Bundesrat Albert Rösti: «Wir können nicht davon ausgehen, dass alle Länder ihre Klimaversprechen einhalten.» (Bild: Keystone / Alessandro della Valle )
So richtig politisiert hat mich die EWR-Abstimmung 1992. Ich war auf der ablehnenden Seite – um die Freiheit der Schweiz zu erhalten. Ich war damals Student an der ETH Zürich und dort einer der wenigen, die Nein gestimmt haben.
Ja. Ich bin mit 18 der SVP beigetreten. Mein ganzes familiäres Umfeld war dort. Es gehörte irgendwie dazu. Mit 25 – bei der EWR-Abstimmung – überdachte ich meine Überzeugung: Bin ich in der SVP am richtigen Ort? Am Schluss überwog die häusliche Prägung.
Es war für mich eine sehr glückliche Fügung, dass ich dieses Departement bekommen habe – auch wenn das politisch nicht allen gepasst hat. In den Themenbereichen des Departements brachte ich viel Erfahrung mit: Als Agronom habe ich auch Umweltökonomie studiert. Während meiner elf Jahre als Nationalrat war ich Mitglied in der Umwelt- und Energiekommission und habe da parteiübergreifend gearbeitet.
Nein. Ich war nicht überrascht. Wenn es um Grundsätze geht und noch nicht um konkrete Massnahmen, dann ist es einfacher, eine Abstimmung zu gewinnen. Das Gesetz ist auf einen langen Zeithorizont hin ausgelegt. Nun geht es um die Umsetzung.
Die Politik muss die Massnahmen beschliessen, damit sich die Vorgaben des Gesetzes erreichen lassen. Da ist Umsicht gefragt, denn die Bevölkerung muss diese Massnahmen mittragen. Ist die Umsetzung nicht im Sinne des Volkes, kann man immer das Referendum ergreifen.
Albert Rösti in seinem Büro in Bern. (Bild: Keystone / Alessandro della Valle)
Nein. Das Klimagesetz ist auch konkret. Aber das CO2-Gesetz hätte unmittelbare Kosten für einzelne Haushalte und KMU bedeutet: höhere Benzinpreise, höhere Heizölpreise und eine Ticketabgabe fürs Fliegen. Das hätte dem Klima wenig gebracht und hätte nur die Leute belastet. Ich vertrete mit Vehemenz: Es macht keinen Sinn, die Leute mit Geld zu zwingen, aus etwas auszusteigen, wenn die Alternative nicht da ist – und das ist genügend Strom.
Energiepolitik steht vor Klimapolitik. Unser Land muss genügend Strom produzieren, um die 60 Prozent fossile Energie am gesamten Energieverbrauch zu ersetzen. Bis vor der Ukraine-Krise hatten wir genügend Strom. Die Krise hat die Situation aber dramatisch geändert. Daher muss die Dekarbonisierung im Gleichschritt mit dem Ausbau der Stromproduktion erfolgen.
Wir sind mit verschiedenen Projekten fast gleichzeitig im Parlament: die Revisionen des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes, die Beschleunigung für Windparks oder generell beschleunigte rechtliche Verfahren. Mit dem Solarexpress sollen ausserdem innerhalb von zwei Jahren möglichst viele alpine Solaranlagen gebaut werden – über 30 Projekte sind hier am Laufen. Zudem setzen wir auf Förderung: Jeder Stromkonsument bezahlt heute schon eine Bundesabgabe von 2,3 Rappen auf jede Kilowattstunde für den Ausbau neuer Energiequellen. Das gibt in der Summe etwa 1,3 Milliarden Franken pro Jahr.
Sie ist sehr pro Energieproduktion: Wir müssen mehr Strom produzieren und damit gewisse Konzessionen beim Landschafts- und Naturschutz eingehen. Gegenüber den letzten Wahlen hat sich die Stimmung verändert. Der Klimawandel beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger zwar nach wie vor – die Belastung durch die Krankenkassenprämien oder die AHV sind aber ebenso wichtige Themen.
Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir mit den Initiativen nicht übertreiben. Das Tempo bei den Gesetzgebungsprojekten ist hoch. Irgendwann überfordert man Parlament, Bürger und Bundesrat. Wir haben die geeigneten Gesetze und Fonds – nun geht es um die Umsetzung.
