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Darbende Lokalmedien: Medien als vierte Gewalt in Gefahr?

Lokalmedien verschwinden, auch in der Schweiz. Zurück bleiben im schlimmsten Fall News-Deserts – Gebiete ohne mediale Abdeckung. Dies ist schädlich für die Demokratie.
Lokalmedien verschwinden zunehmend von der Bildfläche – unter anderem auch, weil Gemeinden nicht mehr auf sie angewiesen sind, um die Bevölkerung zu informieren. (Bild: Keystone)

Es sind schwierige Zeiten für die Medien, nicht nur in der Schweiz: Rückläufige Abozahlen, sinkende Werbeeinnahmen und ein dynamischer Digitalisierungsprozess zwingen Medienanbieter, sich immer schneller anzupassen. Für Lokalmedien ist die Situation besonders prekär. Ihre Nutzerzahlen sind geografisch begrenzt, die Ressourcen knapp, und der ohnehin schwindende Werbemarkt wandert online ab ­– oft nicht zu den Onlineplattformen der Lokalmedien, sondern zu internationalen Grosskonzernen wie Google. Der steigende Druck auf die Lokalmedien führt zu Redaktionssterben (siehe Kasten für Inhalte der Schweizer Lokalmedien). Betroffene Gebiete werden schlimmstenfalls gar nicht mehr durch Medien abgedeckt und verkommen zu Nachrichtenwüsten, sogenannten News-Deserts.[1]

News-Deserts schaffen Informationslücken

Die Forschung zu den gesellschaftlichen Folgen von News-Deserts zeigt, dass diese demokratietheoretisch in vielerlei Hinsicht schädlich sind. Beispielsweise sinkt die politische Partizipation der Wahlberechtigen in betroffenen Regionen.[2] Die Bevölkerung fühlt sich weniger informiert, weniger der Gesellschaft angehörig und die Korruption in der Gegend steigt.[3]

Eine neue Problematik bezüglich News-Deserts ist sogenannter Pink Slime[4]: Neue Lokalmedien werden gegründet, scheinbar um die mediale Lücke in News-Deserts zu füllen. Tatsächlich handelt es sich aber um Medienprodukte, die nur den Anschein von Neutralität wecken, in Wahrheit aber von einem häufig nicht eindeutig zuordenbaren Absender mit klaren (politischen) Interessen stammen – eine Fata Morgana in der Wüste. Die Situation der Lokalmedien in der Schweiz ähnelt zwar noch keiner Wüstenlandschaft, aktuelle Entwicklungen deuten jedoch darauf hin, dass auch hier die Gefahr von News-Deserts und Pink Slime zunimmt.

Schweizer Lokalmedien verlieren an Bedeutung

Zwar werden einzelne schwindende Printtitel durch seriöse und lokale Onlineangebote ersetzt, insgesamt kompensieren diese jedoch nicht das rückläufige Angebot. Auch 2023 konnten publizistische Angebote nicht weitergeführt werden, zum Beispiel die Winterthurer Gratiszeitung «84XO» oder die «Solothurner Woche».[5] Die grösste Herausforderung für die Medien ist es, die Finanzierung sicherzustellen, insbesondere im Hinblick auf notwendige technologische und strukturelle Investitionen, was trotz des grundsätzlichen publizistischen Erfolgs immer schwieriger wird.

Neben der Zunahme an digitalen Informationskanälen wie Websites und Social Media publizieren immer mehr Gemeinden eine eigene Zeitung, um ihre Pflicht zur Information über relevante politische Vorgänge wahrzunehmen. Damit werden die Lokalmedien in ihrer Rolle als kritische lokale Informationsvermittler weiter geschwächt.

Diese Bedeutungsverschiebung zeigte sich im Rahmen unseres Forschungsprojekts: Die Aussage «Die Gemeinden sind auf die lokalen Medien angewiesen, um ihren Informationsauftrag zu erfüllen» bejahte 2022 über die Hälfte der Lokalmedien voll und ganz, aber nur 17,4 Prozent der Gemeinden. 8 Prozent der Gemeinden stimmen der Aussage sogar überhaupt nicht zu (siehe Abbildung).

