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Geht die Nationalbank zu hohe Risiken ein?

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist in hohem Masse fremdfinanziert. Das ist jede andere Bank auch. Aber: Die SNB ist durch ihr gesetzliches Mandat der Preisstabilität implizit verpflichtet, den realen Wert ihrer Verbindlichkeiten zu erhalten. Das hat Folgen für ihre Risikofähigkeit und ihre Anlagepolitik.

Geht die Nationalbank zu hohe Risiken ein?

Wie wirken sich Verluste in der Bilanz der Schweizerischen Nationalbank auf ihr Mandat aus, die Preisstabilität zu gewährleisten? Präsident Thomas Jordan an einer Pressekonferenz. (Bild: Keystone)

Wann entstehen bei der Nationalbank Verluste? Meistens dann, wenn der Franken sich stark aufwertet. So hat es Thomas Jordan, damals noch Vizepräsident des SNB-Direktoriums, in einer Rede 2011 formuliert[1]. Seither hat die Schweizerische Nationalbank diese Aussage mehrfach wiederholt[2]. Sie betont zudem, dass die bedeutendsten Risikofaktoren der Währungsreserven die Wechselkurse sind.

Aber geben kurzfristige Kursschwankungen die fundamentalen Risiken der SNB wieder? Nein, denn kurzfristige Verluste kann die SNB immer auffangen, weil sie nicht illiquide werden oder bankrottgehen kann. Das zentrale Risiko ist vielmehr, dass langfristige Verluste die Handlungsfähigkeit der Nationalbank in der Geldpolitik einschränken.

Bei Inflation verringert sich der Handlungsspielraum

Die Kernfrage lautet also: Wie wirken sich Verluste auf das gesetzliche Mandat der SNB, die Preisstabilität zu gewährleisten, aus? Um sie zu beantworten, wirft man am besten einen Blick auf die Bilanz. Hier erscheinen die ausgegebenen Schweizer Franken und SNB-Bills (verzinsliche Schuldverschreibungen in Franken) bekanntlich als Verbindlichkeiten, genauso wie bei einer Firma Kredite auf der Passivseite der Bilanz aufgeführt sind. Wenn nun die SNB ihr Mandat der Preisstabilität erfüllt und die Inflation unter Kontrolle hält, bedeutet das nichts anderes, als dass der reale Wert des Frankens erhalten bleibt – und damit auch der reale Wert ihrer in Franken lautenden Verpflichtungen. Mit ihrem Mandat hat die Nationalbank ihren Gläubigern somit ein reales Versprechen abgegeben. Ihre Verpflichtungen sind real und nicht nominal.

Die Währungsreserven auf der Aktivseite sind dazu da, diese reale Verpflichtung zu decken. Fallen auf ihnen grosse Verluste an, wird das Eigenkapital negativ, und die Deckung ist nur noch für einen Teil der Währungsreserven gegeben. Dann kann die Nationalbank auch nur noch einen Teil der ausgegebenen Franken zum real versprochenen Preis zurückkaufen[3]. Droht Inflation, kann die SNB ihre Bilanz also nicht unbeschränkt abbauen, weil sie zu wenig finanzielle Mittel dafür hat. In dieser Situation ist demnach eines der zentralen Instrumente der Inflationsbekämpfung stark eingeschränkt. Obwohl die Nationalbank operativ weiterhin voll funktionsfähig bleibt, hat sie an geldpolitischem Handlungsspielraum verloren.

Negatives Eigenkapital schränkt den Handlungsspielraum aber nicht in jeder Situation ein. Resultiert es aus einer starken Frankenaufwertung, ist es unproblematisch. Dann zielt die Politik der SNB darauf ab, den Franken wieder zu schwächen. Dafür muss sie weitere Franken drucken – das kann sie jederzeit tun. Überbewertete Franken zurückzukaufen und die Währung damit weiter zu stärken, ist hingegen keine relevante Option der SNB-Politik.

Besser: Reale Risiken in den Fokus stellen

Der reale Kapitalerhalt ist also zentral. Das wird von der SNB auch so kommuniziert. Sie hat ihre Anlagen so strukturiert, dass langfristig mindestens der reale Werterhalt erwartet werden kann. Lang laufende Obligationen und Aktien rentieren langfristig besser als Geldmarktanlagen; sie erhöhen dadurch die Chance, dass der reale Kapitalerhalt gesichert werden kann.

Die Risikoanalyse der Währungsreserven nimmt die SNB jedoch trotzdem auf Basis der nominalen Volatilität vor. Sie sollte aber auch bei der Risikoanalyse die reale Perspektive einnehmen und den Fokus auf mögliche reale Verluste legen.

Auf den Währungsreserven können reale Verluste auf zwei Wegen anfallen. Erstens, wenn in Währungsräumen der Reservewährungen die Inflation höher ist als die Zinsen, also wenn ihre Realzinsen negativ sind. Dies war 2021 und sehr ausgeprägt 2022 der Fall (siehe Abbildung). Der zweite Kanal für reale Verluste ist ein Verlust in Lokalwährung, also ein Verlust auf den Obligationen oder der Aktien selbst. Auch hier waren die Verluste im Jahr 2022 bemerkenswert hoch.

Realer Wechselkurs und Gewinn der SNB (2008 bis Juli 2023)

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Die Verluste vor der Einführung der Euro-Untergrenze 2011, nach deren Aufhebung 2015 und in der Pandemie 2020 waren durch die Aufwertung des Frankens getrieben. Bei den Verlusten im Jahr 2022 blieb der reale Wechselkurs jedoch relativ stabil.
Quelle: SNB, Bloomberg / Die Volkswirtschaft

Anleihen und Aktien – oder Geldmarktpapiere?

