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Wer in der Schweiz Unternehmen gründet

Pioniere mit ausländischen Wurzeln gründeten bereits vor mehr als hundert Jahren bekannte Schweizer Firmen. Eine Studie illustriert, wie bedeutend die Migration heute für Neugründungen ist.
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Eine beachtliche Anzahl von Unternehmen in der Schweiz wird von Personen mit ausländischer Herkunft gegründet. Archiv des Handelsregisteramts in Zug. (Bild: Keystone)

Die Schweizer Wirtschaftsgeschichte ist auch eine Geschichte der Migration. Dabei lockte die Schweiz nicht nur Arbeitsmigranten an, die oftmals Schwerstarbeit verrichteten. Auch viele visionäre Unternehmer fanden den Weg in die Schweiz. Diese gaben dem Land mit innovativen Ideen neue Impulse, gründeten weltweit bekannte Firmen und lieferten die Grundsteine für Branchen, die längst zur DNA der Schweizer Wirtschaft gehören. 13 der 20 im Swiss Market Index (SMI) enthaltenen Grossunternehmen gehen auf die Initiative von Einwanderern zurück – darunter die Schwergewichte Nestlé, Roche und ABB.

Doch welches Bild zeigt sich heute? Prägen Pioniere mit ausländischen Wurzeln weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz? Um etwas Licht ins Dunkel des ausländischen Unternehmertums zu bringen, haben wir in einer neuen Studie[1] die Nationalitäten der hiesigen Firmengründer ermittelt. Dazu haben wir Handelsregisterdaten und weitere Quellen ausgewertet. Weil die Analyse auf der Staatsangehörigkeit und nicht dem Migrationshintergrund basiert, unterschätzen die nachfolgenden Zahlen die effektive Bedeutung der Migration für das Unternehmertum. So liegt der Ausländeranteil an der Bevölkerung bei 26 Prozent; einen Migrationshintergrund haben laut Bundesamt für Statistik jedoch 40 Prozent der Bevölkerung.

Ausländer gründen die Start-up-Schweiz

Rund drei Viertel aller Neugründungen in der Schweiz betreffen Einzelunternehmen und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Im Gegensatz zu Aktiengesellschaften sind die Gründer bei diesen beiden Rechtsformen gut identifizierbar. Von allen 2022 neu gegründeten Einzelfirmen und GmbH haben 37 Prozent einzig ausländische Gründer (siehe Abbildung 1). Berücksichtigt man zudem die gemischten Gründungen (Beteiligung von Schweizern und Ausländern), so sind ausländische Staatsangehörige an 45 Prozent aller Unternehmensgründungen beteiligt.

Unter den neu gegründeten Unternehmen spielen Start-ups eine volkswirtschaftlich wichtige Rolle, wobei sie selbst nur rund 1 Prozent der jährlichen Neugründungen ausmachen. Start-ups sind junge Unternehmen, die über eine innovative und skalierbare Geschäftsidee mit hohem Wachstumspotenzial verfügen. Sie verfolgen oft einen wissenschafts- und technologiebasierten Ansatz und sind in der Regel auf Investoren (Risikokapital) angewiesen. Hierzulande werden drei Viertel der Start-ups von Ausländern gegründet oder mitgegründet. Knapp jedes dritte Start-up hat sogar ausschliesslich ausländische Gründer. Bei den Unicorns, also jenen Start-ups, die eine Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar erreichen, sind Ausländer noch stärker involviert.

Eine Aufschlüsselung der Nationalitäten aller Gründer zeichnet ein Abbild der generellen Erwerbsmigration in die Schweiz (siehe Abbildung 2). Die grösste Ausländergruppe stellen die Deutschen. Alle Nachbarstaaten zusammen machen rund die Hälfte der ausländischen Firmengründer aus. Gründer aus aussereuropäischen Ländern sind insbesondere bei den Unicorns von Bedeutung, was auf die Krypto-Unternehmen zurückzuführen ist.

Abb. 1: Ausländer gründen in der Schweiz viele Unternehmen

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Anmerkungen: Analyse basierend auf allen 2022 neu gegründeten Firmen (Einzelunternehmen und GmbH), dem Top 100 Swiss Start-up Award 2022 (Start-ups) sowie den 50 (Jung-)Unternehmen gemäss Liste des Swiss ICT Investor Club (Unicorns).
Quelle: Leisibach (2023) / Die Volkswirtschaft.

Abb. 2: Ausländische Gründer in der Schweiz stammen häufig aus Europa

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Anmerkungen: Analyse basierend auf allen 2022 neu gegründeten Firmen (Einzelunternehmen und GmbH), dem Top 100 Swiss Start-up Award 2022 (Start-ups) sowie den 50 (Jung-)Unternehmen gemäss Liste des Swiss ICT Investor Club (Unicorns).
Quelle: Leisibach (2023) / Die Volkswirtschaft.

