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Gute Klimapolitik lässt die Wirtschaft wachsen

Lange kam die internationale Klimapolitik nicht vom Fleck. Doch seit einigen Jahren verordnen sich immer mehr Länder ein Netto-null-Ziel. Der Grund: Der Klimaschutzsektor ist der Wachstumsmarkt der Zukunft.

Gute Klimapolitik lässt die Wirtschaft wachsen

Wachstumsmotor Klimaschutz: Elon Musk tanzt 2022 bei der Eröffnung der Tesla-Gigafactory nahe Berlin. (Bild: Keystone)

Der in diesem Jahr veröffentlichte Synthesebericht des Weltklimarates (IPCC) verkündet wieder einmal die längst bekannte Botschaft: Solange die Menschheit Treibhausgase in die Atmosphäre ausstösst, wird die globale Durchschnittstemperatur der Erde ansteigen. Möchten wir diesen Anstieg unter 2 Grad Celsius halten, muss die Welt bis 2050 klimaneutral sein. Sprich: Global dürfen nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen, als durch natürliche oder künstliche Senken absorbiert werden.

Das Trittbrettfahrer-Problem

Aus ökonomischer Sicht handelt es sich bei der Vermeidung von Treibhausgasen um ein sogenanntes öffentliches Gut. Jede Tonne CO2, die ich vermeide, hilft, die globale Temperaturerhöhung und die damit verbundenen Schäden einzudämmen. Davon profitiere nicht nur ich, sondern die gesamte Welt. Die Kosten der Vermeidung trage jedoch ich allein. Den Nutzen, den meine Vermeidung für die anderen generiert, kann ich allerdings niemandem in Rechnung stellen. Diese «Trittbrettproblematik» führt letztlich dazu, dass wir insgesamt zu wenig fürs Klima tun. Denn alle hoffen, von den CO2-Einsparungen der anderen zu profitieren, ohne sich selbst einzuschränken.

Die klassische Lösung für dieses Problem ist die öffentliche Hand: Diese bietet öffentliche Güter wie Infrastruktur, Bildung und nationale Verteidigung an und finanziert diese durch Steuereinnahmen. Doch auf globaler Ebene gibt es keine solche Lösungsmöglichkeit. Denn es gibt keine supranationale Autorität, welche die Treibhausgasvermeidung weltweit politisch durchsetzen könnte.

Die einzige Alternative sind deshalb internationale Abkommen. Mit dem Pariser Klimaabkommen gelang 2015 zwar ein wichtiger Durchbruch in diesem Bereich, doch die tatsächlichen Erfolge sind bisher bescheiden. Denn obwohl (fast) alle Staaten der Welt dieses Abkommen ratifiziert haben[1], reichen die Vermeidungs­versprechen der Mitgliedsstaaten nicht aus, um den Temperaturanstieg auf 2 °C zu beschränken. Hinzu kommt: Die meisten Länder (auch die Schweiz) bleiben regelmässig hinter ihren Vermeidungsversprechen zurück. Aus Sicht der Trittbrettfahrer-Problematik ist dies nicht sonderlich überraschend.

Der globale Trend zur Klimaneutralität

Überraschend ist allerdings der neueste Trend in der internationalen Klimapolitik, den man seit ungefähr fünf Jahren beobachten kann: Immer mehr Länder verpflichten sich durch unilaterale nationale Gesetze selbstständig zur Klimaneutralität. Die EU, die Schweiz, die USA, Kanada, Grossbritannien, Australien, Brasilien und viele mehr: Sie alle versprechen, bis 2050 klimaneutral zu sein. Andere Länder haben es sogar deutlich eiliger mit dem Netto-null-Ziel: Finnland will bis 2035, Island und Österreich bis 2040 und Deutschland und Schweden bis 2045 CO2-neutral sein. Sogar Länder wie Saudi-Arabien, Russland und China streben bis 2060 Klimaneutralität an, Indien bis 2070. Was ist von diesen Versprechungen zu halten, insbesondere da sie im Gegensatz zur lange beobachteten Trittbrettfahrer-Logik stehen?

Natürlich ist nicht vollständig auszuschliessen, dass es sich bei diesen Klimaneutralitätsversprechen zumindest teilweise um politische Lippenbekenntnisse handelt, beispielsweise um eine zunehmend bewegte Klimajugend zumindest vorübergehend zu besänftigen. In Einzelfällen mag das zutreffen. Es gibt jedoch auch gute ökonomische Gründe, die diesen globalen Trend erklären können. Denn Klimaneutralität ist langfristig alternativlos. Länder, die früh mit dem technologischen Umbau auf eine nachhaltige Wirtschaft beginnen, haben einen wirtschaftlichen Startvorteil.

