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Das Emissionshandelssystem braucht mehr Biss

Das Emissionshandelssystem der Schweiz ist ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel. Um die langfristigen Klimaziele zu erreichen, braucht es aber Anpassungen. Was bedeutet das für die Schweizer Industrie?
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Ab 2024 soll der CO2-Absenkpfad für den Luftverkehr und emissionsintensive Industrieanlagen ambitionierter werden. (Bild: Keystone)

Die Schweiz will bis 2030 ihren Treibhausgasausstoss gegenüber dem Stand von 1990 halbieren und bis im Jahr 2050 klimaneutral sein. Dazu hat sie sich mit der Ratifikation des Klimaübereinkommens von Paris und dem neuen Klima- und Innovationsgesetz verpflichtet. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es grosse Anstrengungen. Eines der wichtigsten Instrumente auf diesem Weg ist das Schweizer Emissionshandelssystem (EHS), das typische marktwirtschaftliche Prinzipien zur Senkung der Treibhausgasemissionen nutzt. Es funktioniert über die Mengensteuerung nach dem sogenannten Cap-and-trade-Prinzip. Das «Cap» – die Obergrenze an verfügbaren Emissionsrechten und somit auch die Obergrenze an zulässigen Emissionen – ist vorgegeben und wird jährlich um 2,2 Prozent abgesenkt (siehe Abbildung). Im Normalfall werden die für einen treibhausgaseffizienten Betrieb benötigten Emissionsrechte gratis zugeteilt, der Rest wird versteigert. Anschliessend können die Emissionsrechte frei gehandelt werden («Trade»).

Die Teilnehmer am EHS müssen jedes Jahr im Umfang ihres CO2-Ausstosses Emissionsrechte abgeben. Mit dem EHS lassen sich Klimaschutzziele in einem geschlossenen System kosteneffizient erreichen. Denn gemäss der ökonomischen Theorie werden in einem Cap-and-trade-System die Emissionen dort reduziert, wo die Kosten am tiefsten liegen. Der Marktpreis für Emissionsrechte sollte sich nämlich bei den sogenannten Grenzvermeidungskosten einstellen, also denjenigen Kosten, die bei der letzten zu vermeidenden Tonne an Emissionen im System entstehen.

Emissionshandelssystem Schweiz: Entwicklung Cap, Emissionen und kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten (2013–2022)

INTERAKTIVE GRAFIK
*Gemäss Emissionshandelsregister (Stand 31.08.2023)
Anmerkung: In einzelnen Jahren können die Emissionen höher liegen als das Cap. Denn zur Deckung der Emissionen können auch nicht verkaufte Emissionsrechte aus früheren Jahren gebraucht werden. Sanktionen werden erst fällig, wenn die Emissionen nicht mehr mit Emissionsrechten gedeckt werden können.
Quelle: Emissionshandelsregister (EHR) / Die Volkswirtschaft

Verknüpfung der Emissionshandelssysteme

Die Schweiz hat seit 2013 ein eigenständiges nationales EHS. Im Jahr 2020 wurde es mit demjenigen der EU verknüpft. Diese Verknüpfung der beiden Systeme ist in einem bilateralen Abkommen geregelt.[1] Um ihren Bedarf an Emissionsrechten zu decken, dürfen gemäss Abkommen Schweizer EHS-Teilnehmer neben Emissionsrechten aus dem eigenen System auch Emissionsrechte aus dem EU-System nutzen – und umgekehrt. Mit der Verknüpfung im Jahr 2020 wurden neben Industrieanlagen mit hohen Treibhausgasemissionen analog zur Regelung in der EU auch die Luftfahrt und die Öl- und Gaskraftwerke ins EHS der Schweiz integriert.

Das EHS der EU beinhaltet fast 11’000 Anlagen mit Emissionen von rund 2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente (CO2eq) pro Jahr. Am Schweizer EHS nehmen rund 100 Anlagen mit Emissionen von rund 4,5 Millionen Tonnen CO2eq pro Jahr teil. Seit der Verknüpfung haben sich die Preise für Emissionsrechte im Schweizer EHS an die Preise in der EU angeglichen. Die Schweiz ist aufgrund ihres geringen Marktanteils am mit der EU verknüpften EHS Preisnehmerin. Der Preis hat sich seit der Verbindung im Jahr 2020 in der Schweiz von 23 Franken auf rund 86 Franken erhöht.

Das Problem des «Carbon Leakage»

Je grösser die Reichweite eines EHS ist, umso kosteneffizienter kann die Verminderung der Treibhausgasemissionen erfolgen. Dies, weil mit einem grösseren Markt auch mehr Verminderungspotenzial dazukommen kann. Falls aber wichtige Handelspartner kein gleichwertiges System mit ähnlicher Bepreisung von Treibhausgasemissionen haben, kann es zur Verlagerung von Produktionsprozessen und deren Treibhausgasemissionen, sogenanntem Carbon Leakage, kommen. In der EU wie auch in der Schweiz tritt man dieser Problematik entgegen, indem verlagerungsgefährdeten Sektoren wie Stahl, Zement, Chemie oder auch Papier die benötigten Emissionsrechte weitgehend kostenlos zugeteilt werden (siehe Kasten).[2]

Die Gratiszuteilung hat bisher ihren Zweck gut erfüllt. Weder in der EU noch in der Schweiz wurde aufgrund des EHS eine Verlagerung von Treibhausgasemissionen ins Ausland festgestellt.[3] Die EU hat aber stets festgehalten, dass das System der Gratiszuteilung nur eine Übergangslösung ist und dass langfristig alle Emissionsrechte versteigert werden sollen. Mit den Änderungen im Rahmen ihres «Fit for 55»-Pakets wird das nun umgesetzt.

