/Köchin).
Quelle: Berechnungen von Samuel Lüthi (SKBF) und Daniel Goller (Universität Bern) / Die Volkswirtschaft

 

Berufliche Mobilität ist gegeben

Der Realitätscheck kommt für junge Leute sehr früh und die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes sind nicht statisch, sondern dynamisch. Deswegen gilt: Um den Fachkräftemangel zu lindern, ist es wichtig, dass sich Personen auch nach einer beruflichen Grundbildung weiterentwickeln können. Die Längsschnittanalysen des Bundesamtes für Statistik zeigen, dass nicht nur die berufliche Mobilität nach einer beruflichen Grundbildung recht hoch ist – sie bewegt sich im Durchschnitt auch in Richtung Mangelberufe. Dies ist besonders dann der Fall, wenn nach der beruflichen Grundbildung noch eine tertiäre Ausbildung, sei es an einer Fachhochschule oder in Form einer höheren Berufsbildung, angeschlossen wird. Damit steigt der Anteil jener Erwerbstätigen, die in einem Beruf mit überdurchschnittlichem Fachkräftemangel tätig sind, von rund 30 Prozent nach Abschluss der Lehre auf fast 60 Prozent nach Abschluss der tertiären Ausbildung.[2]

Aber auch ohne eine tertiäre Ausbildung bewegen sich viele junge Leute innerhalb der ersten fünfeinhalb Jahre nach Abschluss der Berufslehre in Richtung jener Berufe weiter, bei denen die Mangelerscheinungen grösser sind. Dies zeigt, dass die berufliche Grundbildung bei der Vermittlung der Kompetenzen auch genügend breit aufgestellt ist: Sie ermöglicht nicht nur eine betriebliche, sondern auch eine berufliche Mobilität. Gleichzeitig ist diese Mobilität, so erwünscht sie aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive ist, für weniger attraktive Berufe – sei es bezüglich Lohnes, Arbeitsbedingungen oder Ansehen – ein Problem: Sie verlieren ihre ausgebildeten Fachkräfte überdurchschnittlich häufig an attraktivere Berufe. Der überdurchschnittliche Fachkräftemangel in gewissen handwerklichen Berufen wie Heizungs-, Sanitärinstallateuren oder Zimmerleuten und Spenglern ist deshalb weniger Zeichen eines Marktversagens der Berufsbildung. Sie ist eher die Folge einer arbeitsmarktlichen Dynamik, die wiederum Folge einer Ausbildungsform ist, die nicht in eine berufliche Sackgasse führt.

Arbeiten während der Ausbildung

Ausserhalb der Berufsbildung ist es die Ausnahme, dass Leute in Ausbildung Stellen besetzen, um den Fachkräftemangel zu lindern – Beispiel sind Studierende der Pädagogischen Hochschulen, die an Schulen eingesetzt werden. Diese Form des Einsatzes während der Ausbildung findet in der beruflichen Grundbildung jedoch permanent statt. Natürlich arbeiten Lernende nicht während der ganzen Woche im Betrieb. Und während sie im Betrieb sind, verrichten sie nicht nur qualifizierte Arbeit. Und wenn sie qualifizierte Arbeit leisten, tun sie dies nicht mit derselben Produktivität wie ausgelernte Fachkräfte. Trotzdem und konservativ gerechnet kann man davon ausgehen, dass Lernende jedes Jahr rund 40’000 vollzeitäquivalente Stellen in der betrieblich basierten beruflichen Grundbildung ausfüllen. Dies ist mehr als nur ein Tropfen Wasser auf den heissen Stein in Zeiten, in welchen Betriebe in unterschiedlichsten Branchen und Berufen händeringend um jede Fachkraft kämpfen.

  1. Siehe Jaik (2020). []
  2. Siehe BFS (2020). []

Literaturverzeichnis
  • BFS (2020). Berufliche Laufbahn der Absolventinnen und Absolventen einer beruflichen Grundbildung in den fünf Jahren nach dem Abschluss, Längsschnittanalysen im Bildungsbereich, Neuenburg.
  • Jaik, Katharina (2020). Brain drain from vocational to academic education at upper-secondary level? An empirical analysis for Switzerland, Empirical Research in Vocational Education and Training, Vol. 12 (10).
  • Wolter, Stefan C. (2023). Bildungsabschluss: Ein langer Weg bis zum 95-Prozent-Ziel, Die Volkswirtschaft, 2. Mai.

Bibliographie
  • BFS (2020). Berufliche Laufbahn der Absolventinnen und Absolventen einer beruflichen Grundbildung in den fünf Jahren nach dem Abschluss, Längsschnittanalysen im Bildungsbereich, Neuenburg.
  • Jaik, Katharina (2020). Brain drain from vocational to academic education at upper-secondary level? An empirical analysis for Switzerland, Empirical Research in Vocational Education and Training, Vol. 12 (10).
  • Wolter, Stefan C. (2023). Bildungsabschluss: Ein langer Weg bis zum 95-Prozent-Ziel, Die Volkswirtschaft, 2. Mai.

Zitiervorschlag: Stefan C. Wolter (2023). Duale Berufsbildung lindert den Fachkräftemangel. Die Volkswirtschaft, 12. September.