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Wie die Schweiz vom Abbau der Industriezölle profitiert

2024 schafft die Schweiz Zölle auf Importe von Industriegütern ab. Wirtschaft und Konsumenten werden dadurch um rund 600 Millionen Franken jährlich entlastet. Hinzu kommen administrative Erleichterungen.
Container am Rheinhafen in Basel: Importzölle auf Industrieprodukte fallen ab Januar 2024 weg. Zölle auf Agrarimporte bleiben bestehen. (Bild: Keystone)

Zölle haben hierzulande eine lange Tradition[1]: Bereits zu Zeiten des Römischen Reiches wurde in weiten Teilen der heutigen Schweiz die «Quadragesima Galliarum», die Vierzigstel-Steuer (= 2,5 Prozent) der gallischen Provinzen, erhoben. Auch später hatten die Zollerträge eine hohe fiskalische Bedeutung für Landesherren, Städte und Kantone. Nachdem die Kompetenz, Zölle zu erheben, im Zusammenhang mit der Gründung des Bundesstaates von den Kantonen auf den Bund übergegangen war, machten die Zölle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeitweise bis zu drei Viertel der Bundeseinnahmen aus.

Zölle im Wandel

Ab den 1960er-Jahren ging die Bedeutung der Zolleinnahmen für den Bund nach und nach zurück. Die Hauptgründe sind der Beitritt der Schweiz zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Gatt (heute WTO) im Jahr 1966 und insbesondere der Abschluss von Freihandelsabkommen mit der EU 1972 sowie weiteren Partnern in den nachfolgenden Jahrzehnten. Parallel dazu stieg der Finanzierungsbeitrag durch andere Steuern. Der Zollanteil an den laufenden Bundeseinnahmen sank dadurch von fast 24 Prozent im Jahr 1961 auf rund 1,5 Prozent (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Zölle verlieren an Bedeutung (1950–2027)

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Anmerkung: Die Werte für die Jahre 2023 bis 2027 entsprechen Budget und Finanzplan. Sie beinhalten ab 2024 nur noch Zolleinnahmen auf Agrarimporte.
Quelle: 1990–2027: Datenportal der EFV, Datenreihen «1.1.7 Zölle» und «1. Laufende Einnahmen»; 1950–1989: Historische Statistik der Schweiz (HSSO), Datenreihe U.18 «Einnahmen des Bundes nach Sachgruppen 1950–1989 in Mio. CHF» / Die Volkswirtschaft

Auch aussenwirtschaftlich hat sich der Blick auf die Zölle geändert. Als mittelgrosse, rohstoffarme Volkswirtschaft mit einer starken verarbeitenden Industrie profitierte die Schweiz besonders von der Globalisierung der Wertschöpfungsketten. Die den Zöllen teilweise zugedachte Schutzfunktion verkehrte sich dadurch zunehmend ins Gegenteil: Sie wurden zur Belastung für die Unternehmen bei der Beschaffung von Vorleistungen und reduzierten dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Textilindustrie ist ein Lehrbuchbeispiel dafür: Ursprünglich durch hohe Zölle geschützt, hat sie einen Strukturwandel durchlaufen, der sie zu einer spezialisierten, innovativen und global ausgerichteten Branche machte. Bereits 2015 setzte der Bund – auf Antrag der Textilindustrie – die Zölle auf zahlreiche Vorleistungen wie Rohstoffe und Halbfabrikate in diesem Sektor aus.

Ebenso belasten die Zölle die Konsumenten und tragen so zur «Hochpreisinsel Schweiz» bei. Das geschieht auf zwei Arten: einerseits direkt durch die fiskalische Last, andererseits indem Anbieter den Schweizer Markt abschotten und die hiesige Kaufkraft abschöpfen können. Letzteres funktioniert so, dass Hersteller von Markenprodukten sogenannte Parallelimporte[2] in die Schweiz erschweren, indem sie sich weigern, die für eine zollbegünstigte Einfuhr unter einem Freihandelsabkommen (z. B. FHA Schweiz – EU) notwendigen Ursprungsnachweise auszustellen.

