Ein traditioneller Silvesterklaus in Appenzell Innerrhoden: Der Kanton steht bei den Staatsfinanzen weniger gut da als sein vorbildlicher innerrhodischer Bruderkanton. (Bild: Keystone)
Solide Staatsfinanzen sind die Grundvoraussetzung für eine wachstumsorientierte Politik. Sie bieten einen Puffer für schlechte Zeiten und senken somit die Risiken in einem wirtschaftlichen Abschwung.
Umgekehrt gilt: je höher die Verschuldung, desto geringer der Spielraum, um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit über finanzpolitische Massnahmen zu verbessern. Es können weniger Infrastrukturinvestitionen oder Förderprogramme getätigt werden, es fallen mehr Schuldzinsen an, und in der langen Frist drohen Steuererhöhungen.
Schuldensituation stabil
Grundsätzlich lässt sich sagen: Die kantonalen Schulden in der Schweiz sind stabil. In absoluten Zahlen stieg die Bruttoverschuldung der Kantone und ihrer Gemeinden im Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020 nur marginal an. Setzt man die Bruttoverschuldung in Relation zum Bruttoinlandprodukt (BIP), so liegt die Verschuldungsquote der Kantone im Median bei 15 Prozent. Lediglich fünf Kantone haben ihre Schulden im genannten Zeitraum um mehr als 3 Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung ausgeweitet: Basel-Landschaft, Solothurn, Wallis, Genf und Tessin. Ihre Schuldenquote reduzieren konnten umgekehrt die Kantone Waadt, Obwalden, Basel-Stadt und Glarus (durchschnittlich um 2 Prozentpunkte).
Betrachtet man die Nettoverschuldung – also das Fremdkapital abzüglich des Finanzvermögens –, ist das Bild noch erfreulicher. Denn diese war in der Mehrheit der Kantone gemessen am kantonalen BIP rückläufig. Die Nettoschuldenquote variierte zwischen 26 Prozent in Genf und minus 20 Prozent in Graubünden.
Strenge Haushaltsregeln sind nicht effektiver
Die kantonalen Schuldenbremsen könnten die insgesamt stabile Verschuldung erklären. Je nach Kanton unterscheiden sich allerdings die Ausgestaltung, die Funktionsweise und die möglichen Sanktionsmechanismen stark. In den meisten Kantonen ist die Haushaltsregel jedoch an den Selbstfinanzierungsgrad gekoppelt. Das heisst, der Anteil der Nettoinvestitionen, der aus eigenen Mitteln finanziert werden kann, sollte mittelfristig (zumindest grösstenteils) ausgeglichen sein. Dass striktere Schuldenbremsen zu weniger Verschuldung führen, lässt sich für die Kantone zumindest mit den Daten von 2010 bis 2020 nicht aufzeigen: Eine Gegenüberstellung dieser beiden Parameter ergibt keinen oder nur einen geringen statistischen Zusammenhang. Sowohl in Kantonen mit einer strengen Regulierung wie St. Gallen als auch im einzigen Kanton ohne Schuldenbremse, Appenzell Innerrhoden, war die Zunahme der Verschuldung nur gering.[1]
Jahrzehnt ohne Ernstfallübung
Ein Grund, dass die Schuldenbremse als Mittel der politischen Selbstkontrolle zwischen 2010 und 2020 nicht relevant war, könnte sein, dass die Kantone in dieser Zeit kaum sparen mussten. Die kantonalen Steuereinnahmen stiegen deutlich an, und das BIP wuchs schneller als die Verschuldung, sodass die Bruttoverschuldungsquote insgesamt sank. Hinzu kommt, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) grosszügig Geld ausschüttete und die Schuldzinsen teilweise negativ waren. Das hat den finanziellen Spielraum der Kantone weiter verbessert. Zudem wurde die Vermögensseite der kantonalen Bilanzen in der letzten Dekade teils deutlich ausgeweitet, insbesondere weil die Werte der Kantonalbanken, Beteiligungen an Energiefirmen und Immobilien in dieser Periode vielerorts stark aufgewertet haben. Das liess die Nettoverschuldung auf dem Papier sinken.
