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Bundesrat hält CO2-Grenzabgabe à la EU für verfrüht

Die EU erhebt ab 2026 schrittweise CO2-Abgaben auf Importe aus Drittstaaten. Damit will sie die Verlagerung von Produktion und Treibhausgasemissionen ins Ausland verhindern. Soll die Schweiz ebenfalls ein solches System einführen? Zurzeit nicht, findet der Bundesrat.

Bundesrat hält CO<sub>2</sub>-Grenzabgabe à la EU für verfrüht

Grenzübergang von Thonex-Vallard bei Genf. Schweizer Exporte in die EU sind von der CO2-Grenzabgabe ausgenommen. (Bild: Keystone)

Seit 1. Oktober dieses Jahres setzt die EU ihren CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) um. Das heisst: Für Einfuhren in die EU von gewissen emissionsintensiven Waren müssen die Importeure seither Daten erheben und quartalsweise an die Europäische Kommission melden. Ab 2026 werden dann schrittweise auch CO2-Abgaben auf diese Importe erhoben.

Mit dem Mechanismus will die EU sogenanntes Carbon Leakage verhindern, also die Verlagerung von Treibhausgasemissionen ins Ausland. Die Befürchtung: Wegen der Verschärfung der klimapolitischen Auflagen in der EU im Rahmen des Emissionshandelssystems (EHS) könnten emissionsintensiven EU-Industrieanlagen Wettbewerbsnachteile entstehen. Um diese Nachteile auszugleichen, versucht die EU mit dem CBAM, künftig importierte Waren punkto Treibhausgasemissionen so zu bepreisen, wie wenn diese in der EU unter den Regeln des EHS produziert worden wären.

Ausnahme für die Schweiz

Der EU-CBAM gilt vorläufig für Importe in die EU von Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel, Wasserstoff und Elektrizität. Grundsätzlich sind Produkte aus allen Drittstaaten davon betroffen. Für Waren schweizerischen Ursprungs gibt es allerdings eine Ausnahme. Dies, weil die EU davon ausgeht, dass in der Schweiz unter gleichwertigen Klimaauflagen produziert wird. Gleichwertig deshalb, weil die EHS der Schweiz und der EU äquivalent ausgestaltet und seit 2020 miteinander verknüpft sind.

Ist für die Schweiz das Thema CBAM damit erledigt? Nur bedingt. Denn einerseits wird der EU-CBAM trotz der Ausnahme Auswirkungen auf die hiesige Volkswirtschaft haben, die es im Auge zu behalten gilt. Die emissionsintensiven Branchen in der Schweiz tun deshalb gut daran, sich mit dem Mechanismus auseinanderzusetzen. Anderseits stellt sich die Frage, ob die Schweiz nicht ebenfalls einen CBAM einführen sollte, wie dies auch mehrere parlamentarische Vorstösse fordern.[1]

Der Bundesrat hat sich jüngst zu dieser Frage positioniert. Im Juni 2023 hat er einen Bericht veröffentlicht, in dem er zum Schluss kommt, dass die Schweiz derzeit von der Einführung eines CBAM gemäss Fahrplan der EU absehen sollte. Tatsächlich spricht eine ganze Reihe von Gründen dafür, dass die Schweiz hier keinen überstürzten Nachvollzug betreiben sollte. Diese Gründe werden im Folgenden erläutert und zeigen auf, dass ein Schweizer CBAM der Volkswirtschaft hierzulande mehr Kosten als Nutzen verursachen dürfte.

Carbon Leakage im Fokus

Die Sorge, dass man mit strengen Klimaauflagen wirtschaftliche Aktivität ins Ausland vertreiben könnte, ist nicht neu. Sowohl die EU wie die Schweiz teilen deshalb seit der Einführung ihrer EHS emissionsintensiven handelsexponierten Industrieanlagen die berechneten Emissionsrechte weitgehend kostenlos zu. Der EU-CBAM soll dieses Vorgehen in der EU nun schrittweise ablösen.

