Suche

Abo

Die Schweizer Schuldenbremse als Vorbild für Deutschland

Die deutsche und die Schweizer Schuldenbremse haben viel gemeinsam. Das ist kein Zufall. Aber die Geschichte der Fiskalregeln reicht noch weiter zurück, der Kanton St. Gallen kennt sie seit 1929.
Schriftgrösse
100%

Die Schweizer Botschaft (links) in Sichtweite des Reichstags in Berlin. (Bild: Keystone)

Es war ein Einschnitt für die Finanzpolitik in der Schweiz – aber nicht nur dort. Das Schweizer Stimmvolk stimmte am 2. Dezember 2001 der eidgenössischen Schuldenbremse mit 85 Prozent Ja-Anteil zu. Auch die deutsche Schuldenbremse, die Bundestag und Bundesrat 2009 mit verfassungsändernden Zweidrittelmehrheiten verabschiedeten, ist an die Schweizer Schuldenbremse angelehnt.

In der Tat lässt sich kausal belegen, dass die eidgenössische Schuldenbremse die Verschuldung des Bundes reduziert hat.[1] Obwohl noch nicht kausal bewiesen, spricht vieles dafür, dass auch der nachhaltige Rückgang der Staatsschulden in Deutschland von 2010 bis 2019 durch die Schuldenbremse mitverursacht ist. Es war der erste Rückgang in Deutschland seit den 1970er-Jahren.

Lange Debatten im Vorfeld

In den heute geführten Diskussionen, ob solche Fiskalregeln sinnvoll sind oder nicht, scheint in Vergessenheit geraten, dass diesen Verfassungsänderungen in der Schweiz und in Deutschland bereits ein intensiver wissenschaftlicher und politischer Diskurs vorausging. Ausgangspunkt dieser Debatten waren die Steuerzahlerrevolten in den USA im Jahr 1978, die eine Begrenzung der Steuerbelastung durchsetzten. In der nachfolgenden Reagan-Ära stieg die Staatsverschuldung stark an und führte zu einer Ergänzung der schon seit 1917 auf Bundesebene bestehenden Schuldengrenze um den Gramm-Rudman-Hollings Balanced Budget Act.

Auch die Schuldenkrisen der 1980er-Jahre veranlassten den Internationalen Währungsfonds (IWF) dazu, einigen Schwellenländern wirksame Fiskalregeln zu empfehlen.[2] Der vielfach begrüsste brasilianische «Fiscal Responsibility Act» des Jahres 2000, der relativ strikte Fiskalregeln für die brasilianischen Bundesstaaten und die Bundesebene einführte, war der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Schon kurz zuvor führte der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU die fiskalischen Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags in das Regelwerk der Europäischen Währungsunion über.

In der Schweiz hat nicht nur der rasche Schuldenanstieg des Bundes in der Stagnation der 1990er-Jahre den Weg für eine Schuldenbremse bereitet. Einige Schweizer Kantone hatten, teilweise schon lange vorher, eigene Schuldenbremsen eingeführt und dienten daher als Vorbild. Insbesondere die seit 1929 bestehende St. Galler Schuldenbremse erlangte Prominenz. In Deutschland befeuerten die Sorgen um den steigenden Trend der deutschen Staatsschuldenquote seit den 1970er-Jahren und die demografische Entwicklung die Diskussion. Hinzu kamen die Haushaltsnotlagen einiger Bundesländer.

Wenn die Verschuldung ausser Kontrolle gerät

Wie die historische Skizze zeigt, gibt es unterschiedliche Gründe für fiskalische Beschränkungen. Zuvorderst steht die Sorge um die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Diese ist dann in Gefahr, wenn die Staatsschuldenquote – also die nominalen Schulden gemessen am BIP – im Trend steigt und das Zinsniveau über dem Wirtschaftswachstum liegt. In einer solchen Lage müssen Staaten ihren Haushalt konsolidieren, indem sie Primärüberschüsse bilden. Das bedeutet: Die Staatseinnahmen (ohne Nettoneuverschuldung) müssen grösser sein als die Staatsausgaben (abzüglich der Zinszahlungen).

Die Tragfähigkeit ist bedeutsam für die Kapitalmärkte. Steht sie infrage, ziehen sich Anleger aus den Staatsanleihen eines solchen Landes zurück, die Refinanzierungsbedingungen verschlechtern sich zusätzlich und führen dazu, dass sich weitere Anleger zurückziehen und so weiter… Kurz: Es entsteht eine Spirale sich selbst erfüllender Erwartungen, die in den Staatsbankrott führt.

Eine solche Entwicklung kann unvermittelt eintreten, wenn Zweifel an der Tragfähigkeit aufkommen, so wie es in Griechenland im letzten Jahrzehnt der Fall war. Auch eine allmähliche Korrektur in Form von steigenden Risikoaufschlägen diszipliniert die Finanzpolitik unzureichend. Ist der Weg zum Staatsbankrott erst einmal eingeschlagen, lässt sich diese Entwicklung nur schwer stoppen.

