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Fachkräfte­mangel: Auch in Zukunft eine Herausforderung

Der Fachkräftebedarf der Wirtschaft prägt die Schlagzeilen der Schweizer Medien. Der wirtschaftliche Aufschwung seit dem Ende der Corona-Pandemie verlangt nach mehr Arbeitskräften. Doch hochqualifizierte Arbeitskräfte sind in der Schweiz seit jeher ein knapper Produktionsfaktor.
Fachkräfte im Gesundheitswesen sind besonders gefragt. Eine Assistenzärztin übt mithilfe eines Laparoskops den Fadenknoten an einem Schweinemagen. (Bild: Keystone)

Mit der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise hat der Fachkräftemangel in der Schweiz in den letzten Jahren zugenommen. 2022 meldeten rund 40 Prozent der Betriebe, dass sie Mühe haben, qualifiziertes Personal zu finden (siehe Abbildung 1). Dies spiegelt sich auch in der Quote der offenen Stellen wider: Sie erreichte 2022 einen Rekordwert von 2,3 Prozent. Gleichzeitig sank die Arbeitslosenquote gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf 2,2 Prozent und damit auf den tiefsten Wert seit über 20 Jahren.

Abb. 1: Indikatoren Rekrutierungsschwierigkeiten, saisonbereinigt (2005–2023)

Quellen: BFS, Besta / Seco, Amstat, eigene Berechnungen der Autoren / Die Volkswirtschaft

 

Die zurzeit weitverbreiteten Rekrutierungsschwierigkeiten sind zu einem wesentlichen Teil konjunkturell bedingt. Nach der Aufhebung der gesundheitspolitischen Restriktionen zur Eindämmung der Pandemie setzte eine starke wirtschaftliche Erholung ein und viele Unternehmen in zahlreichen Branchen suchten gleichzeitig wieder nach Personal. Bei einer zukünftigen konjunkturellen Abschwächung dürfte sich dieser breite Arbeitskräftemangel aber wieder entschärfen.

Struktureller Fachkräftemangel als fortwährende Erscheinung

Neben diesen kurzfristigen Schwankungen stellt der Fachkräftemangel vor allem eine strukturelle Herausforderung für die Schweiz dar. Ein Treiber ist unter anderen die Digitalisierung: Manuelle Nichtroutinearbeiten, technologie- und wissensintensive Tätigkeiten sowie Aufgaben mit einem hohen Anteil an menschlicher Interaktion (wie bspw. Unterrichten, Beraten oder Präsentieren) werden zunehmend wichtiger. Zudem führt die Spezialisierung von Schweizer Exportunternehmen auf die Produktion von Waren und Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung zu einem laufend wachsenden Bedarf an Fachkräften. Schliesslich stellt auch der demografische Wandel eine Herausforderung für den Arbeitsmarkt dar. Mit der fortschreitenden Pensionierung der Babyboomer gehen seit 2020 mehr Personen in Rente als in die Arbeitswelt einsteigen.

Stellschrauben: Lohn- und Arbeitsbedingungen

Aufgrund dieser Entwicklungen gewinnen Anstrengungen von Unternehmen zur Sicherung ihrer Attraktivität als Arbeitgeber an Bedeutung. Die Betriebe stehen dabei stets im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, die ihrerseits geeignete Arbeitskräfte für sich gewinnen möchten. Mögliche Stellschrauben sind dabei Lohn- und Arbeitsbedingungen, wobei insbesondere flexible Arbeitsmodelle – wie Homeoffice – seit der Coronakrise vermehrt im Fokus stehen.

Mit solchen Anpassungen sind jedoch häufig auch Kosten – höhere Lohnkosten oder Investitionen in die technische Infrastruktur – verbunden. Erreichen diese Massnahmen nicht ihr gewünschtes Ziel, kann sich dies längerfristig negativ auf die Innovationskraft und die Expansion von Unternehmen auswirken.

Mit zunehmender Fachkräfteknappheit steigt die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmenden bezüglich Lohn- und Arbeitsbedingungen. Durch geringere Personalressourcen könnte aber möglicherweise auch die Arbeitslast für die einzelnen Beschäftigten steigen. Dies könnte insgesamt zu mehr Stress für Arbeitnehmende führen. In der Summe dürfte ein anhaltender ausgeprägter Fachkräftemangel das Wachstumspotenzial der Schweiz somit eher schmälern.

Bereitstellung guter Rahmenbedingungen durch den Staat

Der Bildungs- und Arbeitsmarkt ist zuständig für die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und die Übereinstimmung ihrer Qualifikationen mit den Bedürfnissen der Wirtschaft und den offenen Stellen. Somit ist es nicht in erster Linie eine staatliche Aufgabe, das Angebot und die Nachfrage nach Fachkräften in Einklang zu bringen. Im Rahmen der Fachkräftepolitik der Schweiz sollen jedoch geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das inländische Arbeitskräftepotenzial bestmöglich auszuschöpfen. Dabei geht es insbesondere um die Integration von Frauen und älteren Personen in den Arbeitsmarkt sowie die Nach- und Höherqualifizierung der Erwerbsbevölkerung entlang den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes.

Die Wirtschaftspolitik schafft ferner gute Voraussetzungen für Innovationen, welche die Steigerung der Produktivität unterstützen. Ein wichtiger Faktor ist dabei auch die Digitalisierung: Sie generiert zwar selbst einen Bedarf an Fachkräften, kann aber auch personelle Ressourcen für verschiedene Arbeiten schonen. Die künstliche Intelligenz, ein wesentlicher Bestandteil der Digitalisierung, ermöglicht auch die Automatisierung von gewissen kognitiven Nichtroutinetätigkeiten, die heute oft durch hochqualifizierte Fachkräfte verrichtet werden.