Die Klimakleber ärgern nur die Leute – und mich besonders.
Dass die Schweiz punkto politischer Einflussnahme eines der wunderbarsten Länder der Welt ist – insbesondere für Jugendliche. Junge können sich als Gemeinderäte wählen lassen. Im Kleinen können sie aktiv sein und etwas verändern, und viele kleine Steine ergeben dann etwas Grosses. Die Klimakleber hingegen ärgern nur die Leute – und mich besonders. Die Mehrheit der Bevölkerung hat mit der Abstimmung zum Klimagesetz ja gezeigt, dass sie der Meinung ist: Da ist ein Problem, wir müssen es lösen.
Es wäre vermessen, von einem Stopp zu sprechen. Aber wir müssen daran arbeiten, dass sich das Klima nicht zu stark und zu schnell verändert. Die Schweiz allein kann das Klima sowieso nicht beeinflussen. Dafür ist unser Anteil am globalen CO2-Ausstoss zu gering. Wir können aber mit unseren Innovationen, neuen Technologien und innovativen Firmen international einen angemessenen Beitrag leisten.
Wir können nicht davon ausgehen, dass alle Länder ihre Klimaversprechen einhalten. Vieles wird geschrieben und gesagt, aber weniger getan. Daher werde ich bei den Anpassungsmassnahmen einen Schwerpunkt setzen. Das Klimagesetz schafft eine entsprechende Grundlage. Es wird vermehrt Naturereignisse geben – das heisst, wir brauchen Schutzbauten, zum Beispiel gegen Hochwasser. Wir müssen uns aber auch wappnen für den Fall, dass etwas passiert. Warnung und Alarmierung sind also auch wichtig. Nötig sind zudem Massnahmen in der Landwirtschaft: etwa Bewässerungssysteme zur Bewältigung von Hitzeperioden und der Umstieg auf hitzeresistente Pflanzen.
Ich bin froh, kann ich das nicht. Sonst könnte es jemand anderes auch – und zwar in eine falsche Richtung. Aber: Ich würde bei den Einsprachen den Hebel ansetzen. Diese verzögern über Jahre die Weiterentwicklung von Stromproduktion, Infrastrukturen sowie öffentlichem und privatem Verkehr.
Die Marktwirtschaft fördert Innovation. Je länger, je mehr entstehen so neue Produkte, deren Preis fällt. Daher ist die Marktwirtschaft ein wichtiges Element. Woran ich aber nicht glaube, sind Lenkungsabgaben.
Nein. Die Nachfrageelastizitäten sind klein. Man müsste die Preise massiv erhöhen, bis etwas spürbar wird. Wenn ich mit dem Auto zur Arbeit fahren muss und Sie erhöhen den Benzinpreis um einen Franken – passiert gar nichts. Und wenn Sie den Benzinpreis noch stärker erhöhen, dann gibt es soziale Spannungen.
Wir haben das progressive Steuersystem bereits relativ intensiv ausgereizt. Der Bevölkerungsanteil, der Bundessteuer bezahlt, ist klein. Ausserdem: Einkommensabhängige Abgaben haben wenig mit Marktwirtschaft zu tun. Marktwirtschaft basiert ja auf der Leistung des Einzelnen. Belohnt wird, wer Leistungen erbringt. Und wenn Sie den Einzelnen strafen, dann bestrafen Sie vor allem die Tüchtigen. Damit sinkt die volkswirtschaftliche Gesamtleistung.
Daran glaube ich ganz fest. Unsere Welt hat schon mehrfach gezeigt, wie entwicklungsfähig sie ist. Und ich muss zugeben, ich war selbst überrascht, wie in den letzten fünf Jahren die Elektromobilität zugenommen hat. Früher hätte ich Ihnen gesagt, die kommt nicht vom Fleck: Benzin ist viel praktischer und auch günstiger. Jetzt fährt rund ein Viertel der Neuwagenkäufe elektrisch.
… ja. Weil es mit der Stromproduktion nicht schnell genug vorwärtsgeht. Europaweit wissen die Käufer nicht, ob es genügend Strom geben wird.
Verbote haben keine Chance vor Parlament und Volk.
