Suche

Abo

Setzen wir nicht länger auf das falsche Pferd

Iris Menn, Dr. rer. nat., Meeresbiologin und Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz, Zürich

Standpunkt

Alles hat Grenzen. Auch der Planet Erde. Das Konzept der planetaren Grenzen umfasst neun ökologische Dimensionen. Überschreiten wir sie in einer oder mehreren Dimensionen, gefährden wir die Stabilität der Ökosysteme – und damit das Überleben der menschlichen Zivilisation.

Respektieren wir diese Grenzen, wenn wir alle Umweltbelastungen berücksichtigen, die durch unseren Konsum im In- und Ausland entstehen? Greenpeace hat das für die Schweiz untersuchen lassen. Resultat: Die Schweiz überschreitet vier der sechs bewerteten planetaren Grenzen. Besonders kritisch sind Klima und Biodiversität. Das Fazit lautet deshalb: Unser Konsum überbordet. Er zermürbt unsere Lebensgrundlage und bringt uns Jahr für Jahr näher an den Kollaps.

Eng mit dem Konsum verbunden ist das Wirtschaftswachstum. Denn: Mehr Konsum heisst mehr Wachstum. Und das ist gewollt. Politik und Wirtschaft beurteilen den Erfolg der Volkswirtschaft daran, wie stark sie wächst – egal, wie es um Umweltzerstörung, Ungleichheit, Demokratie, Gesundheit und Zufriedenheit steht.

Die Fixierung auf das Bruttoinlandprodukt bedeutet auch, dass Kernaufgaben wie die Altersvorsorge und das Gesundheitswesen primär über das Wirtschaftswachstum finanziert werden. Das heisst: Wenn die Wirtschaft über einen längeren Zeitraum schrumpft – etwa weil alle Menschen ihre Produkte reparieren lassen, statt neue zu kaufen –, dann löst das eine soziale Krise aus.

 

Ein breites gesellschaftliches Wohlergehen ist möglich, vorausgesetzt, wir verabschieden uns vom unendlichen Streben nach Wachstum.

 

Krisen will niemand, Wohlstand und einen intakten Planeten hingegen schon. Die gute Nachricht: Ein breites gesellschaftliches Wohlergehen ist möglich, vorausgesetzt, wir verabschieden uns vom unendlichen Streben nach Wachstum.

Dazu müssen wir uns erstens am Wohlergehen («Wellbeing») orientieren – und nicht mehr am Bruttoinlandprodukt. Entscheidend ist: Wie zufrieden sind wir? Wie ungleich sind Einkommen und Vermögen verteilt? Welche Folgen hat unser Wirtschaften auf die Umwelt?

In einem zweiten Schritt richten wir das Staatsbudget nach diesen Wellbeing-Indikatoren aus: Wir bauen aus, was dem gesellschaftlichen Wohlergehen dient und die Umwelt schont – zum Beispiel eine regenerative Landwirtschaft und Industrien, die auf Kreislaufwirtschaft beruhen. Und: Wir deinvestieren in umweltzerstörerischen Sektoren wie der Rohstoffindustrie.

Drittens setzen wir auf kooperativ und gemeinschaftlich organisierte Unternehmen, die nicht wachstums- und renditegetrieben sind. Wir besteuern nicht mehr Arbeit, sondern Vermögen, Erbschaften, den Verbrauch von Primärressourcen und elektronische Finanztransaktionen (Mikrosteuer).

Zu guter Letzt: Tappen wir nicht in die Falle des «grünen Wachstums». Denn dieses Konzept hofft auf Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Naturbelastung. Eine Illusion. Das Wachstum mag zwar «grüner» sein, nachhaltig ist es nicht.

Es geht ums Ganze. Denken und handeln wir also radikal neu! Zum Beispiel, indem wir über die Umweltverantwortungsinitiative reden, die Greenpeace unterstützt. Diese fordert genau das, was auch Greenpeace umtreibt: eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen.

Zitiervorschlag: Iris Menn (2024). Standpunkt: Setzen wir nicht länger auf das falsche Pferd. Die Volkswirtschaft, 22. Februar.