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Das Ende der Illusionen

Patrick Hofstetter, Energie- und Klimaschutzexperte, WWF Schweiz, Zürich

Standpunkt

Natürlich könnten wir an dieser Stelle nochmals auflisten, auf welche Schreckensszenarien wir zusteuern, wenn sich das Klima so erhitzt, wie die aktuelle weltweite Politik es erwarten lässt. Fakt ist: Seit 1850 hat die Menschheit so viel CO2 in die Atmosphäre geblasen, dass die atmosphärische CO2-Konzentration heute rund 20 Prozent über dem Wert liegt, der nötig wäre, um die durchschnittliche Erwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Es geht also nicht länger darum, wer noch wieviel CO2 ausstossen darf, sondern um die Frage: Wer übernimmt wieviel der Verantwortung, um die CO2-Konzentration signifikant zu senken? Und doch werden jedes Jahr Hunderte von Milliarden Franken in die Exploration, Förderung und Subventionierung fossiler Energien investiert. Und es werden Tausende neuer Flugzeuge bestellt, wohl wissend, dass jedes neue konventionell betankte Flugzeug über seine Lebensdauer rund zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausstösst.

Die unbequeme Wahrheit ist: Klassische marktwirtschaftliche Instrumente allein können die Dekarbonisierung nicht mehr rasch genug voranbringen. Zwischen 2002 und 2007 hat der WWF mit Hochdruck auf das Ziel hingearbeitet, mit der damals im CO2-Gesetz vorgesehenen CO2-Abgabe von 210 Franken die Dekarbonisierung für die Schweiz einzuleiten und innerhalb von 20 Jahren die Abhängigkeit von fossilen Energien zu reduzieren. Schlussendlich wurde die Abgabe jedoch nur für Brennstoffe, aber nicht für Treibstoffe eingeführt, und der Abgabesatz blieb bis vor zehn Jahren kaum spürbar tief. Auch heute liegt er mit 120 Franken pro Tonne deutlich unter den damaligen gesetzlichen Möglichkeiten.

 

In Umfragen werden Gebote und Verbote oftmals als gerechter wahrgenommen.

 

Das Ruder jetzt allein mit marktwirtschaftlichen Instrumenten herumzureissen, würde zu starken Preiserhöhungen führen, die an der Urne sehr wahrscheinlich als unfair abgelehnt würden. Da hilft auch das Versprechen nicht, dass Einnahmen aus Lenkungsabgaben oder Auktionen zurück an die Bevölkerung fliessen. In Umfragen werden Gebote und Verbote oftmals als gerechter wahrgenommen. Tatsächlich war 1986 das Katalysator-Gebot mehrheitsfähig nicht eine Abgabe auf Stickoxide.

Was wir für die Zukunft brauchen, sind weder Ideologien noch Perfektionismus, sondern einen Mix an Instrumenten, die ein Ziel verfolgen: netto null Emissionen. Das heisst: Schluss mit Investitionen in fossile Infrastruktur – auch solche, die durch den Finanzplatz, Schweizer Rohstoffhändler und multinationale Konzerne im Ausland erfolgen. Wir brauchen hierfür einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, dass es wichtiger ist, immense mittel- und langfristige Schäden abzuwenden als «Dinosaurier-Geschäftsmodelle» um jeden Preis zu erhalten. Die Welt wird sich stärker ändern, als wir uns alle wünschen, wenn wir es nicht schaffen, unseren Blick und unsere Bemühungen auf eine lebenswerte Zukunft zu richten.

Zitiervorschlag: Patrick Hofstetter (2023). Standpunkt: Das Ende der Illusionen. Die Volkswirtschaft, 10. Oktober.