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Energieeffizienz: Die Schweiz ist Europameisterin

Kein Land in Europa erwirtschaftet eine Einheit Wertschöpfung mit weniger Energie als die Schweiz. Am deutlichsten sind die Unterschiede im Vergleich zum Ausland im verarbeitenden Gewerbe.
Verkabelung in einem Auto: Auch bei der Herstellung elektrischer Ausrüstungen nimmt die Energieintensität in der Schweiz ab. (Bild: Keystone)

Die Senkung der Energieintensität ist einer der wesentlichen Bausteine zur klimaneutralen Transformation und zur Erreichung der internationalen Klimaziele. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben zudem die wirtschaftlichen Belastungen durch die Energiepreise dazu geführt, dass das Thema Energieeffizienz in der Politik zusätzlich an Bedeutung gewonnen hat.

Die Schweiz weist im europäischen Vergleich die niedrigste Energieintensität auf. Dies bedeutet, dass die Schweizer Wirtschaft insgesamt weniger Energie braucht, um eine Einheit Bruttowertschöpfung zu produzieren. Auch im Vergleich zu Staaten mit einer ähnlichen Wirtschaftskraft pro Kopf, wie Deutschland oder Frankreich, produziert die Schweiz mit deutlich weniger Energie. Die Energienachfrage sank in der Schweiz zwischen 2010 und 2019 durchschnittlich um 0,5 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig wuchs das Bruttoinlandprodukt durchschnittlich um 2,4 Prozent. Das zeigt: Das Wirtschaftswachstum hat sich vom Energieverbrauch entkoppelt, und die Schweizer Energieintensität ist zwischen 2010 und 2019 um 15 Prozent gesunken.

Doch warum hat die Schweiz eine deutlich niedrigere Energieintensität als ihre europäischen Nachbarn? Und wie konnte die Schweiz die Energieintensität in den letzten Jahren weiter senken? Im Rahmen der Ressortforschung (siehe Kasten) des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ist das Berliner Beratungsunternehmen DIW Econ diesen Fragen nachgegangen.[1]

Verbesserung in allen Sektoren

Um die tiefere Energieintensität der Schweiz im Vergleich zu ihren Nachbarländern zu erklären, gibt es zwei Möglichkeiten. Ein Grund könnte der Struktureffekt sein. Dies wäre der Fall, wenn die Schweiz aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur verstärkt in Sektoren produziert, die grundsätzlich weniger energieintensiv sind, wie etwa der Dienstleistungssektor. Der andere Erklärungsansatz ist der Intensitätseffekt. Dabei würde die Schweiz innerhalb eines Sektors also tatsächlich energieeffizienter produzieren als andere europäische Länder. Mithilfe einer Zerlegungsanalyse haben wir untersucht, wie stark Struktur- und Intensitätseffekte die niedrigere Schweizer Energieintensität auf Sektor- und Branchenebene erklären können.

Die Analyse auf Sektorebene zeigt: Die tiefe Energieintensität in der Schweiz kann nicht primär auf den Struktureffekt zurückgeführt werden. So sind beispielsweise die Anteile der verschiedenen Sektoren am Bruttoinlandprodukt in der Schweiz und Deutschland sehr ähnlich – und trotzdem produziert die Schweiz mit weniger Energie. Im Vergleich mit Frankreich produziert die Schweiz zwar vermehrt in eher energieintensiveren Sektoren, sie tut dies aber insgesamt mit weniger Energie. Die niedrigere Energieintensität in der Schweiz ist somit primär mit dem Intensitätseffekt zu erklären, der besagt, dass die Schweiz innerhalb der Sektoren weniger energieintensiv produziert als Deutschland und Frankreich. Diesen Befund bestätigt auch der Vergleich mit den EU-Staaten: In allen Sektoren weist die Schweiz eine geringere Energieintensität auf (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Die Schweiz produziert in allen Sektoren energieeffizienter als die EU (2019)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: DIW Econ basierend auf Daten von Eurostat / Die Volkswirtschaft

Branchenanalyse: Pharma als Vorreiter

Der deutlichste Unterschied bei der Energieintensität im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten zeigt sich im Sekundärsektor[2] und dort insbesondere im verarbeitenden Gewerbe. Im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe in der Schweiz braucht man in Frankreich rund drei Mal so viel Energie, um dieselbe Bruttowertschöpfung zu erwirtschaften. In Deutschland braucht es rund doppelt so viel Energie.

Die Zerlegungsanalyse auf Branchenebene zeigt nun, dass hier tatsächlich auch ein Struktureffekt zum Tragen kommt. Denn die Schweiz produziert verstärkt in Industriebranchen, die grundsätzlich weniger energieintensiv sind, wie etwa in Pharma oder Elektronik und Optik. Dennoch ist der Intensitätseffekt deutlich stärker, da die Branchen in der Schweiz energieeffizienter produzieren. Inwiefern dieser Intensitätseffekt wiederum durch gewisse strukturelle Effekte innerhalb der Branchen – etwa eine Spezialisierung hin zu weniger energieintensiven Tätigkeiten oder eine Auslagerung energieintensiver Bereiche ins Ausland – erklärt werden kann, kann aufgrund der Datenlage nicht quantifiziert werden.

Allerdings wird der dominierende Intensitätseffekt auch durch unsere Analyse über die Zeit bestätigt: Zwischen 2010 und 2019 ist die Energieintensität im verarbeitenden Gewerbe in der Schweiz mit –35 Prozent besonders stark gesunken. Zwar wirkte auch hier die Verschiebung der Branchenstruktur, der Intensitätseffekt überwiegt jedoch.

