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Lieferketten: Weniger Unterbruch dank Frühwarnsystemen

Probleme in der globalen Lieferkette? Immer mehr Firmen nutzen digitale Frühwarnsysteme. Sie machen verworrene Lieferketten transparenter und erkennen potenzielle Supply-Chain-Disruptionen frühzeitig.
Frühwarnsysteme helfen Unwetter frühzeitig zu erkennen und Lieferketten neu zu planen. Scooter auf überschwemmter Strasse in China. (Bild: Keystone)

In den letzten Jahrzehnten haben Globalisierung und steigender Wettbewerbsdruck Unternehmen dazu bewogen, ihre Lieferketten auf Effizienz und Kosteneinsparungen zu optimieren. Das hat jedoch die Anfälligkeit für Supply-Chain-Disruptionen erhöht, wie sich unter anderem in und nach der Corona-Pandemie zeigte. Grosse Unternehmen erleiden durch unsichere Lieferketten im Schnitt Verluste von 4,2 Prozent des Ebitda pro Jahr.[1] Für die Schweiz mit einer exportorientierten Wirtschaft ohne eigene Rohstoffe sind solche Supply-Chain-Disruptionen wirtschaftlich nachteilig. Sie bieten aber auch die Gelegenheit, die Resilienz des Markenzeichens «Swiss Made» – das Versprechen von hoher Qualität und Zuverlässigkeit – zu stärken.[2]

Erkennen statt verhindern

Wie Sensoren den Wasserdruck am Meeresboden aufzeichnen, um vor einem Tsunami zu warnen, gibt es auch Frühwarnsysteme für bevorstehende Supply-Chain-Disruptionen, sowohl analog als auch digital. Sie ermöglichen es Unternehmen, potenzielle Risiken proaktiv zu managen.[3]

In der ersten Phase einer Supply-Chain-Disruption fokussiert das System darauf, sogenannte schwache Signale zu erkennen. Dazu scannen die Systeme eine Bandbreite von Informationsquellen – von Nachrichtenartikeln bis hin zu Beiträgen in sozialen Medien – und nutzen zur Auswertung algorithmische Verfahren und manchmal auch menschliche Expertise.

Es geht hierbei nicht darum, das auslösende Moment (Triggering Event) zu verhindern, sondern diese Signale rechtzeitig zu erkennen und adäquat zu kommunizieren. Für ein Schweizer Unternehmen, das auf die Lieferung spezialisierter Komponenten aus den USA angewiesen ist, sind Hurrikane beispielsweise besonders relevant. Ein Frühwarnsystem, das meteorologische Daten und Medienberichte verfolgt, könnte bevorstehende Unwetter frühzeitig identifizieren. Das Unternehmen kann durch Abgleich dieser Daten mit den Lieferrouten rechtzeitig eine alternative Route planen, die sich nicht mit dem Hurrikan kreuzt.

Ein effektives Frühwarnsystem operiert demnach nicht isoliert, sondern ist eingebettet in ein umfassenderes Risikomanagement-Ökosystem und bildet das Fundament für resiliente Lieferketten in einem global vernetzten Wirtschaftssystem.

Systeme entwickeln sich stetig weiter

Obwohl Frühwarnsysteme noch nicht flächendeckend eingesetzt werden, gewinnen sie zunehmend an Bedeutung, was sich in der Investitionsbereitschaft der Unternehmen widerspiegelt. Laut einer McKinsey-Studie[4] planen drei Viertel der Unternehmen, ihre Lieferketten transparenter zu gestalten, und fast 40 Prozent interessieren sich für Risikoüberwachungstools. Es gibt derzeit jedoch noch keine belastbaren Zahlen, die Aussagen darüber treffen, wie viele Unternehmen solche Systeme nutzen, wie sich die Nachfrage entwickelt hat und wie sich die Leistungsfähigkeit der Lieferkette tatsächlich verändert.