Nein. Verbote haben keine Chance vor Parlament und Volk. Aber Technologieverbote wären auch falsch. Sie verhindern Entwicklung.
Ich akzeptiere diesen Volksentscheid. Kerntechnologie bräuchte so oder so eine gewisse Zeit von der Planung über Einsprachen bis hin zum Bau. Um kurzfristig auf eine Mangellage zu reagieren, ist es wichtig, dass wir auf erneuerbare Energien setzen. Aber es ist natürlich schon so: Wenn jedes dieser Projekte verzögert wird, wird die Frage nach Atomstrom wieder gestellt. Und auch ich werde diese Frage wieder stellen.
Manchmal klingt es in der Klimadiskussion nach Apokalypse. Dann sind wir jedoch im religiösen Bereich. Letztlich trage ich jetzt Verantwortung und muss versuchen, das Beste zu machen. Ich glaube immer, dass die Politik und der Mensch die Kraft haben, sein Überleben zu sichern.
Der Bundesrat strebt ein Stromabkommen an. Aber nicht um jeden Preis – beispielsweise um den Preis der Unabhängigkeit der Schweiz. Denn: In einer wirklichen Mangellage in Europa hilft uns auch ein Stromabkommen nicht. Wir sind jetzt in Sondierungsgesprächen mit der EU. Da dürfen wir auch etwas selbstbewusst hinstehen: Wir haben Süddeutschland dieses Jahr drei Mal mit Stromlieferungen ausgeholfen.
Letztlich ist das eine Wiedereinführung von Protektionismus, wie wir ihn über eine oder zwei Generationen in der WTO abgebaut haben. Die Schweiz war lange auch ein Land mit vielen Zöllen. Wenn wir jetzt ein gleiches System über den CO2-Ausstoss einführen, wäre das faktisch wieder ein Grenzschutz. Aus der Ökonomie wissen wir, das gibt massive volkswirtschaftliche Verluste. Denken wir auch an die Organisation und die administrativen Kosten, die dabei entstehen. Das erachtet der Bundesrat als viel zu komplex. Kommt noch dazu, dass CBAM nicht auf unsere Exporte in die EU angewendet wird. Das erleichtert uns auch diese Haltung.
Die Apokalypse kommt nicht.
Unsere Diplomaten sind zuversichtlich, dass viele Beteiligte bereit sind, das Nötige zu unternehmen, damit sich die Ziele des Pariser Abkommens erreichen lassen. Uns allen ist bewusst, dass wir uns für Anpassungsmassnahmen in den ärmsten Ländern einsetzen müssen. In diesen Ländern kommt es aufgrund der Klimaerwärmung zu Überschwemmungen – oder es steigt dort der Meeresspiegel. Die Schweiz bezahlt bereits relativ viel über die Entwicklungszusammenarbeit und den globalen Umweltfonds. Wir müssen dafür sorgen, dass grössere Staaten und Emittenten, beispielsweise China, auch in diesen Topf einzahlen und dass private Gelder generiert werden.
Als Kind wurde ich daran erinnert, dass man nicht zu viel Energie verbraucht. Damals wegen der Kosten. Das ist mir geblieben.
Die Apokalypse kommt nicht. Es ist uns noch nie so gut gegangen. Unsere Vorgängergeneration hat das alles erarbeitet. Es ging immer aufwärts. Es ist Teil meiner Verantwortung, mit der Schweizer Regierung dafür zu sorgen, dass die heute Jungen das auch in 50 Jahren sagen können.
Zitiervorschlag: Interview mit Bundesrat Albert Rösti (2023). «Steigt der Benzinpreis zu stark, gibt es soziale Spannungen». Die Volkswirtschaft, 09. Oktober.
Der 56-Jährige ist seit Januar 2023 Bundesrat und steht dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) vor. 1997 promovierte er an der ETH Zürich in Agronomie, danach arbeitete er in der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern – zwischen 2003 und 2006 als Generalsekretär. 2007 wurde er Direktor der Schweizer Milchproduzenten und später Präsident unter anderem der SVP Schweiz, des Dachverbands der Brennstoffhändler in der Schweiz, der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz, des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands und der Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure. Zwischen 2011 und 2022 vertrat er die SVP des Kantons Bern im Nationalrat.