Suche

Abo

Fiskalregeln wirken

Fiskalregeln fördern ausgeglichene öffentliche Haushalte und halten die Verschuldung im Zaum. Die empirische Evidenz zeigt dies. Damit Fiskalregeln in Rezessionen allerdings nicht übersteuern, braucht es eine gute Ausgestaltung, die Spielräume erlaubt.
Schriftgrösse
100%

Fit durch die Krise: Der tiefe Schuldenstand half der Schweiz durch die Corona-Pandemie. (Bild: Keystone)

Seit Corona ist die öffentliche Verschuldung in zahlreichen Ländern teilweise stark gestiegen (siehe Abbildung 1). Diese markante Zunahme der Staatsschulden sehen viele Fachleute kritisch. Denn eine hohe Verschuldung kann den Handlungsspielraum eines Staates einschränken, auf längere Sicht das Wirtschaftswachstum bremsen und künftige Generationen belasten. Zwar können Schulden gerechtfertigt sein, beispielsweise um Wirtschaftskrisen abzumildern oder Investitionsspitzen aufzufangen. Oft gibt es aber andere Gründe für die teils hohe und oft anhaltende Verschuldung in vielen Staaten.

Einen Erklärungsansatz, wieso die Verschuldung in demokratischen Staaten kontinuierlich ansteigt, bietet das Konzept des «Deficit Bias». Dieses erklärt die Verschuldungsneigung mit verschiedenen Anreizen, welche beispielsweise die Entscheidungsträger in Regierungen und Parlamenten dazu verleiten, über erhöhte öffentliche Ausgaben ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen.

Abb. 1: Staatsverschuldung in ausgewählten OECD-Ländern (1999–2022)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: OECD / Die Volkswirtschaft

 

Regeln für eine verantwortungsvolle Finanzpolitik

Fiskalregeln (siehe Kasten) bezwecken, der Verschuldungsneigung entgegenzuwirken, dies durch einen verbindlichen Rahmen für die finanzpolitischen Entscheidungen. Sie erhöhen die Ausgabendisziplin der Politiker, indem sie sie zwingen, öffentliche Ausgaben stärker zu priorisieren. Zudem stärken solche Fiskalregeln letztlich das Vertrauen der Unternehmen, der Investoren und auch der privaten Haushalte in eine nachhaltige Finanzpolitik. Die Corona-Krise hat überdies gezeigt, dass das Einhalten von Fiskalregeln und damit gesunde öffentliche Finanzen helfen, den finanzpolitischen Spielraum zur Abfederung wirtschaftlicher Schocks zu vergrössern. Mittlerweile steuern weltweit über 100 Staaten ihren Haushalt mithilfe von Fiskalregeln (siehe Abbildung 2).

Die Erwartungen an Fiskalregeln sind hoch: Einerseits sollen sie eine solide Finanzpolitik sicherstellen. Andererseits sollen sie aber auch erlauben, auf Krisen angemessen zu reagieren und Investitionen für ein nachhaltiges Wachstum zu tätigen. Dieses Spannungsverhältnis führt immer wieder zu intensiven Debatten: Ab wann sind Fiskalregeln zu einschneidend? Ab wann sind sie zu locker? Aktuell wird auch in der EU über eine Reform der EU-Fiskalregeln diskutiert. Diese wurden seit ihrer Einführung vor gut 25 Jahren mehrfach angepasst, im Zuge der Pandemie 2020 ausgesetzt und warten nun auf ihre Wiederanwendung.

Abb. 2: Anzahl Länder mit Fiskalregeln weltweit (1990–2021)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: IWF / Die Volkswirtschaft

Was sagt die Forschung?

Die empirische Literatur zeichnet ein zunehmend differenziertes Bild über Fiskalregeln. Ihr Tenor lautet: Fiskalregeln wirken.[1] So zeigen die breit abgestützten empirischen Ergebnisse etwa, dass Fiskalregeln die öffentlichen Finanzen grundsätzlich positiv beeinflussen. Das gilt insbesondere für den Haushaltssaldo, die Verstetigung der öffentlichen Ausgaben über den Wirtschaftszyklus und die Staatsverschuldung. Budgetausgleichs- und Ausgabenregeln, wie sie etwa in der Schweiz und in Deutschland zur Anwendung kommen, zeigen dabei tendenziell bessere Resultate als reine Schuldenregeln (siehe Kasten).

Für die Planung und die Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik sind Budgetprognosen ein wichtiges Element. Die Empirie zeigt, dass Fiskalregeln zu präziseren Prognosen beitragen, und führt dies im Wesentlichen darauf zurück, dass mit wirksamen Fiskalregeln geringere Anreize für taktisch gefärbte Budgetprognosen – wie etwa zu optimistische oder zu pessimistische Einnahmenschätzungen des Finanzministeriums – bestehen.

Empirisch gut belegt ist auch die These, dass sich die Staaten mit Fiskalregeln zu günstigeren Bedingungen verschulden können, da ihr Rating besser und der Risikoaufschlag auf Staatsanleihen tiefer ist. Die Vorteile von Fiskalregeln auf dem Kapitalmarkt sind umso grösser, je verbindlicher die Regel ist und je mehr Unsicherheit im jeweiligen Marktumfeld herrscht.