Getrieben durch technologische Fortschritte, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, verbessern und vermehren sich die Angebote stetig. Ein Grossteil der Frühwarnsysteme visualisiert die Lieferkettenstrukturen ihrer Nutzer digital, angefangen bei den Lieferanten über die Vorlieferanten bis hin zu den Vorvorlieferanten. Dies macht die oft verschlungenen und komplexen Netzwerke von Lieferbeziehungen nachvollziehbar und transparent. Während die meisten Angebote darauf abzielen, Nutzer über Risiken zu informieren, gibt es wenige, die eigenständig präventive Massnahmen vorschlagen. Letztere würden es jedoch Unternehmen ermöglichen, schneller zu reagieren.

Die Anbieter auf dem Markt, beispielsweise Sphera, Everstream Analytics, Resilinc und Prewave, bieten ein breites Spektrum an Überwachungsfunktionen an, die Supply-Chain-Disruptionen erkennen und gleichzeitig vielfältige Risiken erfassen: von geopolitischen Veränderungen über wirtschaftliche Schwankungen bis hin zu verändertem Konsumverhalten.

Für präzisere Vorhersagen wäre die Verwendung von möglichst vielen unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Informationen wichtig. Allerdings ist diese Nutzung, einschliesslich der direkten Rückmeldungen von Lieferanten, eine Herausforderung, was teilweise dem Datenschutz und der Zurückhaltung von Unternehmen geschuldet ist, sensible Daten zu teilen. Eine bessere Datenfreigabepraxis würde Frühwarnsysteme nicht nur effektiver machen, sondern auch die Koordinierung innerhalb des Liefernetzwerks verbessern.

Abschliessend kann festgehalten werden, dass Frühwarnsysteme in einer von Unsicherheit geprägten Welt zunehmend zu einem Stützpfeiler der Lieferketten-Resilienz für Unternehmen werden und dazu beitragen, strategische Flexibilität in einer vernetzten Wirtschaft zu fördern – ein Schlüsselelement für anhaltenden Erfolg.

  1. Siehe Lund, S. et al. (2020). []
  2. Dieser Artikel stützt sich wesentlich auf die Forschungen von Lukas Dütsch und Daniel Langner. []
  3. Siehe Auer, T. (2022) und Sheffi, Y., und Rice, J. (2005). []
  4. Siehe Alicke, K., et al. (2021). []

Literaturverzeichnis
  • Alicke, K., et al. (2021). How COVID-19 Is Reshaping Supply Chains. McKinsey.
  • Auer, T. (2022). Boosting the Effectivity of Early Warning. Karlsruhe: Karlsruhe Institute of Technology (KIT).
  • Dütsch, L. (2023). Digitale Supply Chain Frühwarnsysteme – Kategorisierung des Marktangebots und Ausarbeitung von Lösungsansätzen für identifizierte Marktlücken. Universität St. Gallen.
  • Lund, S. et al. (2020). Risk, Resilience, and Rebalancing in Global Value Chains. McKinsey Global Institute.
  • Sheffi, Y., und Rice, J. (2005). Resilient Enterprise. MIT Sloan Management Review.

Bibliographie
  • Alicke, K., et al. (2021). How COVID-19 Is Reshaping Supply Chains. McKinsey.
  • Auer, T. (2022). Boosting the Effectivity of Early Warning. Karlsruhe: Karlsruhe Institute of Technology (KIT).
  • Dütsch, L. (2023). Digitale Supply Chain Frühwarnsysteme – Kategorisierung des Marktangebots und Ausarbeitung von Lösungsansätzen für identifizierte Marktlücken. Universität St. Gallen.
  • Lund, S. et al. (2020). Risk, Resilience, and Rebalancing in Global Value Chains. McKinsey Global Institute.
  • Sheffi, Y., und Rice, J. (2005). Resilient Enterprise. MIT Sloan Management Review.

Zitiervorschlag: Lukas Dütsch, Daniel Langner (2024). Lieferketten: Weniger Unterbruch dank Frühwarnsystemen. Die Volkswirtschaft, 04. Januar.