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Soll die Schweiz staatliche Beihilfen überwachen?

Staatliche Beihilfen verfolgen Ziele im öffentlichen Interesse. Zugleich beeinträchtigen sie aber den Wettbewerb. Soll die Schweiz deshalb staatliche Beihilfen überwachen, wie das heute schon in der EU der Fall ist?
Mit staatlichen Beihilfen können in der Schweiz wie in der EU Wasserkraftwerke finanziert werden. Bau der neuen Grimsel-Staumauer. (Bild: Keystone)

«Staatliche Beihilfen» ist ein Begriff aus dem EU-Recht. Im Grundsatz gilt: «Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, sind mit dem Europäischen Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigen» (siehe Art. 107, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Es geht also nicht nur um Subventionen: Jede selektive Bevorteilung von Unternehmen, sei es durch Darlehen, Garantien oder Steuervergünstigungen, kann eine staatliche Beihilfe darstellen.

Staatliche Beihilfen können aber aus bestimmten Gründen gerechtfertigt werden. Diese Gründe sind zahlreich und in der EU detailliert geregelt. Beispielsweise sind die Abfederung von wirtschaftlichen Verwerfungen im Zuge einer Pandemie, die Förderung von umweltfreundlichen Technologien oder die Unterstützung von Dienstleistungen im Service public grundsätzlich erlaubt.

In der EU überwacht die EU-Kommission staatliche Beihilfen. Sie wiegt dabei die erwünschten mit den negativen Effekten auf Wettbewerb und Handel ab. Sie sorgt dafür, dass die Regeln in der gesamten EU gleich angewendet werden: Im EU-Binnenmarkt sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen gelten. Damit die Öffentlichkeit Einblick in die Verwendung staatlicher Mittel für Beihilfen erlangen und Betroffene (bspw. Wettbewerber der begünstigten Unternehmen) gegebenenfalls Beschwerde einreichen können, werden diese veröffentlicht.

Keine systematische Überwachung in der Schweiz

Mit dem Institutionellen Abkommen (InstA) zwischen der Schweiz und der EU hätte sich die Schweiz verpflichtet, in gewissen Wirtschaftssektoren die Beihilfevorschriften der EU zu übernehmen. Mit dem Abkommen wären gleiche Wettbewerbsbedingungen für jene Unternehmen geschaffen worden, die im Binnenmarkt der EU im Wettbewerb zueinander stehen. Dies zunächst im Geltungsbereich des Luftverkehrsabkommens und später des geplanten Stromabkommens sowie weiterer Marktzugangsabkommen. Die Schweiz hat dieses Abkommen nicht unterzeichnet.

Wettbewerbsverzerrungen durch den Staat sind auch in der Schweiz nach Möglichkeit zu vermeiden. Deshalb wären einheitliche Rahmenbedingungen für die Gewährung staatlicher Beihilfen aus wirtschaftspolitischer Sicht auch im Interesse der Schweiz. Mehr Transparenz könnte zudem eine wirksamere Verwendung öffentlicher Ausgaben begünstigen.

Die Schweiz kennt ähnliche marktwirtschaftliche Rechtsgrundsätze wie die EU: Staatliche Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sind verhältnismässig auszugestalten. Eine systematische Beihilfeüberwachung, wie in der EU, wäre für die Schweiz allerdings neu. Zwar muss sich auch die Schweiz an die Subventionsregeln der WTO oder des Freihandelsabkommens mit der EU halten. Diese sind jedoch auf den Warenverkehr beschränkt und sehen keine systematischen Kontrollen vor. Nur im Bereich des Luftverkehrs überwacht die Wettbewerbskommission (Weko) staatliche Beihilfen, und zwar im Geltungsbereich des Luftverkehrsabkommens Schweiz – EU. Die Weko kann im Gegensatz zur EU-Kommission jedoch nur rechtlich unverbindliche Stellungnahmen abgeben.

Auswirkungen einer Beihilfeüberwachung nach EU-Beihilferecht

Die Übernahme der EU-Beihilfebestimmungen hätte Auswirkungen auf die Ausgestaltung von staatlichen Beihilfen in der Schweiz. Gemäss ersten Abklärungen einer technischen Arbeitsgruppe mit Vertretern des Bundes und der Kantone wäre deren Übernahme in vielen Bereichen zwar ohne grössere Eingriffe in die Schweizer Rechtsordnung umsetzbar. Das gilt beispielsweise für die Innovationsförderung auf Bundesebene, Investitionsbeiträge an Energieunternehmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit oder auch die staatliche Beteiligung an Energieunternehmen. Problematisch wären hingegen unter anderem selektive Steuervergünstigungen für Neuansiedlungen oder Staatsgarantien für Kantonalbanken.

