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Sind die Mieten tatsächlich so stark gestiegen?

Wer in der Schweiz zur Miete lebt, wendet im Schnitt kaum mehr Einkommen fürs Wohnen auf als vor rund 20 Jahren. Der Blick hinter den Durchschnitt zeigt aber grosse Unterschiede: Neumieter zahlen deutlich mehr, Altmieter weniger.
Die Mieten sind in städtischen Gebieten stärker gestiegen als auf dem Land. Balkone eines Wohnhauses in Zürich. (Bild: Keystone)

Mietpreisexplosion, Wohnungsnot oder Mangel an bezahlbarem Wohnraum – diese und ähnliche Schlagzeilen dominieren gegenwärtig die Schweizer Medien. Auch die Politik hat sich des Problems Wohnungsmarkt angenommen und sucht nach Mitteln gegen die drohende Wohnungsknappheit. Unter anderem hat Bundesrat Guy Parmelin einen runden Tisch dazu initiiert. Doch wie prekär ist die Lage wirklich? Sind die Mieten noch bezahlbar? Um diese Fragen zu beantworten, werden in diesem Artikel verschiedene Mietpreis- und Einkommensindizes analysiert und über die Zeit hinweg verglichen.[1]

Markt der vielen Preise

Die erste Erkenntnis daraus: Der Wohnungsmarkt ist ein uneinheitliches und komplexes Konstrukt mit vielen verschiedenen Preisen. Das ist auch eine Folge der staatlich vorgegebenen Regulierung, etwa der Koppelung der bestehenden Mieten an den Referenzzinssatz. Grundsätzlich lassen sich drei für die Mieter relevante Preiskategorien beobachten, die sich auf unterschiedliche Phasen des Mietverhältnisses beziehen.

Erstens die Angebotsmieten: Sie erfassen die neu ausgeschriebenen Wohnungen auf den gängigen Onlineportalen und sind somit relevant für Personen auf Wohnungssuche. Zweitens die Bestandesmieten, die alle bestehenden Mietverhältnisse umfassen und zeigen, welche Mieten für bewohnte Wohnungen im Durchschnitt bezahlt werden. Drittens die Altbestandesmieten, die eine Teilmenge der Bestandesmieten bilden und die Preisentwicklung von langjährigen Mietverhältnissen zeigen.

Die historische Vergleichbarkeit von Mietpreisen ist kein einfaches Unterfangen. Wohnungen weisen unterschiedliche Grössen, Standards oder Lagen auf. Wer Preisvergleiche über die Zeit vornehmen will, muss daher auch solche Faktoren berücksichtigen und die Mieten von Wohnungen mit identischen Eigenschaften vergleichen. Im Fachjargon spricht man von einer Eigenschaftsbereinigung.

Gestiegene Mietpreise

Die eigenschaftsbereinigten Zeitreihen zeigen, dass die Mietpreise schweizweit in den letzten rund 20 Jahren gestiegen sind (siehe Abbildung 1). Das gilt vor allem für die Angebotsmieten – sie weisen ein Wachstum von 24 Prozent auf. Das heisst: Heute ist eine vergleichbare Wohnung auf den Onlineportalen fast ein Viertel teurer als im Jahr 2005. Da städtische Gebiete mit einer weit höheren Nachfrage konfrontiert sind als ländliche Gebiete, weist beispielsweise die Stadt Zürich wenig überraschend deutlich höhere Preisanstiege auf. Vor allem in den letzten beiden Jahren konnte das Angebot nicht mehr mit der Nachfrage mithalten, was den Effekt noch verstärkt hat.

Anders bei den Bestandesmieten: Hier sind die Unterschiede zwischen der Schweiz und der Stadt Zürich viel geringer, und der Preisanstieg fällt mit 12 bzw. 15 Prozent wesentlich tiefer aus. Hauptursache für die vergleichsweise moderate Zunahme ist das Mietrecht, das Preisanpassungen von bestehenden Mietverhältnissen nur unter bestimmten Umständen zulässt. Unter anderem wenn sich die Inflation oder der Referenzzinssatz ändern. Da Letzterer zwischen 2008 und 2022 in neun Schritten von 3,5 auf 1,25 Prozent gesenkt wurde, konnten viele Mieterinnen von einer Mietzinssenkung profitieren.

Langjährige Mieter konnten folglich mehrere Mietzinssenkungen durchsetzen. Das bestätigt der sogenannte Altbestandesmietindex, der nur Mietverhältnisse abbildet, die seit mindestens 2005 bestehen. Wer seither nie seine Wohnung gewechselt hat, zahlte nominal Ende 2022 im Schweizer Durchschnitt 4 Prozent weniger Miete als 2005 – in der Stadt sogar 6 Prozent weniger.