Gemäss der von der EU beschlossenen Weiterentwicklung des EHS wird die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten für EU-Produzenten ab 2026 schrittweise reduziert (siehe Artikel in diesem Schwerpunkt), während die CBAM-Abgaben proportional dazu hochgefahren werden. Für Produzenten von CBAM-Waren, die am EHS der Schweiz teilnehmen, soll die Gratiszuteilung ebenfalls abgebaut werden. Eine grosszügige Übergangsphase sieht aber vor, dass Produzenten von CBAM-Waren in der EU und in der Schweiz selbst im Jahr 2030 immer noch über die Hälfte der berechneten Emissionsrechte kostenlos erhalten; ganz ohne Gratiszuteilung müssen sie erst 2034 auskommen (siehe Abbildung 1).

Ein derart langes Phasing-out müsste eigentlich den betroffenen Schweizer Anlagen erlauben, sich auf die Verschärfungen im Emissionshandel einzustellen, ohne dass ein neuer Grenzschutz durch einen Schweizer CBAM nötig ist. Während die EU mit ihren rund 500 Stahl-, 200 Zement- und 100 Aluminiumwerken Bedarf für CO2-Grenzabgaben sieht, herrschen in der Schweiz andere Dimensionen. Gerade einmal 6 Zement-, 4 Aluminium- und 2 Stahlwerke gelten hierzulande im Rahmen ihrer Teilnahme am EHS als Carbon-Leakage-gefährdet.

Abb. 1: Übergang von der kostenlosen Zuteilung zum EU-CBAM

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Quelle: Europäische Kommission, Ecoplan / Die Volkswirtschaft

 

CBAM schafft Gewinner und Verlierer

Die Einführung eines CBAM à la EU durch die Schweiz würde wenige Gewinner und viele Verlierer schaffen. Vom CBAM-Grenzschutz profitieren würde etwa die relativ überschaubare Gruppe der inländischen Produzenten von CBAM-Waren, also in erster Linie die Zement-, die Stahl- und die Aluminiumindustrie. Die ungleich zahlreicheren Akteure in der Schweiz hingegen, welche CBAM-Waren als Vorleistungen oder für den Konsum aus dem Ausland beziehen, müssten mit höheren Kosten rechnen, wenn auf diesen Einfuhren künftig CO2-Abgaben fällig würden. Das beträfe neben Tausenden kleinen und mittleren Unternehmen in letzter Konsequenz auch die Privathaushalte, da die Konsumentenpreise steigen würden. Schweizer Unternehmen, welche auf importierte CBAM-Waren als Vorleistungen angewiesen sind und für den Weltmarkt produzieren, erleiden zudem Wettbewerbsnachteile gegenüber jenen ausländischen Konkurrenten, die keinen CO2-Abgaben ausgesetzt sind.

Die direkten Kosten der CO2-Grenzabgabe wären das eine, die administrativen Kosten zur Erfüllung der CBAM-Pflichten das andere. Schweizer Importeure von CBAM-Waren müssten unter anderem Produktions- und Emissionsdaten beschaffen, die zur Berechnung der CBAM-Grenzabgabe herangezogen werden, und sogenannte CBAM-Reports[2] einreichen. Hierzulande haben 2022 rund 14’000 Unternehmen CBAM-Waren im Wert von 2,3 Milliarden Franken aus Drittstatten in die Schweiz importiert. Ihnen würden künftig erhebliche Mehrkosten für die CBAM-Abwicklung entstehen. Betroffen davon wären vor allem Kleinimporteure (siehe Abbildung 2). Eine neue nationale Behörde müsste darüber hinaus die mit dem CBAM-Vollzug verbundenen Kontroll- und Verwaltungsaufgaben übernehmen.

