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Weshalb die Haushalte den Preisanstieg als stark empfinden

Gut die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist der Ansicht, dass die Preise in den letzten zwölf Monaten stark gestiegen sind. Dabei hat der Landesindex der Konsumentenpreise im selben Zeitraum nur moderat zugelegt.

Weshalb die Haushalte den Preisanstieg als stark empfinden

Wohnen und Energie tragen aktuell am meisten zum Gesamtanstieg der Preise bei. Genossenschaftssiedlung Kalkbreite an der Badenerstrasse in Zürich. (Bild: Keystone)

Die aktuelle Preisentwicklung und ihre Wahrnehmung durch die Konsumentinnen und Konsumenten scheinen auseinanderzuklaffen.[1] Laut dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), der die Teuerung der Konsumgüter und -dienstleistungen in der Schweiz misst, sind die Preise seit Oktober 2022 moderat gestiegen (+1,7 Prozent im Oktober 2023). Die Umfrage zur Konsumentenstimmung[2], mit der das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) vierteljährlich die Stimmung der Konsumentinnen und Konsumenten und ihre Neigung zu grösseren Anschaffungen misst, zeigt ein anderes Bild: Die Befragten haben jeweils fünf Antwortmöglichkeiten. Die Preise sind in den letzten zwölf Monaten «stark gesunken», «leicht gesunken», «etwa gleich geblieben», «etwas gestiegen», und sie sind «stark gestiegen». 44,3 Prozent der Befragten gaben im analysierten Zeitraum an, dass die Preise «leicht» gestiegen sind, während 52,8 Prozent von einem «starken» Preisanstieg ausgehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie diese Divergenz erklärt werden kann und ob gegebenenfalls weitere Indikatoren erforderlich sind.

Preiswahrnehmung und Konsumentenstimmung

Um diese Frage zu beantworten, wurde der Index der Konsumentenstimmung getrennt für die beiden Gruppen berechnet, die eine hohe bzw. eine moderate Preissteigerung wahrgenommen haben.[3] Die Analyse der Umfragezahlen von Januar, April und Juli ergibt folgendes Bild: Der Index weist für die Haushalte, die sich mit einer hohen Preissteigerung konfrontiert sehen, niedrigere Werte (zwischen –45 und –50 Punkten) aus als für jene Haushalte, die die Preiserhöhung als gering einstufen (Indexwert bei –15 Punkten).

Und wie hat sich der Teilindex zur persönlichen Finanzlage entwickelt? Bis Anfang 2022 verharrte dieser stabil bei Werten zwischen –15 und –10 Punkten und ist damit der einzige Teilindex der Konsumentenstimmung, der sich von den Corona-bedingten Veränderungen nicht beeindrucken liess. Ab Januar 2022, als die Preise in der Wahrnehmung der Haushalte stiegen, sanken die Werte des Teilindex zur persönlichen Finanzlage dann doch.

Die Dynamik der beiden Indexe deutet darauf hin, dass seit einigen Quartalen immer mehr Menschen den Eindruck haben, dass die Preise stark steigen, was zu einer schlechteren Beurteilung der persönlichen Finanzlage führt. Das ist deshalb überraschend, weil sich die Teuerung laut dem Index der Konsumentenpreise in den letzten Monaten verlangsamt hat.

Nahrungsmittel tragen am stärksten zur Inflation bei

Zwischen Juli 2022 und Oktober 2023 ist die LIK-Teuerungsrate von +3,4 Prozent auf +1,7 Prozent gesunken. Wie aber hat sich die Inflation in diesem Zeitraum im Einzelnen entwickelt? Um diese Frage zu beantworten, wurde der Inflationsbeitrag der verschiedenen Ausgabenposten im LIK-Warenkorb analysiert und hierzu die Steigerungsraten der einzelnen Bereiche mit ihren jeweiligen Gewichtungen im LIK multipliziert.[4]

Im Zeitraum Juli 2022 bis Oktober 2023 hat sich der Inflationsbeitrag des Ausgabenpostens «Verkehr» um 150 Punkte auf –5 Punkte verringert. «Wohnen und Energie» ist derzeit der Bereich mit dem grössten Beitrag zur Zunahme des LIK (70 Punkte), während der Preisanstieg im Bereich «Nahrungsmittel» am ausgeprägtesten ist (siehe Abbildung 1).