So wurde der Struktureffekt insbesondere durch die wachsende Pharmabranche angetrieben, deren Energieintensität vergleichsweise gering ist und deren Anteil an der Bruttowertschöpfung des Schweizer Industriesektors zwischen 2010 und 2019 von 15 auf 31 Prozent angestiegen ist. Zum Vergleich: Im EU-Durchschnitt ist der Anteil der Pharmabranche im gleichen Zeitraum lediglich von 4 auf 5 Prozent gestiegen.[3] Der Intensitätseffekt erstreckt sich hingegen über 15 von 18 Branchen des verarbeitenden Gewerbes und spielte gerade auch in der Pharmabranche eine besonders wichtige Rolle (siehe Abbildung 2). So ist die Energieintensität in der Pharmabranche mit einem Rückgang von 71 Prozent am stärksten gesunken.

Abb. 2: Fast alle Schweizer Industriebranchen sind energieeffizienter geworden (2010–2019)

INTERAKTIVE GRAFIK
Quelle: DIW Econ basierend auf Daten von Eurostat / Die Volkswirtschaft

Strenge Klimapolitik reduziert Energieintensität

In unserer Studie haben wir auch die spezifischen Einflussfaktoren der niedrigen Schweizer Energieintensität im Ländervergleich untersucht. Dabei zeigt sich, dass steigende Energiepreise (Dieselpreise) sowie ein höherer Wärmeanteil am Energieverbrauch der Unternehmen die Energieintensität verbessern. Dieser Effekt ist statistisch signifikant. Der Grund: Höhere Energiepreise schaffen zusätzliche Anreize für Unternehmen, Energie einzusparen. Die Nutzung sekundärer Energieträger wie Wärme verlagert die Umwandlungsverluste in der Verbrennung fossiler Brennstoffe via Fernwärmesysteme in den Sektor der Strom- und Wärmeerzeugung, wo diese durch Skaleneffekte und effizientere Prozesse wie Kraft-Wärme-Kopplung oder den Einsatz erneuerbarer Energien weiter reduziert werden können.

Von besonderem Interesse ist der Effekt der klima- und umweltpolitischen Massnahmen, der mithilfe des «Economic Policy Stringency (EPS) Index» der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gemessen wird.[4] Im europäischen Vergleich ist die Schweizer Umweltpolitik bereits 2010 etwas strenger als der europäische Durchschnitt (Schweiz EPS: 3,33; EU-Durchschnitt EPS: 3,11). Auch die Verschärfungen (z. B. die Erhöhung der CO2-Steuer) zwischen 2010 und 2019 fallen in der Schweiz stärker aus als im europäischen Durchschnitt.

Wir stellen einen statistisch signifikanten Effekt fest, der besagt, dass mit zunehmenden Massnahmen die Energieeffizienz verbessert wird. Allerdings unterscheidet sich der Effekt der Klimapolitik je nach Branche. So senkt in energieintensiven Branchen eine Steigerung des EPS um einen Indexpunkt die Energieintensität um 12 bis 15 Prozent (signifikant auf 10-Prozent-Signifikanzniveau). In weniger energieintensiven Branchen zeigt sich hingegen kein signifikanter Effekt. Zum Vergleich: Ein Anstieg des EPS um einen Indexpunkt entspricht ungefähr den klimapolitischen Interventionen der Schweiz zwischen 2010 und 2019.

Diese Resultate zeigen, dass eine striktere Klimapolitik entscheidend zur Einsparung von Energie und zur Senkung der Energieintensität beitragen kann. Die niedrige Schweizer Energieintensität leistet dabei einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen und zur nachhaltigen Transformation der Schweizer Wirtschaft, aber auch zu deren Resilienz in Zeiten hoher Energiepreise.

  1. Die vollständige Studie finden Sie auf Seco.admin.ch. []
  2. Der Sekundärsektor umfasst neben dem verarbeitenden Gewerbe noch den Bergbau, den Bau und die Energie- und Wasserversorgung. []
  3. Aufgrund fehlender Daten sind Irland, Litauen, Luxemburg, Malta und Schweden nicht im EU-Durchschnitt enthalten. []
  4. Diese Studie unterscheidet nicht, ob die Energie fossilfrei erzeugt wurde, aber die klimapolitischen Massnahmen können trotzdem einen Einfluss auf die Energieintensität haben. Sie sind zwar auf Treibhausgasemissionen ausgerichtet, es sind jedoch oft die Treibhausgas-intensiven Energieträger wie Kohle oder Heizöl, die am wenigsten effizient sind. Die stärkere Nutzung erneuerbarer Quellen und sekundärer Energieträger, die durch klimapolitische Massnahmen gefördert wird, kann daher die Energieintensität reduzieren, wie das Beispiel von Fernwärme oben zeigt. []

Zitiervorschlag: Stefan Gorgels, Maria Polugodina, Sevrin Waights (2024). Energieeffizienz: Die Schweiz ist Europameisterin. Die Volkswirtschaft, 22. Februar.

Schwerpunktthema der Seco-Ressortforschung 2023/24

Dieser Artikel ist im Rahmen der Ressortforschung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) entstanden. Dafür hat das Seco fünf Studien zum Themenbereich «Effiziente Ressourcennutzung» in Auftrag gegeben und publiziert. Die Erkenntnisse aus den übrigen Studien finden Sie in unserem Schwerpunkt «Effizientes Wirtschaften ist nachhaltig».