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Die notwendige Reform der multilateralen Entwicklungsbanken

Die multilateralen Entwicklungsbanken reformieren sich, um besser auf globale Herausforderungen antworten zu können. Die Schweiz unterstützt dieses Vorhaben: Sie fördert stärkere Partnerschaften und eine bessere Koordination innerhalb der internationalen Gemeinschaft.
Eine Reform der multilateralen Entwicklungsbanken ist notwendig. Eine bolivianische Bäuerin mit ihrem Kind. (Bild: Keystone)

Globale Herausforderungen wie Pandemien und der Klimawandel haben erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Schätzungen zufolge hat die Corona-Krise dazu geführt, dass mehr als 70 Millionen Menschen in die extreme Armut zurückgefallen sind. Dadurch ist die Zahl extrem armer Personen weltweit auf über 700 Millionen gestiegen, und die Fortschritte jahrzehntelanger Armutsbekämpfung wurden zunichtegemacht.[1] Diese Entwicklung bedeutet einen Rückschlag für die Agenda 2030 der UNO, die unter anderem darauf abzielt, die Armut weltweit und in all ihren Formen zu beseitigen.[2]

Um die globalen Herausforderungen zu bewältigen, muss die internationale Gemeinschaft Lösungen finden. Deshalb haben einige Länder – darunter auch die Schweiz – im Juli 2022 eine Initiative zur Reform der multilateralen Entwicklungsbanken (Multilateral Development Banks, MDB) angestossen. Diese internationalen Finanzinstitute, wie etwa die Weltbank, haben die Aufgabe, die nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die sogenannte Evolution-Reform soll sicherstellen, dass die MDBs besser auf die Dringlichkeit und das Ausmass der globalen Herausforderungen reagieren und ihren Auftrag zur Armutsbekämpfung erfüllen können. Die Reform beschränkt sich vorerst auf die Weltbank und wird dann schrittweise auf die regionalen Entwicklungsbanken wie die Afrikanische oder die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank ausgeweitet.

Die Schweiz setzt sich dabei intensiv für eine bessere Koordination und Arbeitsteilung auf internationaler Ebene ein, sowohl unter den MDBs als auch mit ihren Partnern wie etwa dem Internationalen Währungsfonds, den Vereinten Nationen, dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft. Die MDBs müssen sich auf ihre Schlüsselkompetenzen konzentrieren und ihre Zusammenarbeit in Bereichen von gemeinsamem Interesse, wie etwa dem Klimaschutz, verbessern, um die Wirkung ihrer Aktivitäten zu erhöhen.

Internationale Zusammenarbeit wird komplexer

Auf dem Papier ist die Idee einfach: Die Entwicklungsakteure sollen gemeinsam daran arbeiten, die globalen Herausforderungen zu lösen. In der Praxis scheitert dieser Ansatz oft an den individuellen Ambitionen und Strategien der beteiligten Institutionen. Viele von ihnen weiten ihr Mandat aus, um relevant zu bleiben und zusätzliche Finanzmittel anzuziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die multilaterale Entwicklungslandschaft in den letzten Jahren aufgrund geopolitischer Spannungen immer komplexer geworden ist. So sind in der Entwicklungszusammenarbeit zahlreiche neue Akteure[3] hinzugekommen: Zwischen 2009 und 2019 ist beispielsweise die Zahl der Empfängerländer mit mehr als 80 Geberorganisationen von 22 auf 92 gestiegen (siehe Abbildung 1). Diese Fragmentierung verstärkt nicht nur den Wettbewerb um begrenzte konzessionelle Mittel der Geberländer. Sie erschwert auch die Arbeit der Empfängerländer, weil sie mit einer Vielzahl an Akteuren konfrontiert sind, die unterschiedlich funktionieren sowie verschiedene Werte und Ansprüche haben. Das verhindert eine effiziente internationale Zusammenarbeit.

Abb. 1: Anzahl Geberorganisationen in den Empfängerländern nimmt zu (2009 und 2019)

INTERAKTIVE GRAFIK

Besonders auffällig sind diese Tendenzen bei der Klimafinanzierung. Dort hat sich die Anzahl Akteure seit 2006 fast verdreifacht (siehe Abbildung 2), während die durchschnittliche Projektgrösse zwischen 2015 und 2020 um rund 30 Prozent abgenommen hat. Hinzu kommt, dass auch die Zahl der Finanzierungsmechanismen erheblich gestiegen ist: 2022 umfasste das Klimaschutzverzeichnis der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nicht weniger als 88 solcher Mechanismen.[4] Kurz: Eine Reform zur Konsolidierung des multilateralen Systems der Entwicklungszusammenarbeit würde zweifellos zu mehr Effizienz führen.

