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Unternehmen sollen mehr Verantwortung übernehmen

Die Gesellschaft steht vor sozialen, ökologischen und technologischen Herausforderungen. Die OECD hat daher im Juni 2023 ihren Verhaltenskodex für verantwortliches Handeln von Unternehmen aktualisiert. Was bedeutet das für Schweizer Unternehmen?
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Der OECD-Verhaltenskodex mahnt Unternehmen auch zur Rücksichtnahme auf indigene Bevölkerungen. Angehöriger der Fulbe, der grössten nomadischen Bevölkerungsgruppe Afrikas. (Bild: Keystone)

Neue globale Fragen und Herausforderungen betreffen allem voran den Schutz der Umwelt und die Digitalisierung. Gleichzeitig unterstreichen die anhaltenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und die sich verändernde geopolitische Lage die Notwendigkeit nachhaltiger und widerstandsfähiger Lieferketten.

Hier ist ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz erforderlich, um die Herausforderungen zu bewältigen – und die Chancen zu nutzen. Die OECD leistet dazu einen Beitrag: Ihre Leitsätze für multinationale Unternehmen zur verantwortungsvollen Unternehmensführung stellen einen globalen Rahmen für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen dar – die sogenannte Corporate Social Responsibility (CSR). Sie beinhalten Empfehlungen der 38 OECD-Mitgliedstaaten und 13 weiterer Unterzeichnerstaaten[1] an ihre international tätigen Unternehmen. Ziel ist, dass diese ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung erhöhen und die negativen Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeiten auf Umwelt und Gesellschaft verringern.

Konkret: Was heisst nachhaltig?

Was tut ein nachhaltiges, umweltfreundliches Unternehmen? Die OECD-Leitsätze empfehlen zum Beispiel, dass es eine Sorgfaltsprüfung durchführt: Es soll prüfen, ob seine Tätigkeiten, Produkte und Dienstleistungen nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben – um sie danach vermeiden oder beheben zu können. Ziel ist, den Energie- und Materialeinsatz, Treibhausgasemissionen und Abfälle zu verringern. Produkte sollen langlebig sein und wiederverwendet, recycelt oder sicher entsorgt werden können. Gegenüber der Öffentlichkeit informiert das verantwortungsvolle Unternehmen über die Risiken und die ergriffenen Massnahmen. Wenn trotzdem eine Verschmutzung der Umwelt festgestellt wird, soll es den betroffenen Personen ein geeignetes Verfahren zu Wiedergutmachung anbieten. Dieses kann zum Beispiel die Wiederherstellung des Ökosystems oder den Ersatz eines Lebensraums beinhalten.

Die OECD-Empfehlungen an die Unternehmen sind rechtlich nicht verbindlich, sondern dienen den Unternehmen als Richtschnur für ihr Handeln. Sie ergänzen die nationale Gesetzgebung (wie etwa die Verpflichtungen im Obligationenrecht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zur Sorgfaltsprüfung zu Konfliktmineralien und Kinderarbeit). Jeder Unterzeichnerstaat hat sich hingegen verpflichtet, einen sogenannten nationalen Kontaktpunkt (NKP) einzurichten, der die Anwendung der Leitsätze fördert und dem mutmassliche Verstösse gegen die Leitsätze gemeldet werden können.

Verantwortliches Handeln wird dringender

Die Leitsätze, 1976 erarbeitet und bisher ungefähr alle zehn Jahre überarbeitet, sind das vorletzte Mal 2011 umfassend revidiert worden. Seither hat die fortschreitende Globalisierung das Umfeld für multinationale Unternehmen weiter verändert. Neben den oben erwähnten Transformationen tätigen heute Staaten, welche die Leitsätze nicht unterzeichnet haben, den grösseren Teil der weltweiten Investitionen. Auch die globalen Wertschöpfungsketten haben an Bedeutung gewonnen. Zudem haben sich – beispielsweise im Zusammenhang mit der Digitalisierung – neue und komplexere Arten der Produktion und des Konsums gebildet.

Die aktualisierten Leitsätze, die am 8. Juni 2023 an der OECD-Ministerkonferenz in Paris veröffentlicht wurden, tragen diesen Entwicklungen Rechnung. Die Schweiz nahm an den rund einjährigen Verhandlungen in der OECD-Arbeitsgruppe zur verantwortungsvollen Unternehmensführung aktiv teil. Ihr Ziel: Die Leitsätze sollen den aktuellen Konsens über die verantwortungsvolle Unternehmensführung abbilden. Und sie sollen ein global wirksames Instrument zur Förderung verantwortungsvoller Unternehmensführung bleiben.

An der Aktualisierung der Leitsätze haben auch die institutionellen Interessengruppen der OECD mitgewirkt: Wirtschaft, Gewerkschaften und NGOs. Ausserdem fanden zwei öffentliche Konsultationen für interessierte Akteure aus allen Staaten statt.