Antworten auf die Aussage «Die Gemeinden sind auf die lokalen Medien angewiesen, um ihren Informationsauftrag zu erfüllen»

INTERAKTIVE GRAFIK

 

Anmerkung: Geantwortet haben 162 Lokalmedien und 402 Gemeinden. Befragungszeitraum 2021–2022.
Quelle: Burger et al. (2023), S. 71 / Die Volkswirtschaft

Alternative Finanzierung nötig

Das wirtschaftliche Fundament der Lokalmedien war über Jahrzehnte hinweg stabil. Es bestand hauptsächlich aus Werbung, zum Teil ergänzt durch Abgeltungen für die Publikation von Amtsnachrichten durch die Gemeinden und durch Abonnementsbeiträge von Lesern. Mit der Verlagerung der Werbegelder von der Presse vor allem hin zu Social Media und Suchmaschinen ist dieses Erlösmodell erodiert, obwohl das gesamte Werbevolumen stabil geblieben ist. Für Lokalmedien ist es äusserst schwierig, gegen diese disruptiven Tendenzen im Werbemarkt anzukämpfen. Was lässt sich also gegen die Verödung der Lokalmedienlandschaft tun?

Einerseits sind die Lokalmedien selbst in der Pflicht. Durch neue Bewegtbildangebote oder lokale Rubriken und Onlineshops versuchen einige mit gewissem Erfolg an den neuen Trends zu partizipieren. Das Potenzial ist bei kleinen Lokalmedien jedoch beschränkt, da eine Expansion auf andere Märkte kaum möglich ist und sich deshalb kaum Grössenvorteile realisieren lassen. Mit neuen multimedialen Angeboten oder mit Angeboten für Personen mit Migrationshintergrund könnten Lokalmedien jedoch neue Zielgruppen erreichen.

Die Finanzierung durch Stiftungen und Crowdfunding ist eine weitere Möglichkeit. Stiftungen können für einzelne Medientitel von grosser Bedeutung sein, oftmals aber nur temporär. Ähnliches gilt für das Crowdfunding: Das Sammeln von Geldern in der Bevölkerung kann dem Auf- und Ausbau eines Lokalmediums dienen, wie beispielsweise das Gemeinderatsbriefing von Tsüri.ch zeigt. Für eine langfristige Finanzierung ist es weniger geeignet, weshalb die Bevölkerung, aber auch andere Stakeholder von Lokalmedien wie die Lokalpolitik, Vereine oder Stiftungen beispielsweise durch Tage der offenen Tür oder Diskussionsveranstaltungen sensibilisiert werden müssen.

Medienförderung durch den Staat

Eine weitere Finanzierungsform ist Medienförderung. Kantone können die Entwicklung von Innovation finanziell unterstützen und Lokalmedien damit beispielsweise helfen, neue Angebote wie Podcasts aufzubauen.[6] Gleichzeitig sollten Gemeinden sich ihrer Verantwortung für den Erhalt einer gesunden lokalen Medienlandschaft bewusst sein und bestehende Förderung nicht leichtfertig zugunsten eigener Kommunikation abschaffen.

Zu guter Letzt bleibt als weitere Möglichkeit die kontinuierliche Förderung für private Presse- und Onlinetitel. Auf nationaler Ebene wurde der Ausbau einer solchen Medienförderung in einer Volksabstimmung im Jahr 2022 zwar abgelehnt. Lokal existiert sie allerdings in vielfältiger Form. Zum einen profitieren einige lokal-regionale Radio- und Fernsehstationen vom Gebührensplitting, der Medienabgabe für den Rundfunk. Zum anderen unterstützen die Gemeinden Lokalmedien, indem sie Zuschüsse leisten, inserieren oder ihren Einwohnern verbilligte Zeitungsabonnemente anbieten, wie zum Beispiel die Gemeinde Domat/Ems für ihre Lokalzeitung «Ruinaulta».

Auch der Bund könnte die Lokalmedien bei der Überarbeitung der bereits existierenden Presseförderung stärker berücksichtigen. Damit dürfte die Ausgangslage gut sein, sodass Lokalmedien als vierte Gewalt in allen Regionen der Schweiz weiterhin Bestand haben.

  1. Siehe z. B. Abernathy (2021), S. 18. []
  2. Siehe Hayes und Lawless (2018). []
  3. Siehe Smethers et al. (2021) und Heese et al. (2022). []
  4. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Fleischverarbeitung. Mehr Informationen zur Entstehung auf dieser Webseite[]
  5. Siehe Burger et al. (2024). []
  6. Siehe Stanoevska-Slabeva et al. (2021) für den Kanton Graubünden und mabb (2024) für Deutschland. []

