Juliane A. Lischka, Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg
Beim medialen Qualitätswettbewerb konkurrieren Medienprodukte um Nachfrage, Vertrauen und Loyalität beim Publikum durch eine überlegene Qualität ihrer Produkte. Als Qualitätskriterien von journalistischen Inhalten werden oft Faktentreue, Unvoreingenommenheit, Vielfalt von Perspektiven, Einordnungsleistung oder Trennung von Meinung und Nachricht sowie von Werbung und redaktionellem Inhalt genannt.
Nun haben Medienprodukte ein grundlegendes Problem: Die Qualität von medialen Inhalten kann, wenn überhaupt, erst nach dem Konsum beurteilt werden. Meine Kinder wissen erst nach dem Schauen des neuesten Disney-Films, ob er ihnen gefallen hat. Ich weiss erst nach dem Lesen eines Artikels, ob er informativ war. Solche Erfahrungsgüter haben es schwer. Medien bemühen sich, die Qualitätseinschätzung vor dem Konsum zu erleichtern, beispielsweise durch Medienmarken, griffige Titel, Trailer oder Social-Media-Teaser.
Den Wahrheitsgehalt von Nachrichten kann das Publikum trotzdem nicht direkt nachvollziehen. Daher sind Nachrichten nicht nur Erfahrungs-, sondern auch Vertrauensgüter. Überwacht uns der Bund wirklich, wie ein aktueller «Republik»-Artikel aufdeckt? Beruhen die Leaks des gemeinnützigen Medienhauses Correctiv über die rechtsextreme deutsche Partei AfD auf authentischem Material? Berichten die sogenannten liberalen Nachrichten in den USA unvoreingenommen über die Republikanische Partei? Gerade Letzteres ist eine jahrzehntealte strategische Anschuldigung, die im Fake-News-Vorwurf von Trump gipfelte.
Die Qualität von medialen Inhalten kann, wenn überhaupt, erst nach dem Konsum beurteilt werden.
Wenn Teile des Publikums davon überzeugt sind, dass Nachrichten von bestimmten politischen Interessen gelenkt werden, wird der Lügenpressevorwurf laut. Alternative Informationsquellen, die keine journalistischen Standards einhalten, erscheinen manchen gerade dadurch als vertrauenswürdig.
Weil Qualität nur mangelhaft beurteilt werden kann, entstehen vielfältige Folgeprobleme: Relevante Informationen werden nicht aufgenommen, fliessen nicht in gesundheitliche, wirtschaftliche und politische Entscheidungen ein, und das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen erodiert.
Der Journalismus versucht, mit Faktenchecks und Transparenzinitiativen gegenzuhalten. Doch die Betonung von Meinungen, einfache Erklärungen für komplexe Probleme, selbst ernannte Insiderinformationen und der skeptische Blick auf etablierte Nachrichten durch alternative Informationsquellen sind zu effektiven Qualitätssignalen geworden. In diesem Umfeld werden das Tucker Carlson Network des gleichnamigen ehemaligen Fox-Nachrichtensprechers oder das Nachrichtenportal «Nius» des ehemaligen «Bild»-Chefredakteurs Julian Reichelt zu erfolgreichen Medienmarken. Der Qualitätswettbewerb von Nachrichten hat zwar noch nie gut funktioniert, da Qualität schwer beurteilbar ist. Aber weil Teile des Publikums unterschiedliche Qualitätsmassstäbe für Nachrichtenmedien anlegen, versagt der Qualitätswettbewerb gänzlich.
Zitiervorschlag: Lischka, Juliane A. (2024). Der Qualitätswettbewerb von Nachrichtenmedien versagt. Die Volkswirtschaft, 12. März.