Die Sorgfaltsprüfung wird verstärkt

Bedeutendste Aktualisierungen betreffen Empfehlungen zum Schutz der Umwelt und zum verantwortungsvollen Umgang mit Technologien. Unternehmen sollen sich an international vereinbarte Ziele in den Bereichen Klimawandel und Biodiversität halten. Neu sollen auch Tierschutzstandards eingehalten werden, die mit dem Gesundheitskodex für Landtiere der Weltorganisation für Tiergesundheit übereinstimmen (siehe Tabelle).

Die Sorgfaltsprüfung soll risikogerecht ausgeübt werden – mit dem Ziel, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit in den von den Leitsätzen genannten Bereichen zu identifizieren, zu verhindern – oder wenn dies nicht möglich ist, abzuschwächen. Dies betrifft einerseits die Auswirkungen bei der Her- beziehungsweise Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen. Andererseits soll dabei auch die bestimmungsgemässe oder vernünftigerweise vorhersehbare sachgemässe Verwendung sichergestellt werden. Das gilt auch für die Entwicklung und Nutzung von neuen Technologien. Die Empfehlungen zur Sorgfaltsprüfung wurden auf alle Formen von Korruption ausgeweitet. Zudem sollen Unternehmen sicherstellen, dass Lobbying-Aktivitäten im Einklang mit den OECD-Leitsätzen sind.

Im Kapitel über die Menschenrechte sind die Empfehlungen zum Schutz für gefährdete Personen und Gruppen griffiger formuliert worden. Diese betreffen unter anderen die indigene Bevölkerung oder Menschenrechtsverteidigende, die Bedenken über Geschäftsaktivitäten äussern. Schliesslich wurden auch die Empfehlungen zur Offenlegung von Informationen über verantwortungsvolle Unternehmensführung aktualisiert.

Die wichtigsten Aktualisierungen der OECD-Leitsätze

Quelle: Seco

 

Über 30 Eingaben beim Schweizer Kontaktpunkt

Eine zentrale Aufgabe bei der Umsetzung der Leitsätze kommt den nationalen Kontaktpunkten (NKP) zu. Sie unterstützen Unternehmen und stehen bei mutmasslichen Verstössen als aussergerichtliche Schlichtungsstelle zur Verfügung. Es bestehen jedoch erhebliche Unterschiede in der Praxis der NKP der einzelnen Länder. In der aktualisierten Version sind die Vorgaben der OECD bezüglich Organisation und Verfahren der NKP nun präziser formuliert – so etwa die Kriterien zur Beurteilung, ob die Eingabe angenommen werden kann. Auch sollen die Verfahren transparenter werden. Schliesslich sollen NKP die Umsetzung ihrer Empfehlungen und der von den Parteien erzielten Vereinbarung im Nachgang überwachen und öffentlich darüber berichten.

In der Schweiz ist der nationale Kontaktpunkt im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) angesiedelt. Seit seiner Schaffung 2000 hat er über 30 Eingaben erhalten (Beispiel siehe Kasten), in 21 Fällen hat er eine Vermittlungsfunktion übernommen. Im Beirat sind die verschiedenen Interessensgruppen vertreten: Wirtschaft, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaft. Seine Aufgabe ist es, den NKP bei der strategischen Ausrichtung zu beraten. Der Beirat wird sich nun mit den Auswirkungen der aktualisierten OECD-Leitsätze auf die Arbeitsweise des Schweizer NKP befassen. Der nationale Kontaktpunkt wird am 30. November 2023 über die Umsetzung der aktualisierten OECD-Leitsätze öffentlich informieren.

  1. Ägypten, Argentinien, Brasilien, Bulgarien, Costa Rica, Jordanien, Kasachstan, Kroatien, Marokko, Peru, Rumänien, Tunesien und Ukraine. Auf die 51 Unterzeichnerstaaten entfallen zwei Drittel des weltweiten Handels und der Investitionen. []

Zitiervorschlag: Meier, Nadja (2023). Unternehmen sollen mehr Verantwortung übernehmen. Die Volkswirtschaft, 14. September.

Beispiel einer Eingabe an den Schweizer NKP

Der Schweizer NKP erhielt 2020 eine Eingabe von der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz. Sie warf dem Stromproduzenten BKW Energie AG vor, eine mangelhafte Sorgfaltsprüfung bei ihrer Minderheitsbeteiligung am Bau eines Windkraftwerks in Norwegen durchgeführt und damit die Menschenrechte der samischen Urbevölkerung verletzt zu haben. Nach einer Mediation trafen die Parteien verschiedene Vereinbarungen. So muss die BKW künftig bei der Planung von Projekten die freie, vorherige und informierte Zustimmung indigener Völker einholen. Der NKP veröffentlichte im Mai 2022 eine Erklärung, in der er über die weitgehende Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen durch die BKW informierte.