Technologischer Wandel ist in vollem Gange

Die «Kosten» einer effektiven Klimapolitik bestehen vor allem aus Investitionen in klimafreundliche Technologien. Tatsächlich ist der Trend zu erneuerbaren Energieträgern in vielen Sektoren bereits seit Jahren in vollem Gange. Aufgrund des exponentiellen Fortschritts neuer Technologien neigen wir jedoch dazu, diese lange Zeit zu unterschätzen, bis sie ‒ scheinbar über Nacht ‒ die alte etablierte Technologie hinwegfegen.

Dies erleben wir gerade bei der individuellen Mobilität. Elektroautos – vor wenigen Jahren noch als Kleinstnische belächelt – haben die Schwelle der Massenproduktion längst überschritten. Setzt sich die bisherige exponentielle Entwicklung fort, wird der Verbrennungsmotor noch vor 2030 aus dem Neuwagenmarkt für Personenwagen in der Schweiz verbannt sein (siehe Abbildung).[2] Bei der Wind- und der Solarenergie ist die Entwicklung ähnlich, wie etwa der IPCC-Bericht zeigt.

Neuzulassungen von Personenwagen in der Schweiz (2010–2022)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: Bundesamt für Statistik / Die Volkswirtschaft

Klimaziele geben Planungssicherheit

Sowohl die Richtung als auch die Geschwindigkeit des technologischen Wandels ist stark von den Rahmenbedingungen abhängig, in denen dieser stattfindet. Beispielsweise profitiert die Elektromobilität davon, dass die EU den Grenzwert des Flottenverbrauchs auf 95g CO2/km gesenkt hat und in zahlreichen Ländern direkte oder indirekte Subventionen für Elektrowagen existieren. Ähnliches gilt für Wind- und Solarenergie.

Solche Rahmenbedingungen schaffen Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien. Und genauso verhält es sich auch mit einem verbindlichen nationalen Klimaneutralitätsziel. Ein solches ist deshalb der erste wichtige Schritt, wenn ein Land seine Volkswirtschaft auf den Wandel vorbereiten will. Denn es signalisiert frühzeitig, dass langfristige Investitionen in fossile Energietechnologien nicht mehr rentieren. Der zweite wichtige Schritt ist dann, Treibhausgasemissionen zu bepreisen und sukzessive zu verteuern. Dies gibt zum einen auch kurz- bis mittelfristige Anreize für klimafreundliche Investitionen und unterstreicht zum anderen die Glaubwürdigkeit des langfristigen Klimaneutralitätsziels.

Die Schweiz hat Luft nach oben

Die Schweiz hat sowohl ein solches Klimaneutralitätsziel (netto null bis 2050) als auch eine CO2-Abgabe von derzeit 120 Franken pro Tonne CO2. Dennoch hat auch die Schweizer Klimapolitik Luft nach oben. Ein Grund dafür ist, dass die CO2-Abgabe nur für Emissionen aus bestimmten Sektoren gilt – nämlich auf Brenn-, nicht aber auf Treibstoffe. Dem Klima ist es jedoch völlig egal, aus welcher Quelle die Treibhausgase stammen.

Auch die mittelfristige Strategie der Schweiz, Emissionen teilweise über Emissionsreduktionen im Ausland zu kompensieren, ist aus zwei Gründen zu kritisieren: Erstens wird es in einer Welt, in der alle Länder klimaneutral werden müssen, mittelfristig keine «billigen» ausländischen Kompensations­möglichkeiten geben, weil es nur sehr begrenzte natürliche Senkenkapazitäten gibt. Zweitens verschieben Auslandkompensationen die nötigen Investitionen in den Umbau der eigenen Volkswirtschaft nach hinten. Der Klimaschutzsektor ist jedoch einer der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige weltweit. Zwischen 2019 und 2022 betrug die durchschnittliche Wachstumsrate 40 Prozent, und die Private-Equity-Investitionen haben sich im selben Zeitraum von 75 auf 196 Milliarden Dollar deutlich mehr als verdoppelt. Das Beratungsunternehmen McKinsey schätzt in einer Studie das Investitionspotenzial im Jahr 2030 auf 9 bis 12 Billionen Dollar. Investitionen in Klimaschutztechnologien sind deshalb unerlässlich, um unseren wirtschaftlichen Wohlstand und Arbeitsplätze zu erhalten und zu mehren. Andere Länder haben dies erkannt und bringen entsprechende Klimapolitiken auf den Weg. Jüngstes Beispiel sind die USA, die inländische wie ausländische Firmen mit Milliardensubventionen im Bereich Klimaschutztechnologien locken.

  1. Die unrühmlichen Ausnahmen sind der Iran, der Jemen und Libyen. []
  2. Selbst wenn es am Ende etwas länger dauern sollte: Die meisten Autobauer haben sich bereits verpflichtet, bis spätestens 2035 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren herzustellen. []

Zitiervorschlag: Ralph Winkler (2023). Gute Klimapolitik lässt die Wirtschaft wachsen. Die Volkswirtschaft, 10. Oktober.