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Preissignale im Strommarkt stärken

Konsumenten reagieren auf Preisanpassungen – auch beim Strom. Das Problem: Die Preisschwankungen dringen meist nicht bis zu ihnen durch. Flexiblere Tarifmodelle könnten den Energieverbrauch effizienter und damit ökologischer machen.
Gleichzeitig wie alle anderen die Wäsche waschen? Bei flexiblen Strompreisen würden sich wohl viele dagegen entscheiden. (Bild: Keystone)

Der Stromverbrauch und die Einspeisung von Elektrizität ins Netz verändern sich laufend: Wenn an einem sonnigen Tag die Fotovoltaikanlagen viel günstigen Strom produzieren, fällt der Schweizer Strompreis am Grosshandelsmarkt über den Mittag bis auf null oder sogar darunter. Am Abend hingegen, wenn private Verbraucher ihre Geräte einschalten und die Sonne nicht mehr scheint, steigt der Preis im Gegenzug stark an – insbesondere im Winter und bei wenig Wind.

Der Strompreis reflektiert also die Änderungen von Angebot und Nachfrage und schwankt während des Tages alle 15 Minuten. Dadurch entstehen wichtige Preissignale. Sie schaffen für die Marktteilnehmenden bei hohen Strompreisen Anreize, den Verbrauch zu reduzieren oder die Stromeinspeisung zu erhöhen.

Preissignale erreichen die Stromkonsumenten nicht

Das Problem: Die meisten Verbrauchenden in der Schweiz erreichen diese Signale jedoch nicht. Denn mehr als 99 Prozent von ihnen sind in der Grundversorgung und haben über das Jahr einen fixen Strompreis.[1] Auch grosse Unternehmen am freien Markt wählen meist eine Beschaffungsstrategie mit Festpreismodell. Dabei wird der gesamte benötigte Strom über einen vereinbarten Zeitraum zu einem festen Preis von einem Energieversorgungsunternehmen (EVU) bezogen.[2] Dieser Strom wird von den Unternehmen vorausschauend eingekauft, meist werden drei- oder fünfjährige Lieferverträge abgeschlossen. Die EVU beschaffen diesen Strom im Gegenzug am langfristigen Terminmarkt. Somit nehmen auch die meisten Nachfrager am freien Markt die Preissignale des Strommarkts nur im jährlichen oder mehrjährigen Rhythmus wahr.

Es verwundert also nicht, dass die Nachfrage nach Strom auf dem Grosshandelsmarkt recht unflexibel ist. Die Preiselastizität der Nachfrage auf dem Grosshandelsmarkt liegt für die Schweiz bei rund –0,07.[3] Das bedeutet: Eine Verdoppelung des Grosshandelspreises von einer Stunde zur nächsten reduziert die nachgefragte Menge nur um ungefähr 7 Prozent.[4] Wenn also der Grosshandelspreis zwischen Mittagstief und Abendhoch im Schnitt um 41 Prozent steigt (siehe Abbildung 1), nimmt die nachgefragte Strommenge nur um rund 2 bis 3 Prozent ab – eine eher bescheidene Reaktion. In Deutschland, Frankreich oder Dänemark liegen die Preiselastizitäten sogar noch etwas tiefer (siehe Abbildung 2).

Dies zeigen unsere statistischen Analysen, die wir für das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Rahmen der Ressortforschung 2023/24 durchgeführt haben (siehe Kasten). In unserer Analyse[5] haben wir untersucht, wie Stromverbraucher auf Änderungen der Preise reagieren und wie sich dies nach Marktebene (Grosshandelsmarkt oder Endkundenmarkt) sowie zwischen Endkunden unterscheidet. Die Studie zeigt zudem, dass politische oder regulatorische Eingriffe während der Energiekrise 2022–2023 die berechneten Elastizitäten substanziell beeinflusst haben.

Abb. 1: Preissignale im Grosshandelsmarkt (2023)

Anmerkung: Die Abbildung zeigt die tägliche Preisentwicklung im Jahr 2023 am Day-Ahead-Markt an der Epex-Spot-Börse, auf dem Strom für den folgenden Tag gehandelt wird. Die violette Linie zeigt den Durchschnittspreis.
Quelle: Swiss Economics (2024) / Die Volkswirtschaft

Mehr Effizienz nützt Umwelt und Portemonnaie

Eine geringe Reaktion der Nachfragenden auf Preissignale führt zu wesentlichen Kosten für die Allgemeinheit. Denn erstens wird dadurch zu Spitzenlastzeiten mehr Energie als nötig verbraucht, während deren oft besonders teure fossile Kraftwerke im Ausland den Preis setzen. Da die Auktionsregeln vorsehen, dass jeweils die teuersten abgerufenen Kraftwerke den Marktpreis für alle Abnehmer setzen, erhöht jeder zusätzliche Konsum den Preis für alle Nachfrager.