Schweiz schlägt sich bislang gut

Trotz den verschiedenen langfristigen Herausforderungen kann die Schweiz auf eine insgesamt erfolgreiche Arbeitsmarktentwicklung zurückblicken. Besonders ausgeprägt war das Beschäftigungswachstum in den letzten zehn Jahren in hochqualifizierten Berufen (plus 25%). Die vollzeitäquivalente Erwerbsquote ist auf hohem Niveau weiter gestiegen, obwohl heutzutage mehr Personen teilzeitbeschäftigt sind. Grund dafür sind insbesondere die zunehmende Erwerbsbeteiligung sowie höhere Arbeitspensen von Frauen.

Komplementär dazu gelingt es Unternehmen, einen Teil ihres Fachkräftebedarfs mithilfe der Zuwanderung zu decken. Durch die Personenfreizügigkeit ist die Schweiz vor allem für Erwerbstätige aus EU/Efta-Staaten attraktiv, welche mehrheitlich in Berufe mit hohen Qualifikationsanforderungen einwandern (siehe Abbildung 2). Allerdings lassen sich durch Zuwanderung Engpässe nicht vollständig beseitigen: Auch die Unternehmen in den typischen Herkunftsländern bemühen sich darum, Fachkräfte zu rekrutieren und zu halten.

Abb. 2: Beschäftigungswachstum nach Berufshauptgruppe und Nationalität (2012–2022)

Anmerkung: Beruf gemäss CH-ISCO-19, ständige Wohnbevölkerung.
Quellen: BFS, Sake, eigene Berechnungen der Autoren / Die Volkswirtschaft

 

Berufe mit erhöhter Fachkräfteknappheit

Das jüngst aktualisierte Indikatorensystem des Seco zur Beurteilung der Arbeitskräftesituation ist darauf ausgerichtet, anhand von verschiedenen Teilindikatoren den strukturellen Fachkräftebedarf nach Berufen einzuschätzen. Dieser deutet auf mittel- bis längerfristige Knappheiten hin. Als Anzeichen für einen strukturellen Fachkräftemangel werden dabei eine tiefe Arbeitslosigkeit, eine hohe Quote offener Stellen, eine hohe arbeitsmarktbedingte Zuwanderung, ein starkes Beschäftigungswachstum, ein erhöhter demografischer Ersatzbedarf sowie hohe Qualifikationsanforderungen gewertet. Jedem Beruf wird für jeden Teilindikator ein Wert zwischen 0 und 10 zugeordnet.  Der Gesamtindexwert für einen Beruf ergibt sich aus dem Durchschnitt seiner Teilindexwerte.

Ein Vergleich der Gesamtindexwerte erlaubt es schliesslich, die Arbeitskräftesituation in verschiedenen Berufen zu vergleichen. Demnach weisen Spezialistinnen und Spezialisten in Gesundheitsberufen und im Mint-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) die stärksten Anzeichen für strukturellen Fachkräftemangel auf (siehe Abbildung 3). Bei den Verkaufskräften liegen dagegen kaum Anzeichen für Fachkräftemangel vor.

Abb. 3: Berufe mit den stärksten und schwächsten Anzeichen für Fachkräftemangel gemäss Gesamtindex

Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

 

Andere Instrumente zur Beurteilung der Arbeitskräftesituation berücksichtigen durch ihre Ausrichtung stärker auch den kurzfristigen Fachkräftebedarf. Kaiser et al. (2023) schätzten beispielsweise anhand der Vakanzdauer von Stelleninseraten, welche Stellenprofile in der Schweiz besonders von Fachkräftemangel betroffen sind (siehe auch diesen Artikel in dieser Ausgabe). Dabei zeigte sich, dass zurzeit vor allem in technischen Berufen der Industrie und des Baugewerbes Schwierigkeiten bestehen, geeignetes Personal zu finden.

Der Mangel ist Ausdruck einer starken Wirtschaftsentwicklung

Ein hoher Fachkräftebedarf wird uns auch in Zukunft beschäftigen. Dieser ist nebst seinen verschiedenen Herausforderungen aber auch als Ausdruck einer starken Wirtschaftsentwicklung und eines hohen Wohlstands zu sehen, was gleichzeitig auch eine tiefe Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Zudem gilt es in der Diskussion um Fachkräftemangel zu berücksichtigen, dass hochqualifizierte Arbeitskräfte schon immer ein knapper und hochgeschätzter Produktionsfaktor waren. Seit jeher mussten Unternehmen um die besten Talente werben. Die Zunahme der Studierenden auf Tertiärstufe, die unter anderem im Gesundheits- und Mint-Bereich stattfindet, sowie die stetige Höherqualifizierung dürften dem Fachkräftemangel insgesamt etwas entgegenwirken.

In welchem Ausmass dies der Fall ist und was die weiteren Entwicklungen für das künftige Wachstum der Schweizer Wirtschaft bedeuten, muss sich jedoch erst noch weisen. Fest steht, dass sich der Arbeitsmarkt laufend an neue Anforderungen anpassen muss. Das vorliegende Indikatorensystem gibt einen Eindruck, in welchen Berufen sich aktuell ein besonders starker Fachkräftebedarf abzeichnet.

Zitiervorschlag: Amélie Speiser, Stefan Leist (2023). Fachkräfte­mangel: Auch in Zukunft eine Herausforderung. Die Volkswirtschaft, 12. September.