Kantonale Unterschiede

Eine Analyse der Firmengründungen nach Kanton offenbart regionale Unterschiede (siehe Abbildung 3). Während Ausländer in fast allen Kantonen an mindestens jeder dritten Neugründung beteiligt sind, zeichnen sie in den Kantonen Genf, Tessin und Zug sogar für 6 von 10 Firmengründungen (mit)verantwortlich. Die unterschiedlichen Zahlen spiegeln den Ausländeranteil in der Bevölkerung wider: So sind die fünf Kantone mit den anteilsmässig meisten Firmengründungen durch Ausländer auch diejenigen mit dem höchsten Ausländeranteil.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Start-ups, die in 4 von 5 Fällen ihren Ursprung in den Kantonen Zürich, Waadt, Genf oder in den beiden Basel haben. Im Kanton Genf sind bei allen untersuchten Start-ups Ausländer beteiligt, in der Waadt liegt das Verhältnis bei 4 von 5. Im Kanton Zürich werden hingegen «nur» 3 von 5 Start-ups von Ausländern (mit)gegründet.

Abb. 3: Je höher der Ausländeranteil in einem Kanton, desto höher der Ausländeranteil bei der Neugründung eines Unternehmens

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Anmerkungen: Analyse basierend auf allen 2022 neu gegründeten Einzelunternehmen und GmbH.
Quelle: Leisibach (2023) / Bundesamt für Statistik (BFS) / Die Volkswirtschaft.

Jung, risikofreudig und technologieaffin

Die hohe Zahl ausländischer Gründer ist bemerkenswert, zumal diese oft mit höheren Barrieren (etwa infolge Sprachhindernissen und fehlender Netzwerke) zu kämpfen haben. Ein Grund für die überdurchschnittliche Unternehmertätigkeit dürfte in der Tatsache liegen, dass die vergleichsweise jungen Auswanderer per Definition bereit sind, Risiken einzugehen, und somit eine selektive Auswahl von Menschen mit einer höheren Risikobereitschaft darstellen.

Zudem belegen ausländische Studierende in der Schweiz überdurchschnittlich oft Mint-Fächer[2]. Dies ist relevant, weil innovative Neugründungen häufig auf Fortschritten in den Mint-Bereichen basieren. Ein hohes Wohlstandsniveau, gute Erwerbsmöglichkeiten und soziokulturelle Normen (Angst vor dem Scheitern) können indes Schweizer davon abhalten, im Geschäftsleben Risiken einzugehen.

Hochschulen für Innovation genauso wichtig

Mit ihrer Innovationskraft sorgen ausländische Firmengründer für neue Impulse, treiben den Strukturwandel und stärken damit die hiesige Konkurrenzfähigkeit. Im internationalen Wettbewerb kann ein Hochlohnland den Wohlstand nur verteidigen und ausbauen, wenn sich die eigene Volkswirtschaft fortlaufend erneuert. Der Wirtschaftsstandort ist deshalb auf Innovation – das heisst die Entwicklung neuartiger Produkte und Verfahren – angewiesen.

Kreative Neugründungen sind indes nur ein Treiber des Innovationsprozesses. Für die Innovationskraft der Schweiz sind auch die bestehenden Unternehmen sowie die Hochschulen als Forschungs- und Bildungsanstalten wichtig. Wie wir in unserer Studie zeigen, ist der Ausländeranteil auch in diesen Bereichen überdurchschnittlich hoch: Personen mit ausländischem Pass stellen die Hälfte aller Forscher und 37 Prozent aller Erfinder (basierend auf Patentanmeldungen). In den zehn wertschöpfungsstärksten Branchen der Schweiz besitzen 37 Prozent aller Beschäftigten keinen Schweizer Pass – in der hochproduktiven Pharmabranche sind es sogar 56 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Universitäten: Von den Professoren (51 Prozent) bis zu den Mint-Promovierten (74 Prozent) hat ein bedeutender Anteil des Personals und der Studierenden ausländische Wurzeln.

Die Zahlen zeigen: Das Schweizer Unternehmertum ist aussergewöhnlich stark internationalisiert, der Ausländeranteil an der Innovationsleistung überdurchschnittlich hoch. Ausländer führen damit fort, was schon Generationen von Migranten vor ihnen hierzulande geleistet haben. Die Schweiz tut gut daran, auch weiterhin ein attraktiver und offener Standort für Talente aus aller Welt zu bleiben. So ist es mehr als wahrscheinlich, dass auch das «Nestlé des 21. Jahrhunderts» auf die Pionierleistung eines Ausländers oder einer Ausländerin zurückgehen wird.

  1. Siehe Leisibach, P. (2023). []
  2. Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. []

Bibliographie

Zitiervorschlag: Leisibach, Patrick (2024). Wer in der Schweiz Unternehmen gründet. Die Volkswirtschaft, 08. Januar.