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Schweizer Standort trotzt Kostennachteil

Die hohen Lohnkosten in der Schweiz werden für hier produzierende Industrieunternehmen immer weniger relevant. Bereits jedes zehnte Schweizer Unternehmen, das im Ausland produziert, hat die eigene Fertigung zurück in die Schweiz verlagert.
Die Produktqualität ist das wichtigste Kriterium für Kunden von Schweizer Unternehmen: Eine Mitarbeiterin schraubt ein Teil einer Fräsmaschine ab. (Bild: Keystone)

In der globalisierten Wirtschaftswelt stehen Schweizer Unternehmen vor einem Dilemma: Auf der einen Seite locken ausländische Märkte mit geringeren Produktionskosten und neuen Absatzmöglichkeiten. Auf der anderen Seite verlagern immer mehr Unternehmen, trotz bestehender Hindernisse, ihre Produktionsstätten zurück in die Schweiz. Etwa 10 Prozent der im Ausland agierenden Unternehmen haben den Schritt zurück in die Schweiz gewagt. Weitere 10 Prozent denken darüber nach. Das zeigt der jüngste Swiss Manufacturing Survey[1] der Universität St. Gallen und der ETH Zürich, der seit 2017 jährlich Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes zu Standortentwicklung und Strategien befragt (siehe Kasten).

Kunden werden anspruchsvoller

Die Produktqualität ist seit 2017 das wichtigste Kriterium für Kunden von Schweizer Unternehmen, wie die Studie zeigt. Dahinter folgen Lieferzuverlässigkeit, Liefergeschwindigkeit und der Preis – auch sie konnten sich über die letzten sechs Jahre halten. Besonders stark an Bedeutung gewannen im gleichen Zeitraum die Faktoren «Swissness», «Kundennähe» und «Dienstleistungen». Auch Nachhaltigkeitsaspekte werden wichtiger, sie bleiben aber dennoch auf dem hintersten Platz (siehe Abbildung 1).

Im Vergleich zu 2021 haben alle Faktoren an Relevanz gewonnen. Um Kundenanforderungen auch zukünftig hinreichend bedienen zu können, müssen die Schweizer Unternehmen auch weiterhin ganzheitlich an ihren Produkten, Prozessen und an ihrem Image arbeiten.

Abb. 1: Aus Unternehmenssicht werden die Kunden immer anspruchsvoller (2017–2022)

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Anmerkung: Dargestellt ist die Eigeneinschätzung der befragten Unternehmen hinsichtlich der für Kunden relevanten Faktoren von 1 (unwichtig) bis 7 (von entscheidender Bedeutung).
Quelle: Friedli et al. (2023) / Die Volkswirtschaft

Herausforderungen im Wandel

Klare Veränderungen gibt es aus Sicht der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes bei den Herausforderungen. Die hohen Lohnkosten sind für Schweizer Unternehmen zwar immer noch das grösste Hindernis, jedoch hat ihre Bedeutung in den letzten sieben Jahren stetig abgenommen. Als weniger problematisch empfinden die Unternehmen auch den Wechselkurs: In der diesjährigen Befragung ist er kein bedeutendes Problem mehr (siehe Abbildung 2).

Stattdessen bereiten drei Faktoren den Unternehmen zunehmend Kopfzerbrechen. Erstens: die steigenden Energiekosten. Davon betroffen ist zwar nicht nur die Schweiz, dennoch müssen insbesondere energieintensive Produzenten verstärkt Lösungen finden, um ihre Kosten zu decken. Zweitens ist für die Unternehmen die Verfügbarkeit von Rohstoffen, Betriebsmitteln und Anlagen unsicherer geworden. Lieferengpässe, die in letzter Zeit nicht nur durch die Corona-Krise, sondern auch durch geopolitische Spannungen und logistische Engpässe entstanden sind, verstärken diese Entwicklung.

Und drittens stellt der Fachkräftemangel die Unternehmen vor immer grössere Schwierigkeiten. Besonders Facharbeiter in der Fertigung und der Montage sind kaum noch zu finden. So berichten die Unternehmen beispielsweise, dass offene Stellen für Polymechaniker in vielen Fällen länger als sechs Monate unbesetzt bleiben. Dieser Mangel von Fachkräften im Blue-Collar-Bereich hat sich in den letzten Jahren verschärft, mitunter auch, da handwerkliche Berufe immer weniger attraktiv werden. Auch die Branche hat ein Imageproblem: So geben 70 Prozent der Unternehmen an, dass sie sich selbst als unattraktiv für Arbeitnehmende sehen.