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Eine Energieeinschränkung Einzelner zu Spitzenzeiten hätte positive Auswirkungen auf alle anderen Nachfrager zur Folge – und zwar ökologische wie auch ökonomische. Denn Stromsparen senkt nicht nur die eigene Stromrechnung, sondern auch die Beschaffungskosten aller anderen Nachfrager am Grosshandelsmarkt. Wenn weniger fossile Kraftwerke im Ausland hochgefahren werden müssen, entsteht zudem eine Reduktion der CO2-Emissionen.

Zweitens braucht es zu Spitzenlastzeiten teure Regelenergie, um die Spannung im Netz aufrechtzuerhalten. Dazu wird in Sekunden- und Minutenschnelle die Produktion von einzelnen Kraftwerken gesenkt oder erhöht. Diese Flexibilität kauft die Netzbetreiberin Swissgrid teuer ein und wälzt die entstehenden Kosten, so sie diese nicht als Ausgleichsenergie an Lieferanten weiterverrechnen kann, über die Netzentgelte via untergelagerte Netzbetreiber auf alle Verbraucher ab. Dieser Beitrag zur Systemstabilität wird aufgrund des wachsenden Anteils erneuerbarer Wind- und Sonnenenergie immer wichtiger. Denn diese Energieformen sind wetterabhängig und daher schlecht steuerbar.

Endverbraucher reagieren stärker

Eine höhere nachfrageseitige Flexibilität, um teure Anpassungen der produzierten Energie zu vermeiden, wäre also wünschenswert und möglich. Denn die Preiselastizität von Endverbrauchern auf ihre tatsächlichen Energietarife ist deutlich höher als die gemessene Elastizität am Grosshandelsmarkt, wie unsere Studie zeigt. Für private Haushalte liegt die Preiselastizität im Schnitt bei rund –0,2, für Unternehmen bei –0,4 (siehe Abbildung 2).[6] Das heisst: Steigt der Preis um 10 Prozent, nimmt die Nachfrage der Unternehmen um 4 Prozent ab.

Tendenziell haben grössere Verbraucher eine höhere Elastizität, aber auch die Branche spielt eine Rolle: Das Bau- oder das verarbeitende Gewerbe reagieren mit einer Elastizität von –0,6 teils doppelt so stark wie Dienstleistungsunternehmen.

Unternehmen, die sich gar nicht absichern, sondern die tagesaktuellen Preise zahlen, haben sogar eine Elastizität von –3,3. Allerdings trifft dies nur auf wenige Unternehmen zu, die vermutlich unter besonderen Voraussetzungen gezielt keine Absicherung wählen. Daher ist dieses Ergebnis mit Vorsicht zu geniessen.

Fest steht aber: Die geringe Elastizität im Grosshandelsmarkt täuscht. Es steckt weitaus mehr Potenzial in der nachfrageseitigen Flexibilität, als es den Anschein hat, da die Festpreisverträge die Preissignale des Markts abfedern.

Abb. 2: Endkunden (violett) sind deutlich preiselastischer als der Grosshandel (grün)

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Die Abbildung zeigt eine Übersicht der Höhe unterschiedlicher geschätzter Preiselastizitäten. Am Grosshandelsmarkt betreffen die Schätzungen die Jahre 2018–2023. Die Ergebnisse am Endkundenmarkt betreffen die Jahre 2010–2023 bzw. 2020–2023.
Quelle: Swiss Economics (2024) / Die Volkswirtschaft

Dynamische Preise sind technologisch möglich

Damit sich die Flexibilität der Endkunden erhöht, müssen sich die Preissignale stärker in den Energietarifen spiegeln. Eine erste Voraussetzung hierfür sind smarte Technologien, vor allem die sogenannten Smart Meter. Diese messen den Verbrauch laufend und ermöglichen es, angeschlossene Geräte zielgenau über den Tag zu steuern.

Die Unternehmen – insbesondere im verarbeitenden Gewerbe – stehen dieser Möglichkeit sehr offen gegenüber: 80 Prozent der mit Smart Metern ausgestatteten Unternehmen nutzen diese aktiv. Und über 80 Prozent der Unternehmen ohne Smart Meter sind dem Ausbau und der Datennutzung nicht abgeneigt.