Vorwurf: Investitionsbremse

Öffentliche Investitionen sind essenziell für die Grundversorgung, den Service public. Auch zur Bewältigung langfristiger Herausforderungen wie der demografischen Alterung oder des Klimawandels sind sie wichtig. Letztlich sind sie die Grundlage für langfristiges Wachstum. Doch: In vielen Ländern lässt sich seit Langem ein Rückgang der öffentlichen Investitionen gemessen am BIP beobachten. Welche Rolle spielen dabei Fiskalregeln? Die empirische Forschung findet dazu gemischte Resultate. Eine Mehrheit der Studien findet keine negativen Effekte auf die Investitionen, teils sogar positive Zusammenhänge. Andere Untersuchungen folgern jedoch, dass Fiskalregeln die öffentlichen Investitionen – besonders in Rezessionen – verdrängen. Weitgehend einig sind sich die Forscher hingegen darüber, dass Fiskalregeln die öffentlichen Investitionen dann wirksam schützen können, wenn sie genügend flexibel ausgestaltet sind.

Fiskalregeln werden auch oft dafür kritisiert, dass sie die prozyklische Tendenz der Finanzpolitik verstärken. Dies ist vor allem bei schlechter Konjunkturlage der Fall, wenn tiefere Steuererträge Ausgabenkürzungen zur Folge haben. Die empirische Forschung stellt allerdings fest, dass Fiskalregeln antizyklisch und damit stabilisierend wirken können, wenn sie über Mechanismen verfügen, die dem Konjunkturverlauf entgegenwirken. Dies beispielsweise durch die explizite Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung bei der Festlegung des Budgets, so wie sie auf Bundesebene angewendet wird.

Gesetzlich verankert, aber nicht zu starr

Die empirische Literatur zeigt, dass primär zwei Aspekte den Erfolg von Fiskalregeln prägen: ihre Ausgestaltung und das institutionelle Umfeld. Was die Ausgestaltung angeht, sind Ausgaben- und Budgetausgleichsregeln wirksamer als reine Schuldenregeln. Auch wesentlich ist, dass die Regeln einerseits gesetzlich stark verankert sind, andererseits aber auch Spielräume zulassen für ein antizyklisches, investitionsfreundliches Budget sowie für ausserordentliche Ereignisse wie die Corona-Krise. Was die Qualität der öffentlichen Institutionen angeht, zeigen jüngere Studien, dass beispielsweise eine effiziente Verwaltung oder eine transparente Haushaltsführung die Wirkung von Fiskalregeln auf die öffentlichen Finanzen unterstützen.

Die empirischen Befunde unterliegen jedoch auch Einschränkungen. So stellt sich die Frage, ob Länder, die ohnehin auf eine tragfähige und solide Finanzpolitik achten, nicht auch eher dazu neigen, Fiskalregeln einzuführen und konsequent umzusetzen. Falls dies zutrifft, ist davon auszugehen, dass die empirischen Ergebnisse den kausalen Einfluss von Fiskalregeln auf die öffentlichen Finanzen systematisch überschätzen.

Über alles gesehen, darf dennoch festgehalten werden: Fiskalregeln wirken. Sie helfen, die Staatsschulden zu begrenzen, und stärken so die Resilienz der Volkswirtschaft. In dieser Hinsicht ist die Schuldenbremse des Bundes ein gutes Beispiel.

  1. Die zugrunde liegende Übersicht über die jüngere empirische Literatur basiert auf Brändle und Elsener (2023). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Brändle, Thomas; Elsener, Marc; Baur, Martin (2023). Fiskalregeln wirken. Die Volkswirtschaft, 13. November.

Vier Typen von Fiskalregeln

Eine Fiskalregel ist eine gesetzlich verankerte Bestimmung, die den finanzpolitischen Ermessensspielraum von Regierung und Parlament begrenzt. Sie dient dem Ziel, den öffentlichen Haushalt auf Dauer stabil zu halten und eine übermässige Verschuldung zu vermeiden. Grundsätzlich gibt es vier Typen von Fiskalregeln mit unterschiedlichen Zielgrössen:

Schuldenregeln setzen eine Schuldenobergrenze, meist quantifiziert als BIP-Quote. Sie sind einfach zu vermitteln, dienen aber nicht als exakte Leitplanken, denn die Obergrenze kann nicht vollständig von der Regierung beeinflusst werden.

Budgetausgleichsregeln limitieren das zulässige Budgetdefizit, das sich letztlich auf die Verschuldung auswirkt. Sie können fast vollständig gesteuert werden. Ihre Zielgrösse kann sich auf verschiedene Budgetwerte beziehen, die Regel setzt aber immer unmittelbare Budgetgrenzen. Ausnahmen für Schuldzinsen oder die Berücksichtigung der Konjunktur sind grundsätzlich sinnvoll, machen die Regel in der Tendenz jedoch komplizierter.

Ausgabenregeln begrenzen die Staatsausgaben und können als absolute Zielgrössen oder bezogen auf Wachstumsraten pro Jahr oder für mehrere Jahre quantifiziert werden. Sie wirken unmittelbar und sind gut steuerbar, haben aber keinen direkten Bezug zur Verschuldung, solange die Einnahmen nicht berücksichtigt werden.

Einnahmenregeln setzen untere oder obere Grenzen auf der Einnahmenseite und dienen primär der Einnahmenverbesserung oder der Begrenzung der Steuerlast. Sie haben oft keinen direkten Bezug zu Ausgaben und Verschuldung und sind aufgrund der Konjunkturabhängigkeit der Einnahmen schwierig festzulegen.