Abb. 2: Importe von CBAM-Waren in die Schweiz nach Anzahl Transaktionen (2022)

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Lesehilfe: Im Jahr 2022 haben von den insgesamt 14’182 Importeuren von CBAM-Waren rund 12’000 (über 80% der Importeure) weniger als 10 Importtransaktionen durchgeführt. Deren Transaktionen hatten einen Warenwert von 116 Mio. Franken, was 5 Prozent des Totals entspricht.
Quelle: Ecoplan (Auswertung Swissimpex durch das BAZG) / Die Volkswirtschaft

 

Unerwünschte Handelshemmnisse

Die Einführung eines CBAM bedeutet eine Zäsur. Die bisherige Vorkehrung gegen Carbon Leakage im Rahmen des EHS hatte keinen direkten Bezug zum Aussenhandel. Der CBAM-Mechanismus hingegen erschwert Importe durch einen direkten einseitigen Eingriff an der Grenze. Von einem allfälligen Schweizer CBAM würden also neue Handelshemmnisse ausgehen, welche Vergeltungsmassnahmen von Handelspartnern auslösen könnten. Diese könnten für eine offene Volkswirtschaft mit begrenztem Binnenmarkt wie die Schweiz, die gerade nach den Pandemieerfahrungen und vor dem Hintergrund geopolitischer Turbulenzen auf offene, diversifizierte Handelsbeziehungen auch mit Schwellenländern angewiesen ist, sehr negative Auswirkungen haben. Es wäre schlicht unglaubwürdig und zu riskant für die Schweiz, ein Instrument einzuführen, das im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) als diskriminierende und unzulässige Massnahme kritisiert wird, wie dies zurzeit dem EU-CBAM widerfährt (siehe Artikel in diesem Schwerpunkt).

Beim EU-CBAM handelt es sich um eine komplexe Weltneuheit, deren Auswirkungen noch nicht voll absehbar sind. Es stehen etliche wichtige Detailregeln seitens der Europäischen Kommission aus, welche für die Operabilität und die Akzeptanz des Instruments inner- und ausserhalb der EU entscheidend sind. Rund ein Dutzend Durchführungsverordnungen sind noch ausstehend, so etwa detaillierte Regeln für die Festlegung und die Verwendung von Standardwerten zur Berechnung der in den Importen eingebetteten Emissionen. Auch bleiben betreffend Geltungsbereich des CBAM viele Fragen offen, da sich die EU zum Ziel gesetzt hat, dem CBAM laufend weitere Industriesektoren zu unterstellen. Unter diesen Umständen ist es sinnvoll, dass sich die Schweiz Freiheitsgrade erhält, auch wenn ein Schweizer CBAM als Option mittelfristig nicht ausgeschlossen wird.

Aus Carbon-Leakage-Sicht besteht jedenfalls kaum Dringlichkeit. Einerseits erhalten emissionsintensive Schweizer Industrieanlagen voraussichtlich noch während vieler Jahre Emissionsrechte kostenlos zugeteilt. Andererseits werden Standortentscheide bislang und wohl auch in Zukunft kaum je nur aufgrund von CO2-Preisen getroffen, sondern aufgrund vieler anderer Überlegungen und Rahmenbedingungen (Markterschliessung, Verfügbarkeit von Rohstoffen und Arbeitskräften, Steuern etc.). Und auch im Zusammenhang mit dem EHS-Abkommen gibt es keine Verpflichtung, dass die Schweiz zeitnah einen CBAM einführt. Im Jahr 2026 kann aufgrund der dann vorliegenden Zwischenbilanz der EU ein Schweizer Handlungsbedarf erneut überprüft werden. In der Zwischenzeit will der Bundesrat die Weiterentwicklung des Emissionshandelssystems vorantreiben und die Anreize für Emissionsreduktionen stärken.[3]

  1. Siehe parlamentarische Initiative 21.432 «Grundlagen für ein CO2-Grenzausgleichssystem schaffen» oder Motion 21.3602 «Schweizer Beteiligung am Grenzausgleichssystem der EU»[]
  2. Die Vorlage für die CBAM-Quartalsberichte, die in der EU für Importe von CBAM-Waren seit Oktober 2023 Pflicht sind, umfasst über 200 Datenfelder. Bei zehn Importsendungen pro Quartal mit durchschnittlich fünf CBAM-Produkten würde dies über 10’000 Datenfelder für einen Quartalsreport eines Unternehmens bedeuten. []
  3. Siehe dazu den Artikel von Raphael Bucher in diesem Schwerpunkt. []

Zitiervorschlag: Martin Lanz (2023). Bundesrat hält CO2-Grenzabgabe à la EU für verfrüht. Die Volkswirtschaft, 06. Oktober.