Die beiden Risiken unterscheiden sich in einem Punkt ganz wesentlich: Die Länge der Bilanz – und somit das Risiko negativer Realzinsen in den Reservewährungen – ist das Resultat der Geldpolitik. Hingegen: Wenn die SNB Risiken bei Zinsen und Aktien eingeht, ist dies eine reine Anlageentscheidung. Die SNB könnte auch in Geldmarktpapiere investieren und so diese Risiken vermeiden.

Negative Realzinsen entwerten das Portfolio nur langsam, Verluste auf Aktien und Bonds können hingegen rasch anfallen. Das macht eine Gewichtung der beiden Risikofaktoren schwierig. Aktien- und Zinsrisiken sind aber wichtige Risikoquellen – wahrscheinlich sind sie sogar grösser als das Risiko negativer Realzinsen[4]. Ihr Abbau würde die realen Risiken jedenfalls spürbar reduzieren.

Eine weitere Quelle möglicher realer Verluste ist schliesslich der Zins, den die SNB auf die Sichteinlagen bezahlen muss, seit der Leitzins wieder positiv ist. Dieser neue Ansatz – die Verzinsung – zur Umsetzung der Geldpolitik wurde notwendig, weil die SNB wegen ihrer Überschussreserven den Leitzins nicht anders durchsetzen kann.[5] Damit beschränkt sich die Möglichkeit, unverzinste Franken auszugeben und verzinst anzulegen, praktisch auf das Bargeld. Diese sogenannten Seigniorage-Gewinne, die lange der zentrale Pfeiler der Ertragskraft der SNB waren, fallen also nur noch auf einem kleinen Teil der ausgegebenen Franken an.

Ein erneutes Aufflackern der globalen Inflation – also quasi eine Wiederholung der Ereignisse von 2022 – würde die Bilanz der SNB wieder erheblich belasten. Denn entweder reagieren die grossen Zentralbanken mit weiteren Zinserhöhungen, was zu weiteren Verlusten auf den Zinspapieren führen würde. Oder sie vernachlässigen die Inflationsbekämpfung und zahlen negative Realzinsen. Beides führt zu realen Verlusten auf den Fremdwährungsbeständen. Gleichzeitig müssten sie die inländische Inflation abwehren – entweder mit positiven Realzinsen oder einer Frankenaufwertung. Auch hier führen beide Optionen zu Verlusten. Die eigentlich als Realwerte geltenden Aktien dürften kaum stützen, da sie meist mit Kursrückschlägen auf steigende Inflation reagieren.

Kann das zusätzliche Risiko noch getragen werden?

Die aufgrund der Geldpolitik und der globalen Inflation geschwundene Ertragskraft sowie die grossen Verluste beeinträchtigen die Risikofähigkeit der Nationalbank. Vor dem Hintergrund ihres eigentlichen Mandats, der Preisstabilität, sollte die SNB genau analysieren, ob sie die Zins- und Aktienrisiken, die sie mit ihrer Anlagepolitik freiwillig eingeht, überhaupt noch tragen kann.

Allerdings steht die SNB mit ihren Bilanzrisiken und -problemen nicht allein da. Viele andere Zentralbanken haben mittlerweile sogar negatives Eigenkapital[6], zumindest wenn ihre Anlagen zu Marktwerten bewertet würden. Im Vergleich mit diesen Institutionen ist die SNB in einer komfortablen Situation. Sie hat Vertrauen geschaffen, indem sie ihre Gewinne und Verluste immer zeitnah und zu Marktwerten ausgewiesen hat. Zudem hat die SNB über Jahre Gewinne erwirtschaftet und diese zu einem grossen Teil auch als Risikopuffer einbehalten. Sie verfügt noch über Eigenkapital und könnte ihre Risiken durch einen Abbau der Bilanz verringern. Damit würde sie ihren Handlungsspielraum von den Entwicklungen der globalen Märkte unabhängiger machen.

  1. Thomas Jordan (2011); «Braucht die Schweizerische Nationalbank Eigenkapital?», Statistisch-Volkswirtschaftliche Gesellschaft, Basel, 28.09.2011. []
  2. Andréa Maechler (2017); «Die SNB-Anlagepolitik und ihre Besonderheiten», Geldmarkt-Apéro, Zürich, 23.03.2017. Sandro Streit and Patrick A. Muhl (2020); «The Swiss National Bank’s Investment Decision-Making Process from a Safe-Haven Currency Perspective», in: Jacob Bjorheim (ed.), Asset Management at Central Banks and Monetary Authorities, Springer. []
  3. Urs Birchler (2023); «Kann die Nationalbank Pleite gehen?», batz.ch – Das Forum für Schweizer Wirtschaftspolitik. []
  4. Dominik Boos (2023); «SNB’s Dependency on the Mercy of the Markets and the End of Seigniorage»[]
  5. Andréa Maechler (2022); «Rückkehr zu positiven Zinsen: Warum Reserve Tiering›?», Geldmarkt-Apéro, Genf, 17.11.2022. []
  6. Janet Cosier (2023); «Central Bank Negative Equity: a Risk Governance Perspective», www.centralbanking.com. []

Zitiervorschlag: Dominik Boos (2023). Geht die Nationalbank zu hohe Risiken ein. Die Volkswirtschaft, 02. Oktober.