Innerhalb der Ausgabengruppe «Verkehr» stieg der Benzinpreis im Juli 2022 um 30,9 Prozent, womit Benzin rund 50 Punkte zur Teuerung beitrug (im Oktober 2023 belief sich die Steigerungsrate bei diesem Ausgabenposten dann auf 0,0 Prozent und sein Inflationsbeitrag auf 0 Punkte). Weshalb hat sich der deutliche Benzinpreisanstieg nicht auf die Wahrnehmung der Jahresinflation 2022 durch die Konsumentinnen und Konsumenten ausgewirkt? Hierzu gibt es zwei Hypothesen: zum einen, dass im letzten Jahr nur die Kraftstoffpreise gestiegen sind. Und zum anderen könnte es sein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher bei den Benzinpreisen keinen Vorjahresvergleich angestellt und somit den effektiven Rückgang der Kraftstoffpreise in den letzten Monaten nicht bemerkt haben. Der Preisansteig von Benzin begann bereits im Jahr 2021.

Abb. 1: Der Ausgabenposten «Nahrungsmittel» trägt am stärksten zum Anstieg des Konsumentenpreisindex bei

 

Quelle: Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), Bundesamt für Statistik (BFS) / Die Volkswirtschaft

 

Nach einem Rückgang zwischen Juli 2022 und Oktober 2023 trägt die Ausgabengruppe «Wohnen und Energie» aktuell am meisten zum Gesamtanstieg der Preise bei. Während 2022 die fossilen Energien den grössten Preissteigerungsbeitrag in dieser Gruppe erbracht haben, fällt dieser Teil nun dem elektrischen Strom zu. Grund dafür sind die neuen Elektrizitätstarife, die Anfang 2023 in Kraft getreten sind. Einen weiteren wichtigen Posten innerhalb dieser Gruppe bilden die Mietpreise, die rund 20 Punkte zum Preisanstieg beitragen. Damit spielen sie eine bedeutende Rolle, berücksichtigt man ihre Gewichtung von 14,9 Prozent im Warenkorb und ihre relativ konstante Steigerungsrate von 1,4 bis 1,6 Prozent. Die Situation scheint indes noch relativ normal zu sein: Der aktuelle Anstieg der Mietpreise zeigt – wie schon in der Vergangenheit – die Diskrepanz zwischen Nachfrage- und Angebotswachstum. Es kann aber gut sein, dass Mieterinnen und Mieter langsam den Eindruck gewinnen, dass die Mietpreissteigerungen auch die Veränderungen des hypothekarischen Referenzzinssatzes widerspiegeln.

Ein genauer Blick auf den Posten «Nahrungsmittel» zeigt ausserdem, dass das Ausgabenwachstum in dieser Gruppe auf die gestiegenen Preise in drei relativ wichtigen Produktkategorien des alltäglichen Gebrauchs zurückzuführen ist, namentlich in den Kategorien Gemüse, Pilze und Kartoffeln sowie Brot und Käse. Dass diese Produkte häufig gekauft werden, die Preissteigerungen in dieser Gruppe besonders hoch sind und zudem immer mehr Nahrungsmittelerzeugnisse betreffen, ist ein möglicher Grund für die Wahrnehmung starker Preiserhöhungen.