Abb. 2: Anzahl offizielle Geber mit finanziellen Verpflich­tungen, nach Projektbereich (2006, 2013 und 2020)

Anmerkung: Der DAC ist der Entwicklungshilfeausschuss der OECD. Er umfasst 32 Mitglieder. Zusammenstellung aller offiziellen Geldflüsse aus den Datensätzen des Gläubigermeldeverfahrens (Creditor Reporting System, CRS) und der Klimabezogenen Entwicklungsfinanzierung – Empfängerperspektive (Climate-Related Development Finance, Recipient Perspective)
Quelle: OECD, CRS / Die Volkswirtschaft

Anders als die neuen Akteure im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit verfügen die MDBs bereits über die erforderlichen institutionellen und operativen Grundlagen, um den globalen Herausforderungen gerecht zu werden. Dank ihrer Expertise in der Umsetzung geeigneter Projekte tragen sie bereits heute am meisten zu den jährlich 100 Milliarden Dollar für internationale Klimaschutzverpflichtungen bei.[5] Zur Veranschaulichung: 2021 haben die MDBs 50,7 Milliarden Dollar an die Klimafinanzierung in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen beigesteuert.[6] Ihr Status als privilegierte Gläubigerinnen, ihre solide Finanzbasis und die Unterstützung der als Aktionäre beteiligten Regierungen versetzen sie in die Lage, sich an den internationalen Märkten Finanzmittel zu günstigen Konditionen zu beschaffen. Berücksichtigt man zudem ihre grosse regionale oder sogar globale Reichweite, sind sie sehr gut in der Lage, grenzüberschreitende Herausfor­derungen zu bewältigen.

Vorschläge der Schweiz für bessere Koordination

Um die internationale Zusammenarbeit effizienter zu gestalten, schlägt die Schweiz verschiedene Massnahmen zur Verbesserung der Koordination zwischen den MDBs vor. So werden die MDBs insbesondere aufgefordert, zusammen mit anderen Entwicklungsakteuren systematisch an den von Partnerländern gesteuerten Koordinationsplattformen teilzunehmen. Ausserdem sollen sie ihre Umwelt- und Sozialstandards und operativen Prozesse harmonisieren. Auch der Datenaustausch sowie die Erstellung gemeinsamer Studien und Diagnosen werden als wichtig erachtet. Schliesslich sollen die MDBs im Rahmen bestehender Strukturen marktbasierte Ansätze fördern, die den Wettbewerb um konzessionelle Mittel fördern und letztlich zur Erreichung der gemeinsamen Entwicklungsziele beitragen.

Die Weltbank eröffnet den Reigen

An der nächsten Jahrestagung der Weltbank vom 11. bis zum 15. Oktober 2023 in Marrakesch wird der neue Weltbank-Präsident Ajay Banga den Gouverneurinnen und Gouverneuren, darunter auch Bundesrat Guy Parmelin, die ersten Reformergebnisse vorstellen. Dazu zählen insbesondere die Aktualisierung der Weltbank-Mission sowie die Optimierung ihres Geschäfts- und Finanzmodells. Dies soll der Weltbank erlauben, globale Herausforderungen besser anzugehen.

Die Weltbank weiss um die Notwendigkeit, eine bessere Partnerin zu werden. Sie hat bereits einige Vorschläge der Schweiz aufgegriffen. So plant sie etwa eine Plattform, um die Zahl ihrer Kofinanzierungen mit regionalen Entwicklungsbanken und bilateralen Partnern zu erhöhen. Ausserdem sieht sie vor, eine Charta mit partnerschaftlichen Grundsätzen zu veröffentlichen. Diese vielversprechenden Entwicklungen ermutigen die Schweiz, sich weiter für ein System einzusetzen, das den globalen Herausforderungen besser begegnen kann.

  1. Siehe Weltbankgruppe (2022a). []
  2. Siehe Ziel 1 der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG): «Armut in all ihren Formen und überall beenden». []
  3. Mit «neue Akteure im Entwicklungsbereich» sind in diesem Artikel bilaterale, multilaterale, aber auch private Akteure gemeint. []
  4. Siehe Cichocka und Mitchel (2022). []
  5. Siehe Getzel et Prizzon (2023). []
  6. Siehe Multilateral Development Banks (2022). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Joël Farronato, Ivan Pavletic (2023). Die notwendige Reform der multilateralen Entwicklungsbanken. Die Volkswirtschaft, 10. Oktober.