Abb. 1: Mietpreise sind in der Stadt Zürich stärker gestiegen als im Schweizer Durchschnitt

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Quelle: Wüest Partner / IAZI / Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) / Statistisches Amt Kanton Zürich / Die Volkswirtschaft
Anmerkung: Die Daten zu den Mietpreisen umfassen die Jahre 2005–2022, die Daten zu den steuerbaren Einkommen 2005–2021. Alle Daten sind nominal.

Anteil der Miete am Einkommen bleibt relativ konstant

Doch die Betrachtung der Mieten allein ist – wortwörtlich – nur die halbe Miete. Fast wichtiger ist die Frage, wie sich die Mietpreise im Verhältnis zu den Einkommen entwickelt haben. Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, sind die steuerbaren Einkommen seit 2005 nominal schweizweit durchschnittlich um 19 Prozent, in der Stadt Zürich um 27 Prozent gestiegen. Sie konnten also nicht mit dem Wachstum der Angebotsmieten mithalten. Hingegen sind die Durchschnittseinkommen sowohl in Zürich wie auch schweizweit stärker gestiegen als die Bestandesmieten. Für eine vergleichbare Wohnung muss man heute folglich einen geringeren Teil des Einkommens aufwenden.

In der Realität bleibt der Wohnstandard allerdings selten statisch. Da mit steigendem Einkommen auch die Nachfrage nach zusätzlichem Wohnkomfort steigt (wer mehr verdient, leistet sich in der Tendenz mehr Wohnfläche oder eine bessere Lage), entwickeln sich die Mietausgaben in der Praxis relativ ähnlich zum Einkommen.[2] Wie in Abbildung 2 ersichtlich ist, hat sich der Anteil der Mietausgaben (inkl. Nebenkosten) am Bruttoeinkommen im Durchschnitt aller Schweizer Haushalte zwischen 2006 und 2021 nur geringfügig verändert – er ist von 20,6 auf 21,7 Prozent gestiegen. Auch wenn die Unterschiede nach Einkommensklassen gross sind – die höchste von sechs Einkommensklassen (monatliches Brutto-Haushalteinkommen > 12’000 Schweizer Franken) wendet 13, die tiefste (unter 4000 Schweizer Franken) 35 Prozent für die Miete auf –, bleibt die Entwicklung relativ stabil.

Abb. 2: Anteil Mietausgaben am Bruttoeinkommen in der Schweiz relativ konstant

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Quelle: Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) / Bundesamt für Statistik (BFS) / Die Volkswirtschaft

Kommt die Trendwende?

Was heisst das nun für die Bezahlbarkeit der Mieten, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen? Allgemein bekannt ist die bei den Banken angewendete Faustregel, dass die Wohnausgaben nicht mehr als ein Drittel des Bruttoeinkommens ausmachen sollten.[3] Diesen Richtwert erfüllt die Mehrheit der Mieterinnen. Für sie ist – gemessen an diesem Kriterium – Wohnen bezahlbar. Bei den einkommensschwächsten Haushalten mit einem monatlichen Brutto-Haushalteinkommen unter 4000 Franken liegt die Belastung mit 35 Prozent jedoch über dieser Grenze. Insgesamt gehören rund 14 Prozent aller Haushalte zur tiefsten Einkommensklasse. Oder anders ausgedrückt: Für 86 Prozent der Haushalte sind die Mieten gemessen an dieser Faustregel bezahlbar.

Die Retrospektive zeigt: Die Durchschnittsmieten haben sich im langjährigen Vergleich nicht von den Einkommen abgekoppelt, der Anteil der Wohnausgaben ist für die meisten Mieter relativ stabil geblieben. Unklar ist, ob dies auch so bleibt. Beim Referenzzinssatz ist eine Trendwende erfolgt mit zwei Anstiegen auf 1,75 Prozent (Stand Dezember 2023). Auch dürfte sich der zuletzt beschleunigte Anstieg der Angebotsmieten infolge der Knappheit auf dem Wohnungsmarkt mit einer gewissen Verzögerung in den Bestandesmieten niederschlagen. Wie stark sich diese Effekte auf den Anteil der Mietausgaben am Einkommen langfristig auswirken, lässt sich noch nicht abschätzen, da dies von der Entwicklung sowohl am Wohnungsmarkt wie auch der Einkommen abhängig ist.

  1. Siehe Amt für Wirtschaft und Arbeit (2023). []
  2. Siehe D. Morris und F. Ortalo-Magne (2011). []
  3. Siehe Raiffeisen (2020). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Luc Zobrist, Simone Hofer, Silvan Galliker (2024). Sind die Mieten tatsächlich so stark gestiegen. Die Volkswirtschaft, 23. Januar.