Inflation hält sich hartnäckig

Möglicherweise erklärt auch die Inflationspersistenz, weshalb der Preisanstieg den Verbraucherinnen und Verbrauchern nach wie vor Sorge bereitet. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlicht diesbezüglich einen Indikator zur Inflationspersistenz[5]. Dieser Indikator evaluiert jene Bestandteile aus dem Warenkorb des Konsumentenpreisindex, deren Preise mindestens zwölf Monate in Folge mehr als 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind. Der Persistenzindikator erlaubt auch Prognosen für die nächsten Monate. Denn je höher der Indikator ist, desto länger dürfte die Inflation anhalten. Diese Vorhersagen werden von verschiedenen Mechanismen beeinflusst. Hierzu zählen zum einen die nächsten Zinsentscheide der Schweizerischen Nationalbank, hängt doch die Entwicklung zahlreicher Preise und Kosten – wie zum Beispiel die der indexierten Preise, Löhne und Mietzinse – vom Leitzins ab. Zum anderen besteht das Risiko, dass der Privatsektor für die Zukunft weiter von einem hohen Preisniveau ausgeht. Der auf Grundlage der OECD-Berechnungsmethode ermittelte Indikator zur Inflationspersistenz in der Schweiz beläuft sich für Oktober 2023 auf 3,8 Prozent (siehe Abbildung 2).

Die Preissteigerungsrate ist in der Schweiz generell niedriger als in anderen Ländern. Deshalb wurde der Indikator der Inflationspersistenz unter Berücksichtigung jener Bestandteile des Warenkorbs neu berechnet, deren Preise sechs Monate in Folge um 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen waren. Auf Grundlage dieser Parameter und der LIK-Daten vom Oktober 2023 beträgt das Gesamtgewicht der Ausgabenposten mit relativ hohen Steigerungsraten im LIK 30,1 Prozent. Damit ist dieser Wert gegenüber dem Höchststand von 38,5 Prozent, den der Persistenzindikator im März 2023 erreicht hat, wieder gesunken. Zum Vergleich: Im Zeitraum zwischen 2015 und 2020 belief sich der Persistenzindikator auf durchschnittlich 5,9 Prozent. Der Persistenzindex, der etwa 100 Ausgabenposten umfasst, liegt somit nach wie vor auf relativ hohem Niveau. Sollte die Situation über die nächsten Monate anhalten, könnte sich das Risiko einer unerwartet lang anhaltenden Inflation noch erhöhen.

Abb. 2: Auch nach seinem Höchststand im März 2023 liegt der Indikator zur Inflationspersistenz in der Schweiz noch immer auf hohem Niveau

Quelle:  Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), Bundesamt für Statistik (BFS), Amt für Statistik des Kantons Tessin (USTAT) / Die Volkswirtschaft

 

Die Preiswahrnehmung wirkt sich auf die Konsumentenstimmung aus. Analysiert man vor diesem Hintergrund die LIK-Ausgabenposten und die Entwicklung des Index zur Inflationspersistenz, zeigt sich: Es gibt objektive Gründe dafür, dass immer mehr Menschen hohe Preissteigerungen wahrnehmen. Daher erscheint es sinnvoll, die Entwicklung des Index der Konsumentenstimmung in den nächsten Monaten aufmerksam zu verfolgen und weitere Daten – wie etwa einen Indikator zur Inflationspersistenz in der Schweiz – hinzuzuziehen.

 

  1. Dieser Beitrag fasst den Artikel «Prezzi, la paura fa novanta» unter Verwendung aktueller Daten zusammen. []
  2. Die Umfrage zur Konsumentenstimmung bildet die Grundlage für die Berechnung des Konsumentenstimmungsindex, der das arithmetische Mittel der folgenden vier Teilindizes darstellt: erwartete Wirtschaftsentwicklung (in den nächsten zwölf Monaten), vergangene finanzielle Lage (in den letzten zwölf Monaten), erwartete finanzielle Lage (in den kommenden zwölf Monaten) und Zeitpunkt für grössere Anschaffungen. Daneben werden bei der Umfrage Einschätzungen der Konsumentinnen und Konsumenten zur Preisentwicklung in den letzten zwölf Monaten erhoben. []
  3. Siehe Stephani (2023). []
  4. Siehe Stephani (2022). []
  5. Siehe insbesondere das OECD-Bulletin von Juni 2023. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Eric Stephani (2023). Weshalb die Haushalte den Preisanstieg als stark empfinden. Die Volkswirtschaft, 19. Dezember.