Dann wird oft der Ruf nach Rettung durch die Geldpolitik laut. Der Geldpolitik droht dabei eine fiskalische Dominanz, in der die Zentralbank keine autonome Geldpolitik betreibt, sondern die Auswirkungen ihrer Zinsentscheidungen auf die öffentlichen Finanzen berücksichtigt und vom Ziel der Preisstabilität abweicht. Letztlich ist es unerheblich, ob es zu einem Zahlungsausfall kommt oder ob die Geldpolitik durch die Notenpresse eine Inflation auslöst. Staatsbankrotte und Hyperinflationen sind zwei Seiten derselben Medaille. Eine Vielzahl von Hyperinflationen in der Geschichte geht auf die Finanzierung unsolider Finanzpolitik zurück.

Fiskalregeln als Lösung

Doch warum kann es so weit kommen? Sicher, es gibt gute Gründe für Staatsverschuldung: in ausserordentlichen Fällen, etwa aufgrund konjunktureller Entwicklungen, singulärer Schocks wie Naturkatastrophen oder bei besonders hohen Investitionen. Dann sorgt die Staatsverschuldung dafür, dass die Verzerrungen, die durch eine zusätzliche Steuerbelastung zur Finanzierung solcher akuter Finanzbedarfe auftreten würden, über die Zeit verteilt und somit geglättet werden.

Doch das Problem liegt in der Unfähigkeit der Politik zur Konsolidierung, etwa wenn eine Rezession abgeflaut ist und es in guten Zeiten gilt, Überschüsse zu realisieren. Die Politik hat einen intrinsischen Hang zu übermässigen Defiziten – sei es, um Wählerstimmen zu gewinnen, oder generell, weil zu viele Anspruchsgruppen die öffentlichen Haushalte übernutzen.

Fiskalregeln helfen, die Politik zu disziplinieren und ihre Defizitneigung zu korrigieren. Sie können dafür sorgen, dass die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sichergestellt und eine fiskalische Dominanz in der Geldpolitik verhindert wird. Doch dazu müssen die Regeln wirksam und glaubwürdig sein. Ihre Verankerung auf der Verfassungsebene wie in der Schweiz und in Deutschland trägt viel zur Glaubwürdigkeit bei. Auch die Ausgestaltung der Regeln ist wichtig. Sie müssen in das Haushaltsverfahren eines Staates eingepasst sein und dafür sorgen, dass sich die Ausgaben des Staates strukturell an die (Steuer-)Einnahmen anpassen. Dadurch werden Konjunkturschwankungen berücksichtigt. Sowohl die Schuldenbremse der Schweiz als auch jene Deutschlands erfüllen dies. Beide erlauben zudem eine ausserordentliche zusätzliche Verschuldung in besonders schweren Krisen, und sie verknüpfen die Haushaltsplanung und den Haushaltsvollzug durch ein Ausgleichskonto.

Schuldenbremsen schützen vor staatlichem Investitionshunger

Im Zentrum der Kritik an Fiskalregeln stehen immer wieder die staatlichen Investitionen. Bemängelt wird, dass die Schuldenbremse notwendige Investitionen verhindere. In entwickelten Volkswirtschaften kann die bestehende Infrastruktur jedoch kontinuierlich instand gehalten und an neue Bedürfnisse angepasst werden, ohne dass es zu einmaligen grossen Kraftanstrengungen kommen muss.

Staatliche Investitionen sind zudem nicht grundsätzlich staatlichen Konsumausgaben vorzuziehen. Rechtssicherheit oder Bildung, die im Wesentlichen zum Staatskonsum zählen, sind ebenso bedeutsame Vorleistungen für private Investitionsentscheidungen wie Verkehrsinfrastruktur. Wenn der Staat insgesamt sinnvoll Marktversagen korrigiert und dabei effizient wirtschaftet, erleichtert er es den Privaten, ihre Konsum- und Investitionsentscheidungen wohlstandsmehrend zu treffen. Dies ist immer wieder neu auszutarieren und erlaubt keine besondere Bevorzugung einer Ausgabenkategorie.

Hinzu kommt die Problematik der Abgrenzung zwischen Investitionen, Transfers und Staatskonsum. Heutzutage versucht jede Anspruchsgruppe ihre Wünsche als Investitionen zu verkaufen. Subventionen für die Stahlindustrie werden so zu Investitionen in die Klimaneutralität, solche für die Halbleiterindustrie zu Investitionen in die Widerstandsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Fiskalregeln begrenzen solchen Unfug und erhalten die Tragfähigkeit. Jeglichen Unfug verhindern können sie gleichwohl nicht.

  1. Siehe Salvi et al. (2020) sowie Pfeil und Feld (2023). []
  2. Kopits und Szymanski (1998). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Feld, Lars P. (2023). Die Schweizer Schuldenbremse als Vorbild für Deutschland. Die Volkswirtschaft, 10. November.