Literaturverzeichnis
  • Abernathy, P. (2021). News Deserts and Ghost Newspapers: Will Local News Survive? UNC Hussman School of Journalism and Media.
  • Burger, J. et al. (2023). Lokaljournalismus und Gemeindekommunikation. Bestandesaufnahme der Schweizer Lokalkommunikation auf Ebene der Lokalmedien und der Gemeinde: Studie. Chur: Fachhochschule Graubünden.
  • Burger, J. et al. (2024). Lokalmedien in der Schweiz und Liechtenstein: Übersicht Stand November 2023 überarbeitete Version (Version 2.1.0). FORS Datenservice.
  • Hayes, D. und J.L. Lawless (2018). The Decline of Local News and Its Effects: New Evidence from Longitudinal Data. In: The Journal of Politics 80 (1), S. 332–336.
  • Heese, J., Pérez-Cavazos, G. und C.D. Peter (2022). When the Local Newspaper Leaves Town: The Effects of Local Newspaper Closures on Corporate Misconduct. In: Journal of Financial Economics 145 (2), S. 445–463.
  • Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) (2024): Lokaljournalismus.
  • Smethers, J.S., Mwangi, S.C. und B. Bressers (2021). Signal Interruption in Baldwin City: Filling a Communication Vacuum in a Small Town «News Desert». In: Newspaper Research Journal 42 (3), S. 379–396.
  • Stanoevska-Slabeva, K. et al. (2021). Die Medien und Medienförderung im Kanton Graubünden: Bestandsanalyse und Zukunftsaussichten. St. Gallen, Chur: Universität St. Gallen; Fachhochschule Graubünden.

Bibliographie
  • Abernathy, P. (2021). News Deserts and Ghost Newspapers: Will Local News Survive? UNC Hussman School of Journalism and Media.
  • Burger, J. et al. (2023). Lokaljournalismus und Gemeindekommunikation. Bestandesaufnahme der Schweizer Lokalkommunikation auf Ebene der Lokalmedien und der Gemeinde: Studie. Chur: Fachhochschule Graubünden.
  • Burger, J. et al. (2024). Lokalmedien in der Schweiz und Liechtenstein: Übersicht Stand November 2023 überarbeitete Version (Version 2.1.0). FORS Datenservice.
  • Hayes, D. und J.L. Lawless (2018). The Decline of Local News and Its Effects: New Evidence from Longitudinal Data. In: The Journal of Politics 80 (1), S. 332–336.
  • Heese, J., Pérez-Cavazos, G. und C.D. Peter (2022). When the Local Newspaper Leaves Town: The Effects of Local Newspaper Closures on Corporate Misconduct. In: Journal of Financial Economics 145 (2), S. 445–463.
  • Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) (2024): Lokaljournalismus.
  • Smethers, J.S., Mwangi, S.C. und B. Bressers (2021). Signal Interruption in Baldwin City: Filling a Communication Vacuum in a Small Town «News Desert». In: Newspaper Research Journal 42 (3), S. 379–396.
  • Stanoevska-Slabeva, K. et al. (2021). Die Medien und Medienförderung im Kanton Graubünden: Bestandsanalyse und Zukunftsaussichten. St. Gallen, Chur: Universität St. Gallen; Fachhochschule Graubünden.

Zitiervorschlag: Johanna Burger, Matthias Künzler, Caroline Dalmus, Ulla Autenrieth (2024). Darbende Lokalmedien: Medien als vierte Gewalt in Gefahr. Die Volkswirtschaft, 12. März.

Inhalt der innovativen Schweizer Lokalmedien

Mit welchen Inhalten versuchen die Schweizer Lokalmedien ihr Publikum zu erreichen und ihre Bedeutung für Gesellschaft und Politik zu beweisen? Wie finanzieren sie sich?

Die Analyse der Onlineangebote von zwölf als innovativ einzuordnenden Medien unseres Forschungsprojekts aus den Bereichen Print, TV, Radio und Online-only zeigt, dass eine grosse Heterogenität hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung der Online-Berichterstattung herrscht. Einige Medientitel widmen ihre Berichterstattung ausschliesslich dem Lokalen. Sie fokussieren nicht nur auf relevante Themen aus der Region wie Politik, Wirtschaft oder Kultur, sondern geben auch unterschiedlichen Bürgern ein Gesicht, etwa in Interviews, Porträts oder Reportagen. Der Anteil an redaktioneller Eigenleistung ist dementsprechend hoch. Die Finanzierung erfolgt in der Regel über Anschubfinanzierungen und Spenden oder Paywalls.

Andere Medien pflegen Webauftritte, bei denen die Lokalmedienberichterstattung durch ein breites Angebot an nationalen und internationalen, meist aus Agenturmeldungen bestehenden News ergänzt wird. Die Menge an Berichterstattung ist hier insgesamt höher, allerdings im Verhältnis der Anteil an Eigenleistung der Redaktionen kleiner. Das muss aber nicht zwingend eine geminderte Qualität hinsichtlich der Lokalberichterstattung bedeuten. Bei solchen Onlineangeboten ist mitunter die Finanzierung durch Werbung oder Soft Paywalls, bei der News frei zugänglich und redaktionelle Inhalte kostenpflichtig sind, dominant.