Erste Arbeiten zu einem Abbau der Industriezölle

Vor rund zehn Jahren begannen deshalb – gestützt auf parlamentarische Vorstösse – Arbeiten beim Bund, welche einen Abbau möglicher Handelshemmnisse bezweckten. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gab mehrere vertiefende Studien in Auftrag, die sich verschiedenen Importerleichterungen widmeten, darunter auch einem möglichen Industriezollabbau.[3]

In der Folge schickte der Bundesrat im Dezember 2018 einen Vorschlag zum Abbau der Industriezölle und zu einer Vereinfachung des Zolltarifs in die Vernehmlassung. Angesichts der mehrheitlich positiven Aufnahme des Vorhabens verabschiedete der Bundesrat im November 2019 die entsprechende Botschaft[4] zuhanden des Parlaments. Dort wurde das Projekt zu Beginn allerdings sehr kritisch aufgenommen. Nach diversen Debatten und Zitterpartien wurde das Vorhaben schlussendlich von beiden Räten in der Herbstsession 2021 gutgeheissen.

Abbau der Industriezölle auf null

Die Reform hat zwei Hauptelemente: den Abbau aller Industriezölle sowie die Vereinfachung des Zolltarifs.

Der Zollabbau erfolgt, indem der Bund die Zölle auf alle Industrieprodukte auf null herabsetzt.[5] Hierdurch kann die Wirtschaft jährlich rund 682 Millionen Franken brutto an Zöllen einsparen; die Nettoentlastung fällt – nach Berücksichtigung von Rückerstattungen – mit etwa 600 Millionen Franken etwas geringer aus (siehe Abbildung 2). Die Zölle auf Agrarimporte, welche im Jahr 2022 Zolleinnahmen in Höhe von rund 694 Millionen Franken generierten, sind hingegen vom Zollabbau ausgenommen und werden auch künftig der Bundeskasse zufliessen.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass nur die «angewandten» Zölle auf null gesetzt werden. Die «gebundenen» Zölle bleiben unverändert (siehe Kasten). Indem sich der Zollabbau auf die angewandten Zölle beschränkt, ist es der Schweiz völkerrechtlich freigestellt, künftig wieder Zölle bis zum Niveau der gebundenen Zölle einzuführen. Dadurch bleibt auch für die Handelspartner der Schweiz ein Anreiz erhalten, Freihandelsbeziehungen mit ihr einzugehen. Denn nur auf diesem Wege können sie die Nullzollbehandlung völkerrechtlich absichern.

Abb. 2: Verteilung der Brutto-Zolleinsparungen nach Herkunftsländern der Importe

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Anmerkung: Zahlen berechnet auf Basis der Zolleinnahmen 2022.
Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Einfacherer Zolltarif

Das zweite Hauptelement ist eine Vereinfachung des Schweizer Zolltarifs: Künftig wird im Industriegüterbereich – von wenigen Ausnahmen[6] abgesehen – auf nationale Unterteilungen verzichtet und  die Anzahl Zolltarifnummern dadurch von 9114 auf 7511 gesenkt.[7] Dadurch reduzieren sich der Einreihungsaufwand und Fehlerrisiken bei den Unternehmen.

Ebenso werden die derzeit 779 bestehenden Zollerleichterungen aufgehoben, die bei der Einfuhr von Produkten für einen bestimmten Verwendungszweck gewährt wurden. So können heute etwa Schutzmasken auf Antrag zu tieferen Zollsätzen eingeführt werden, wenn sie der Pandemievorsorge dienen. Mit dem Abbau aller Industriezölle entfallen diese Sonderbehandlungen und die damit verbundene Bürokratie.

Ausserdem sind bei der Einfuhr von Waren, die in der Schweiz verbleiben, künftig keine Ursprungsnachweise mehr notwendig. Denn der Zollabbau gilt für alle Industriegüter ungeachtet ihrer Herkunft.

Entlastung per 1. Januar 2024

Im Februar 2022 hat der Bundesrat beschlossen, die Reform per 1. Januar 2024 umzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt entfällt also die Zollbelastung auf Einfuhren von Industriegütern in die Schweiz, und die Vereinfachungen treten in Kraft.

Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) und das Seco engagieren sich in vielfältigen Arbeiten zur Umsetzung dieser Reform. Hierzu werden Verordnungen und Datenbanken angepasst. Weiter will der Bund mit einem Monitoring eruieren, in welchem Umfang die eingesparten Zölle auch an die Konsumenten weitergegeben werden. Ausserdem wird die seit mindestens 1839 bestehende Zollexpertenkommission (heute: Fachkommission für Zolltariffragen) per Ende 2023 aufgehoben. Ihre wenigen nach dem Industriezollabbau noch verbleibenden Aufgaben werden der Kommission für Wirtschaftspolitik übertragen. Schliesslich stellen Seco und BAZG umfangreiche Informationen für die Unternehmen bereit – im Internet, mit Vorträgen oder Webinaren, an denen bis November 2023 mehr als 1700 Unternehmen teilgenommen haben. Dies unterstreicht die Bedeutung, welche auch von der Wirtschaft dieser Reform beigemessen wird.

  1. Einen ausführlichen Artikel des Autors zur Thematik in englischer Sprache gibt es auch hier: Zimmermann, Thomas A. (2023). A Case of Unilateral Trade Liberalisation: The Autonomous Abolition of Industrial Tariffs by Switzerland in 2024; in: Aussenwirtschaft, Vol. 73, No. 1. []
  2. Unter Parallelimporten wird der Import von im Ausland produzierten Waren (z. B. Automobilen) ausserhalb der vom Hersteller vorgesehenen Vertriebskanäle verstanden. []
  3. Siehe Studien zum Thema «Freihandel» auf Seco.admin.ch sowie Schwerpunkt dazu in «Die Volkswirtschaft» (2018), Nr. 4. []
  4. Botschaft zur Änderung des Zolltarifgesetzes (Aufhebung der Industriezölle) BBl 2019 8479. []
  5. Der Zollabbau betrifft – abgesehen von wenigen Gütern, die als Agrargüter gelten – sämtliche Zolltarifnummern in den Kapiteln 25 bis 97 des auf dem sogenannten Harmonisierten System basierenden schweizerischen Zolltarifs. []
  6. Bspw. exportkontrollpflichtige Güter. []
  7. Die Zolltarifnummern basieren auf dem «Harmonisierten System», der international gebräuchlichen Warennomenklatur, die von der Weltzollorganisation in Brüssel unterhalten wird und auch dem Schweizer Zolltarif zugrunde liegt. Darin wird jeder Warengruppe eine sechsstellige Nummer zugewiesen. National sind weitere Unterteilungen möglich. []

Zitiervorschlag: Thomas A. Zimmermann (2023). Wie die Schweiz vom Abbau der Industriezölle profitiert. Die Volkswirtschaft, 04. Dezember.

Angewandte und gebundene Zölle

In der Handelspolitik wird zwischen angewandten Zöllen und gebundenen Zöllen unterschieden. Die angewandten Zölle sind die Zollsätze, die bei der Wareneinfuhr effektiv zu bezahlen sind. Sie können den sogenannten Gebrauchstarifen – in der Schweiz dem «Tares» – entnommen werden. Die gebundenen Zölle sind das Ergebnis multilateraler Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Sie stellen eine völkerrechtliche Verpflichtung dar und geben die maximale Höhe des Zolls an, den ein Land bei der Einfuhr eines Produkts erheben darf. Angewandte und gebundene Zölle sind nicht zwingend identisch: Die angewandten Zölle dürfen tiefer oder gleich hoch sein, aber nie höher als die gebundenen Zölle. Bei vielen Ländern sind die angewandten Zölle tiefer als die in der WTO gebundenen Zölle, weil dies im wirtschaftlichen Interesse dieser Länder liegt. Diese Staaten könnten die angewandten Zölle somit wieder bis zum Niveau der gebundenen Zölle erhöhen. Das gilt auch für die Schweiz, welche nur die angewandten Zölle auf Industriegüter abbaut, nicht die gebundenen Zölle.