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Wie die Dürre in Afrika die Schweizer Wirtschaft trifft

Die Überschwemmungen in Pakistan oder die Dürre in Ostafrika scheinen weit weg, doch sie sind es nicht. Die Schweiz hat handfeste ökonomische Gründe, ihre Klimapolitik zu intensivieren und solche Klimakatastrophen zu verhindern.

Wie die Dürre in Afrika die Schweizer Wirtschaft trifft

Wassermangel kann zu Konflikten und zu Migration führen. Wasserverteilung bei einer Zisterne in Somaliland. (Bild: Keystone)

Wer an den Klimawandel denkt, sieht Bilder von Überschwemmungen am Rhein, vom ausgetrockneten Lac de Joux, von schmelzenden Gletschern – und Jugendlichen, die sich auf die Strasse oder an Dirigentenpulte kleben. Einiges davon ist Folge des Klimawandels, anderes nur zum Teil, und vieles ist irreführend. Denn diese Bilder suggerieren erstens, dass uns die Auswirkungen des Klimawandels im eigenen Land am meisten betreffen. Sie blenden zweitens die ganze wirtschaftliche Dimension aus. Und sie zementieren drittens einen Graben zwischen gefühlt linksgrünen staatsfreundlichen Weltrettern und rechtsliberalen egoistischen Wirtschaftseliten, der weder dem Problem gerecht wird noch für die Lösung hilfreich ist.

Viele Klimarisiken in Industrieländern sinken

Klimarisiken sind nicht nur durch Häufigkeit und Stärke der Wetterereignisse bestimmt. Sie sind auch, und in vielen Fällen sogar vor allem, durch die Exposition, die Verwundbarkeit und die Fähigkeit definiert, auf ausserordentliche Bedrohungen zu reagieren. Exposition betrifft also die Frage, ob und allenfalls wie viel Infrastruktur und Menschen einem Klimaereignis ausgesetzt sind. Insgesamt nehmen die Exposition und damit die Schäden an vielen Orten zu. Denn wo vor 50 Jahren noch gar nichts war, ist heute oft alles verbaut.

Gleichzeitig nimmt die Verwundbarkeit in den Industrieländern ab: Durch besseres Verständnis der Prozesse, Gefahrenkarten, bessere Wetterprognosen, Warnsysteme, Naturgefahrenprävention und Technologien sind wir heute besser auf Naturereignisse vorbereitet. Vor Stürmen oder Hochwassern wird heute mehr als fünf Tage vorher gewarnt. Damit lassen sich zwar nicht alle Schäden vermeiden, aber in der Zwischenzeit lassen sich mobile Sperren aufbauen, Seepegel absenken sowie Wertsachen und Menschen evakuieren. Und kommt es doch zu Schäden, sind die Abläufe für Hilfe und Wiederaufbau klar, und die Versicherung zahlt.

Zudem: Die sogenannte Resilienz, die Fähigkeit, einem Naturereignis standzuhalten oder sich davon zu erholen, nimmt zu. Auch in der Schweiz sind wir robuster geworden und können Menschen und Infrastruktur relativ gut schützen. Nicht zwingend gilt das jedoch für natürliche Systeme wie Tierarten und Wälder: Ist es zu trocken, können sich diese nur beschränkt anpassen.

Die Schweiz ist keine Insel

Natürlich: Die Auswirkungen des Klimawandels spüren wir vor Ort am direktesten. Aber oft geht dabei vergessen, dass die Schweiz keine Insel ist. Denn was die Wertschöpfung angeht, ist die Schweiz sehr wahrscheinlich von den Auswirkungen des Klimawandels im Ausland stärker betroffen als von jenen im Inland. Sprich, schmelzende Gletscher bei uns wirken sich kostenmässig möglicherweise weniger stark auf die Schweizer Bevölkerung aus als anhaltende Dürren in Ländern, von denen wir Nahrungsmittel importieren. Das genau zu bestimmen, ist nicht einfach, aber Forschungsprojekte[1] dazu laufen. Wir leben in und von einer globalisierten Welt, verkaufen Dienstleistungen und Innovation in alle Welt, und der Finanzplatz Schweiz ist um ein Vielfaches grösser als das BIP der Schweiz. Wir vergessen oft: Geht es den Ländern um uns herum schlecht, trifft uns das zumindest finanziell enorm, sei es durch abnehmenden Handel oder durch unrentablere Beteiligungen im Ausland.

Anders als hierzulande arbeitet in Schwellen- und Entwicklungsländern ein grösserer Teil der Bevölkerung in der Landwirtschaft und ist damit dem Klima direkter ausgesetzt als eine Gesellschaft, die ihr Leben mit Dienstleistungen verdient. Schlechte oder gar keine Infrastruktur sowie wenig Technologie und Geld führen dort zu einer hohen Verwundbarkeit. Der Klimawandel ist dabei oft nicht die alleinige direkte Krise, sondern er wirkt in Kombination oder als Brandbeschleuniger von bestehenden ökonomischen, ökologischen und humanitären Krisen: Hunger, Kampf um Wasser oder nicht nachhaltige Nutzung von Land. Über Konflikte, Migration, Preise und Lieferketten sind auch wir davon betroffen. Schon 2011 hat eine Studie argumentiert, dass der Klimawandel den Ertrag von Weizen um 5 Prozent reduziert hat, was sich in eine Preiszunahme von 19 Prozent übersetzt.