Die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen ist aber in jedem Einzelfall vertieft zu beurteilen. Das gilt insbesondere für die steuerpolitischen Massnahmen der Kantone. Beihilferechtlich sind diese in der EU besonders komplex geregelt.

EU: Politisch motivierte Ausnahmeregeln

Mit einer Übernahme der Beihilfevorschriften der EU würde sich die Schweiz ein Stück weit auch zu den politischen Motiven der EU bekennen, die den Ausnahmeregeln zugrunde liegen. Diese Ausnahmen entwickeln sich laufend weiter. So wurden die Beihilfebestimmungen dieses Jahr vor dem Hintergrund aktueller industriepolitischer Herausforderungen in der EU präzisiert (Stichwort «Net Zero Industry»). Anders als die EU betreibt die Schweiz keine Industriepolitik: Ihre Wettbewerbsfähigkeit beruht gerade darauf, dass sie weitgehend darauf verzichtet, bestimmte Wirtschaftssektoren zu fördern. Allerdings dürften die Entwicklungen in der EU faktisch auch ohne vertragliche Vereinbarungen Auswirkungen auf die Schweiz haben. So können staatliche Beihilfen an Unternehmen in der EU ihre Konkurrenz in der Schweiz benachteiligen. Umgekehrt können Schweizer Unternehmen als Zulieferer oder Abnehmer aber auch indirekt von solchen staatlichen Beihilfen profitieren.

Bei einer Übernahme von EU-Beihilferecht wären Übergangsregeln für bestehende staatliche Beihilfen auszuhandeln. Essenzielle Interessen der Schweiz müssten im Hinblick auf heute noch nicht vorhersehbare Entwicklungen gewahrt werden können. Auch deshalb strebt der Bundesrat ein sektorielles Vorgehen an. So könnte die Schweiz Erfahrungen sammeln, bevor die Beihilfeüberwachung allenfalls auf weitere Sektoren ausgedehnt würde.

Ein schlankes Verfahren

Einige Kantone würden mehr Transparenz bezüglich Beihilfen begrüssen. Um eine systematische Beihilfeüberwachung zu ermöglichen, müsste aber eine Überwachungsbehörde auf Stufe Bund geschaffen oder eine bestehende Behörde mit dieser Aufgabe betraut werden. Das Verfahren würde für alle Beteiligten Mehraufwand bedeuten. Insbesondere unproblematische staatliche Beihilfen sollten aber weiterhin rasch gewährt werden können. Deshalb müsste das Verfahren so schlank wie möglich ausgestaltet werden.

Anders als in der EU wäre es in der Schweiz bei den meisten staatlichen Beihilfen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, diese vorgängig durch eine Überwachungsbehörde des Bundes rechtsverbindlich genehmigen zu lassen. Zu sehr würde dadurch in die Kompetenzordnung zwischen Bund und Kantonen sowie in die Gewaltenteilung eingegriffen. Trotzdem müssten der Überwachungsbehörde staatliche Beihilfen über einem gewissen Schwellenwert vorgängig gemeldet werden, um Rechtssicherheit schaffen zu können. Die Überwachungsbehörde könnte eine Stellungnahme abgeben. Würde die zuständige Stelle eine Beihilfe gewähren, die dieser Stellungnahme zuwiderliefe, so könnte die Überwachungsbehörde ein Schweizer Gericht anrufen. Nicht möglich wäre dies für staatliche Beihilfen der Bundesversammlung oder des Bundesrats. Bei deren Beihilfeentscheiden könnte die vorgängige Stellungnahme der Überwachungsbehörde in den Vorarbeiten zu der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Denn auch wenn Bundesgesetze von den Gerichten nicht überprüft werden können, sind die Bundesversammlung und der Bundesrat an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen gebunden.

Überwachung im wirtschaftlichen Interesse der Schweiz

Zusammenfassend gilt: Anders als in der EU werden in der Schweiz staatliche Beihilfen heute nicht systematisch auf ihre Vereinbarkeit mit den völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben überprüft. Gleiche Wettbewerbsbedingungen – also ein einheitlicher rechtlicher Rahmen und mehr Transparenz – sind aber auch im wirtschaftspolitischen Interesse der Schweiz. Die meisten staatlichen Beihilfen in der Schweiz könnten bei einer Überwachung nach dem Vorbild der EU wohl ohne grössere Anpassungen aufrechterhalten werden. Wichtig wäre für die Schweiz, Übergangsregeln vorzusehen und die Überwachung Sektor um Sektor ausweiten zu können. Unter diesen Bedingungen wäre die Einführung einer Beihilfeüberwachung nach dem Vorbild der EU nach unserer Einschätzung durchaus auch im Interesse der Schweiz.


Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Roger Gschwend, Philippe Sulger (2023). Soll die Schweiz staatliche Beihilfen überwachen. Die Volkswirtschaft, 30. November.