In der laufenden Dekade könnten die Staatsfinanzen der Kantone jedoch wieder in den Fokus rücken. Die Schweizer Gesamtwirtschaft wächst unter ihrem langfristigen Trend, und Ausschüttungen durch die SNB sind vorerst nicht in Sicht. Der kantonale Wettbewerbsindikator der UBS (siehe Kasten) zeigt, welche Kantone in Sachen Staatsfinanzen am besten gerüstet sind, falls sich die Rahmenbedingungen verschlechtern sollten.
Vorsicht ist besser als Nachsicht
Analysiert man Verschuldung, Schuldzinsen, Investitionen und Verwaltungsgrösse der Kantone und leitet daraus einen Indikator für die Gesundheit der Staatsfinanzen ab, tut sich ein Röstigraben auf (siehe Abbildung). Die Deutschschweizer Kantone, allen voran Appenzell Innerrhoden, schneiden dabei grösstenteils besser ab als die Westschweizer Kantone oder das Tessin. Die Kantone Freiburg und Waadt sind innerhalb der lateinsprachigen Schweiz am besten aufgestellt, doch auch sie sind im hinteren Drittel zu finden. Innerhalb der Deutschschweiz ist das Gefälle relativ gering. Viele Kantone der Ost- und der Zentralschweiz können gut mit dem Erstplatzierten mithalten. Innerhalb der Deutschschweizer Kantone sind die beiden Basel und der Kanton Bern schwächer aufgestellt.
Allerdings: Aufgrund der moderaten Verschuldungsquoten stellen aktuell auch weniger solide Staatsfinanzen keinen grossen Bremsklotz für die wirtschaftliche Entwicklung dar. Andere Faktoren spielen für das zukünftige wirtschaftliche Potenzial eine bedeutendere Rolle: so etwa starke Branchen, ein grosser Talentpool, günstige Rahmenbedingungen für Innovationen sowie ein florierender Arbeitsmarkt. Doch im Gegensatz zur Branchenstruktur oder zur Arbeitskräftesituation lassen sich Staatsfinanzen – zumindest in wirtschaftlich guten Zeiten – innert nützlicher Frist positiv beeinflussen. Die Kantone sind so im Falle eines künftigen wirtschaftlichen Schocks resilienter und können besser reagieren.
Röstigraben bei kantonalen Staatsfinanzen
INTERAKTIVE GRAFIK
- Die Klassifizierung der kantonalen Schuldenbremsen wurde Feld et al. (2021). Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 28. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern, Schweiz entnommen. []
Zitiervorschlag: Hofer, Katharina; Holzhey, Matthias (2023). Kantonale Staatsfinanzen: Auch für Schlechtwetter gerüstet? Die Volkswirtschaft, 14. November.
Der Kantonale Wettbewerbsindikator (KWI) 2023 der UBS gibt Aufschluss über die relative Wettbewerbsfähigkeit eines Kantons in der langen Frist. Kantone mit einer hohen relativen Wettbewerbsfähigkeit dürften langfristig stärker wachsen als die Schweizer Gesamtwirtschaft, Kantone mit tiefen Werten eher unterdurchschnittlich. Tiefe KWI-Werte bedeuten allerdings nicht zwangsläufig, dass ein Kanton auch absolut ein tiefes Wachstumspotenzial hat, sondern lediglich im Vergleich zu den anderen Kantonen. Die Berechnung basiert auf 57 Einzelindikatoren, welche in acht wettbewerbsrelevante Themenbereiche gegliedert sind: Wirtschaftsstruktur, Innovation, Humankapital, Arbeitsmarkt, Erreichbarkeit, Einzugsgebiet, Kostenumfeld und Staatsfinanzen.