Absenkpfad soll steiler werden

Mit dem «Fit for 55»-Paket will die EU ihre verschärften Klimaziele bis 2030 erfüllen. Die Emissionen sollen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Bis spätestens 2050 will die EU klimaneutral sein. Dazu wird das EHS als wichtigstes klimapolitisches Instrument entsprechend weiterentwickelt, sowohl für die Luftfahrt als auch für die Industrie. Ab 2024 wird das Cap um 4,3 statt wie bisher um 2,2 Prozent pro Jahr reduziert und der Anteil der Gratiszuteilung stark zurückgefahren.

Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben und «Carbon Leakage» zu verhindern, soll gleichzeitig EU-weit ein sogenannter CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) eingeführt werden. Dieser soll zunächst die sechs Gütergruppen Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Dünger, Wasserstoff und Elektrizität erfassen. Später sollen weitere Sektoren hinzukommen. Handelspartner, die solche Güter in die EU exportieren, sollen beim Import Emissionsrechte abgeben müssen, welche die unterschiedliche Bepreisung der Treibhausgasemissionen aus der Produktion dieser Güter ausgleichen. Ab dem Jahr 2034 fallen die Gratiszuteilungen dann ganz weg.

Die Schweiz ist vom CBAM im Handel mit der EU nicht betroffen, da die EU die Schweizer Klimapolitik im Industriebereich – dank der Verknüpfung mit dem EHS der EU – als gleichwertig betrachtet. Doch soll die Schweiz selber ein Grenzausgleichssystem schaffen, wie es gewisse Stimmen fordern, um zu verhindern, dass CO2-intentsive Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagern («Carbon Leakage»)? Nein, sagt der Bundesrat. Er empfiehlt derzeit, kein solches System einzuführen (siehe Artikel von Martin Lanz in diesem Schwerpunkt). Ob das Schweizer Parlament diese Haltung teilt, ist offen.

Wirkungsvolles Marktinstrument

Die Schweiz ist aufgrund des EHS-Abkommens allerdings dazu verpflichtet, die Verschärfungen des Cap und der Zuteilungsbedingungen im Bereich der Industrie und der Luftfahrt zu übernehmen. Zur Aufrechterhaltung des Abkommens wird die Schweiz auch die Gratiszuteilung in den vom CBAM betroffenen Sektoren in der Industrie im Gleichschritt mit der EU zurückfahren müssen. Die Revision des CO2-Gesetzes für die Zeit nach 2024[4], welche momentan im Parlament diskutiert wird, soll hierfür die nötige gesetzliche Grundlage schaffen.

Das EHS als klimapolitisches Instrument und dessen Verknüpfung mit der EU haben sich bewährt. Seit der Einführung 2013 bis heute ist der Ausstoss der Firmen im Schweizer EHS um rund 21 Prozent zurückgegangen. Mit dem steileren Absenkpfad wird erwartet, dass die Emissionen bis 2030 um weitere 15 bis 20 Prozent zurückgehen werden. Das EHS soll deshalb auch zukünftig eine wichtige Rolle zur Erreichung des Netto-null-Ziels 2050 spielen.

  1. Siehe Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union zur Verknüpfung ihrer jeweiligen Systeme für den Handel mit Treibhausgasemissionen (AS 2018 895). []
  2. Eine Übersicht dazu bietet das Bundesamt für Umwelt (Bafu) in einem Faktenblatt[]
  3. Siehe Verde, S.F. (2020), The Impact of the EU Emissions Trading System on Competitiveness and Carbon Leakage: The Econometric Evidence. In: Journal of Economic Surveys, 34: 320–343. []
  4. Siehe Postulat 22.061 «CO2-Gesetz für die Zeit nach 2024. Revision». []

Zitiervorschlag: Bucher, Raphael (2023). Das Emissionshandelssystem braucht mehr Biss. Die Volkswirtschaft, 10. Oktober.

Kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten

Die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten wird im EHS über sogenannte Benchmarks sichergestellt, wobei die effizientesten Anlagen in der EU als Referenz gelten. Über den Benchmark wird bestimmt, wie viele Tonnen CO2-Äquivalente bei einer treibhausgaseffizienten Produktion von beispielsweise einer Tonne Stahl ausgestossen werden dürfen. Basierend auf den historischen Produktionsdaten der Unternehmen und dem Benchmark, wird dann die Gratiszuteilung für das nächste Jahr bestimmt und jährlich anhand der aktuellen Produktionsdaten angepasst. Die zugeteilte Menge ist unabhängig vom effektiven Einsatz von Energieträgern oder Materialien und damit von der Treibhausgaseffizienz der eigenen Produktion. So hat das Unternehmen den Anreiz, seine Treibhausgasemissionen zu vermindern, damit es entweder überzählige Emissionsrechte verkaufen kann oder weniger zusätzliche Emissionsrechte kaufen muss.