Nichts tun ist am teuersten

Die Kosten für die fossile Energie plus die Kosten der Schäden des Klimawandels sind höher als diejenigen der Vermeidung des CO2. Selbst wenn wir bis 2050 ein Netto-null-CO2-Ziel erreichen, wird der dann erreichte Klimawandel noch über Jahrhunderte weiterbestehen und Schäden verursachen. Obwohl dies schon lange bekannt ist, werden jährlich Hunderte von Milliarden in neue fossile Infrastruktur wie Pipelines und Tanklager gepumpt – auch von Schweizer Firmen und Banken[2]. Und was heute gebaut wird, das muss viele Jahrzehnte laufen, damit es rentiert. Auf oberster politischer Ebene wird deshalb lobbyiert, damit sich wenig ändert. Wohl wissend, dass diese Strategie langfristig nicht nachhaltig ist. Wir setzen mit unserem Handeln nicht nur unseren Planeten, unsere Lebensgrundlage aufs Spiel, sondern verpflichten unsere Kinder, später für alle Schäden zu bezahlen.

Dabei gibt es genügend Alternativen. Klimaschutz und Energiewende sind nicht ein Problem von Technologie und Geld, sondern eine Frage von politischem Willen. Erneuerbare Energie ist schon heute in vielen Fällen günstiger als fossile.[3] Berücksichtigt man die Schäden von mehreren Hundert Franken pro Tonne ausgestossenes CO2, wird dieser Preisvorteil noch deutlicher. Weil aber der Ausstoss von CO2 in vielen Fällen noch immer nichts kostet, wird der Wettbewerb verzerrt, und fossile Energieträger bleiben (scheinbar) attraktiv. Niemand verneint es: Natürlich wird der Umbau der Gebäude und des Energiesystems kosten, aber nichts tun kostet langfristig noch mehr.

Entwicklungsländer tragen Hauptlast

Der Klimawandel ist fundamental unfair: Diejenigen, die ihn historisch am wenigsten verursacht haben, leiden am stärksten darunter. Es ist leicht, in diesem Spannungsfeld wegzuschauen und sich auf das eigene Land zu konzentrieren. Was auf den ersten Blick weit weg erscheint, ist jedoch näher, als die Bilder in den Nachrichten suggerieren. Es betrifft uns über instabile Lieferketten, erhöhte Preise beim Nahrungsmittelimport und letztlich über reduzierte Kaufkraft im Ausland.

Neben der moralischen Verantwortung haben wir also auch ein direktes Interesse, den Entwicklungs- und Schwellenländern zu helfen und gemeinsam eine nachhaltige Welt zu gestalten. Reduzieren wir die Abhängigkeit von einzelnen Ländern und Energieträgern, erhöhen wir die Resilienz des globalen Systems und reduzieren gleichzeitig geopolitische Abhängigkeiten, wie zum Beispiel bei russischem Gas. Mit diversifizierten Lieferketten, internationaler Zusammenarbeit und weniger Isolation in Europa sind wir in Krisen besser aufgestellt.

EU und USA machen es vor

Es ist kein Zufall, dass sich der grösste Teil der Wirtschaft im Juni dieses Jahres hinter das Klimaschutzgesetz gestellt hat. Sie sieht die Chancen der Innovation, sie will gleich lange Spiesse für alle sowie verbindliche Ziele, damit sie planen kann. Die Idee, dass die kleine Schweiz inmitten der EU mit eigenen Regeln oder Normen besser fahren würde, ist Wunschdenken. Die Veränderungen erfolgen schnell und sind weitreichend, und wir tun gut daran, sie mitzugestalten, statt zu warten, bis andere uns die Regeln aufdrücken.

Klimaschutz und Energiewende bedeuten also nicht nur schmelzende Gletscher. Vielmehr sind es handfeste wirtschaftliche und geopolitische Realitäten, bei denen ökologische und ökonomische Herausforderungen über Parteigrenzen hinweg angepackt werden müssen. Klima- und Energiepolitik ist nicht primär Plastiksäcklisparen, sondern auch Wirtschafts- und Aussenpolitik, Innovation und Standortförderung. Investieren wir im eigenen Land, dann ersetzen wir nicht nur alte Infrastruktur, sondern können innovative Lösungen auch ins Ausland verkaufen. Ein ambitioniertes Klimaziel ist günstiger, als wie bisher auf fossile Mobilität und Heizungen zu setzen. Ein ambitioniertes Klimaziel reduziert die geopolitischen Abhängigkeiten von Öl und Gas und stärkt den Standort Schweiz. Die EU und die USA machen mit dem Green Deal und dem Inflation Reduction Act gerade vor, wie erfolgreich milliardenschwere Infrastrukturpakete für die Länder sein können. Das Beispiel USA zeigt: Mit Weitsicht und der Bereitschaft zur Veränderung über Parteigrenzen hinweg sind Lösungen mehrheitsfähig, von denen am Ende alle profitieren.

  1. Siehe NCCS-Impacts, Projekt «Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Schweiz». []
  2. Siehe Swissinfo vom 27.3.2019: «1900 Mrd. Fr. – so viel haben Banken in dreckige Energie investiert». []
  3. Siehe Ourworldindata (2020). Why Did Renewables Become So Cheap So Fast? 1. Dezember. []

Zitiervorschlag: Reto Knutti (2023). Wie die Dürre in Afrika die Schweizer Wirtschaft trifft. Die Volkswirtschaft, 09. Oktober.