Eine zweite Voraussetzung wäre, dass die Endverbraucher teilweise auf die bisherige Preisstabilität verzichten. Doch wie unsere Umfrage zeigt, sind diese kaum gewillt, dynamische Preismodelle zu wählen, welche die täglichen Preisschwankungen am Grosshandelsmarkt nachvollziehen. Stattdessen haben sie eine starke Präferenz für Preissicherheit. Selbst Unternehmen am freien Markt wählen denn auch fast ausschliesslich mehrjährige Festpreisverträge.

Neue Tarifmodelle würden helfen

Um das volle Potenzial der Preissignale zu nutzen und eine effizientere Energieverwendung zu fördern, braucht es daher neue Tarifmodelle, welche die notwendige Sicherheit und Planbarkeit für die Verbraucher mit einer erhöhten Flexibilität verbinden. Im freien Markt wäre dies bereits heute möglich. Ein möglicher Ansatz sind «intelligente Verträge». Diese fixieren den Strompreis nur für ein vorgängig vereinbartes Verbrauchsprofil. Allfällige Abweichungen davon werden zu aktuellen Marktpreisen bepreist. Der Vorteil: Die Verbraucher können über Mittag quasi zu Nullpreisen ihre Wärmepumpe laufen lassen oder das Elektroauto laden und somit finanziell von günstigen Energiepreisen profitieren, ohne dabei die Sicherheit langfristiger Verträge zu verlieren.

Ähnlich würden auch Franchisesysteme funktionieren. Dabei wäre, analog zur Krankenversicherung, ein Teil der Stromlieferung bis zu einem definierten Maximalbetrag abgesichert, und darüber hinaus gälten variable Tarife. Von den Kunden besser akzeptiert dürften allerdings fixe Tarife mit Boni sein. Denn sie belohnen den Strombezug zu günstigen Zeitpunkten, setzen die Kunden aber keinem Risiko höherer Preise aus. Denkbar wäre auch, zusätzlich dynamische Netztarife einzuführen, um auf effiziente Weise Netzengpässen entgegenzuwirken.

Unabhängig davon, welcher Weg gewählt wird: Nichts spricht dagegen, den Endkonsumenten flexible Stromtarife als freiwillige Option anzubieten – auch im Bereich der Grundversorgung. Diese können einerseits eine preislich attraktive Alternative sein. Andererseits tragen alle Konsumenten, die auf die Preissignale reagieren und die möglichen Einsparungen realisieren, zur Stabilisierung des Netzes und eines Markts mit mehr und mehr erneuerbaren Energiequellen bei.

  1. Siehe Tätigkeitsbericht der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) 2022. []
  2. Kunden mit einem Stromverbrauch von über 100’000 Kilowattstunden pro Jahr können ihren Lieferanten frei wählen und den Strom am freien Markt beziehen. Alle anderen Kunden beziehen den Strom über die Grundversorgung: Sie sind an ihr lokales Energieversorgungsunternehmen gebunden, bei dem der Strompreis jeweils für ein Jahr festgelegt wird. []
  3. Gemessen wurde die Preiselastizität des Gesamtstromverbrauchs pro Regelzone auf Preisänderungen an der Epex-Spot-Strombörse im Stundentakt. []
  4. Die Preiselastizität der Nachfrage misst die relative Änderung der Nachfrage als Folge einer Preisänderung und entspricht dem Verhältnis der relativen Änderung der nachgefragten Menge und der relativen Änderung des Preises. []
  5. Siehe Swiss Economics (2024). Wirkung von Preissignalen und Regulierungen auf die Stromnachfrage. Studie im Rahmen der Ressortforschung des Seco 2023/24. []
  6. Gemessen wurde die Preiselastizität des Stromverbrauchs von Unternehmen und Haushalten auf jährliche (Grundversorgung) und unterjährige (freier Markt) Strompreisänderungen. []

Zitiervorschlag: Nicolas Eschenbaum, Urs Trinkner (2024). Preissignale im Strommarkt stärken. Die Volkswirtschaft, 22. Februar.

Schwerpunktthema der Seco-Ressortforschung 2023/24

Dieser Artikel ist im Rahmen der Ressortforschung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) entstanden. Dafür hat das Seco fünf Studien zum Themenbereich «Effiziente Ressourcennutzung» in Auftrag gegeben und publiziert. Die Erkenntnisse aus den übrigen Studien finden Sie in unserem Schwerpunkt «Effizientes Wirtschaften ist nachhaltig».