Abb. 2: So haben sich die Herausforderungen für die Produktion in der Schweiz entwickelt (2016–2022)

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Anmerkung: Dargestellt ist die Eigeneinschätzung der befragten Unternehmen hinsichtlich ihrer Herausforderungen bei der Produktion in der Schweiz von 1 (keine Herausforderung) bis 7 (grosses Hindernis).
Quelle der Grafik: Friedli et al. (2023) / Die Volkswirtschaft

 

Schweiz wieder willkommener Produktionsstandort

Die Schweizer Unternehmen reagieren auf die neuen Herausforderungen: Laut dem aktuellen Swiss Manufacturing Survey haben über 60 Prozent der Unternehmen ihre Lagerbestände erhöht. Am zweithäufigsten sind strategische Ansätze wie der Aufbau neuer Lieferketten.

Erstaunlich ist, dass eines von zehn international tätigen Schweizer Unternehmen noch einen Schritt weiter gegangen ist und seine Produktion zurück in die Heimat verlagert hat. Weitere 10 Prozent überlegen, dies mittelfristig zu tun. Diese Unternehmen sind in verschiedensten Branchen tätig und nicht auf bestimmte Industrien beschränkt; darunter sind sowohl kleine als auch grosse Unternehmen, die für das Gewerbe oder für die Endverbraucher produzieren.

Die Gründe für ihre Entscheidung sind vielfältig, jedoch teilen alle Rückkehrer eine Meinung:

Die Auslandstandorte konnten hinsichtlich der Qualität und der Lieferzeiten ihre Erwartungen nicht erfüllen. Dass mit diesem Schritt in vielen Fällen ein Preisanstieg einhergeht, wird von den Unternehmen in Kauf genommen. Wichtiger sind ihnen die Marke «Made in Switzerland» sowie die Erfüllung der weiteren Kundenanforderungen. Zudem gewichten sie Innovation, Service und Flexibilität im Vergleich zu Unternehmen, die keine Rückverlagerung in Betracht ziehen, höher.

Reshoring ist nicht für alle

Die Tatsache, dass mehr als 20 Prozent der international tätigen Unternehmen ernsthaft über eine Rückverlagerung in die Schweiz nachdenken, unterstreicht die Attraktivität des Schweizer Produktionsstandorts. Es zeigt klar, dass die Rückkehr in die Schweiz für Unternehmen eine relevante Option darstellt und dass die Schweizer Produktion global wettbewerbsfähig ist.

Für bestimmte Produkte und Branchen kann die Preissensitivität der Kunden allerdings auch gegen eine Produktion in der Schweiz sprechen. Deshalb braucht es eine klare Strategie. Kann die inländische Produktion durch Innovation und Qualität punkten? Gibt es Potenzial, um Prozesse zu automatisieren? Welche weiteren Vorteile kann eine inländische Fertigung dem Kunden bieten, für die dieser bereit ist, einen entsprechenden Aufpreis zu bezahlen?

Besorgniserregender Umsatzrückgang

Trotz herausragender Standortcharakteristika wie Qualität, Lieferzuverlässigkeit, Liefergeschwindigkeit und Innovationskraft steht die Schweiz vor neuen Herausforderungen. Im zweiten Quartal 2023 verzeichnete die technische Industrie einen besorgniserregenden Umsatzrückgang von 3,4 Prozentpunkten, begleitet von einem drastischen Auftragsrückgang um 14,3 Prozentpunkten.[2] Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Schweiz trotz ihrer soliden Voraussetzungen nicht immun gegenüber globalen Entwicklungen ist. Die anhaltende Energiekrise, das komplexe Verhältnis zur EU, aktuelle geopolitische Turbulenzen und der anhaltend starke Schweizer Franken stellen die Industrie vor neue, ernsthafte Herausforderungen. In diesem dynamischen globalen Umfeld ist es entscheidend, dass die Schweiz ihre Stärken nutzt, aber auch flexibel und proaktiv reagiert, um sich den sich wandelnden Realitäten anzupassen und zukünftige Unsicherheiten zu bewältigen.

  1. Für ausführliche Studie siehe Friedli et al. (2023). []
  2. Swissmem (2023). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Fabian Specht, Moritz Häussler, Thomas Friedli (2023). Schweizer Standort trotzt Kostennachteil. Die Volkswirtschaft, 15. Dezember.

Die Studie im Detail

Der Swiss Manufacturing Survey wird seit 2017 jährlich vom Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen und dem Lehrstuhl für Produktions- und Operationsmanagement der ETH Zürich durchgeführt. Zwischen April und Juni 2023 haben 379 Unternehmen mit insgesamt über 950 Produktionsstandorten und aus 21 verschiedenen Branchen des verarbeitenden Gewerbes – vom Lebensmittelhersteller bis zum Maschinenbau – dazu beigetragen. 80 Prozent der Teilnehmenden waren kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Mitarbeitenden.