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Ernährung: Gehört der grünen Genschere die Zukunft?

Neue Pflanzensorten tragen zur Versorgungssicherheit bei. Die als «Genschere» bekannten neuen Züchtungsmethoden wie Crispr haben das Potenzial, die Landwirtschaft und die Ernährung zu revolutionieren.
Neue genetische Züchtungsmethoden könnten den Wasserverbrauch reduzieren. Satellitenaufnahme von bewässerten Landwirtschaftsflächen in Saudi-Arabien. (Bild: Keystone)

Die Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft hat zu Nahrungsmitteln im Überfluss und tiefen Preisen geführt.[1] Verantwortlich dafür waren der technologische Fortschritt, der internationale Handel sowie die sogenannte grüne Revolution: Sie führte ab den 1960er-Jahren zur Entwicklung moderner Hochertragssorten, die sich weltweit erfolgreich verbreiteten und zu Produktivitätssteigerungen bei Getreide führten. Die Regionen Lateinamerika und Karibik sowie Asien und Pazifik stehen beispielhaft für diese Entwicklung (siehe Abbildung 1).

Produktivität als Motor der Landwirtschaft

Doch dieser Trend hielt nicht überall an. Die reale landwirtschaftliche Produktivität pro Kopf (inflationsbereinigt) ist in Subsahara-Afrika zeitweise zurückgegangen, aber auch in Zentral- und Osteuropa.[2] Während diese beiden Regionen zwischenzeitlich wieder aufgeholt haben, liegt die heutige Produktivität in Westeuropa (inklusive Schweiz) deutlich unter dem Höchststand der 1980er-Jahre (siehe Abbildung 1).

Beunruhigend ist zudem: Zwischen 2011 und 2020 ist gemäss Analysen des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) die weltweite landwirtschaftliche Produktion so langsam gewachsen wie in keiner Dekade zuvor seit 1961 (2011–2020: 1,93% pro Jahr; 2001–2010: 2,72% pro Jahr). Das bedeutet: Produzenten müssen künftig mehr Land kultivieren und andere Inputs wie etwa Dünger intensiver einsetzen, um die landwirtschaftliche Produktion auf dem heutigen Niveau zu halten.[3] Das Bevölkerungswachstum verstärkt diesen Druck. Zudem haben Flächenausdehnungen negative Umweltauswirkungen (z. B. Entwaldung).

In der Schweiz gingen zwischen 1990 und 2000 aufgrund der Neuausrichtung der Agrarpolitik, welche massgeblich die Umlagerung der Preisstützung in produktunabhängige Direktzahlungen beinhaltete, die Flächen- und die Kapitalproduktivität in der Landwirtschaft zurück; seither stagnieren sie.[4] Stattdessen nahm die Produktivität pro Arbeitsstunde ab den 2000er-Jahren zu. Sie ist sozusagen «der Motor der Schweizer Landwirtschaft». Da der landwirtschaftliche Produktionswert stagnierte, hat man mithilfe des technischen Fortschritts das Arbeitsvolumen schrittweise reduziert, damit das Einkommen im Verhältnis zum Arbeitsaufwand trotzdem stieg.[5]

Abb. 1: Die Agrarproduktivität pro Kopf sinkt in Westeuropa (1961–2021)

INTERAKTIVE GRAFIK
Anmerkung: Bruttoproduktionswert pro Kopf in konstanten Kaufkraftparitäts-Dollar des Jahres 2015.
Quelle: Eigene Berechnungen der Autoren basierend auf Daten des USDA (2023) und der Weltbank (Populations-Indikator) / Die Volkswirtschaft

Pflanzenzüchtung als Schlüssel

In Europa ist die Bevölkerung heute gut ernährt, und der Anteil des Einkommens, der für Lebensmittel ausgegeben wird, ist zurückgegangen. Daher scheinen die Vorteile von Produktivitätssteigerungen durch Innovation weniger relevant. In der öffentlichen Landwirtschaftsdebatte geht es deshalb kaum darum, wie die Produktion gesteigert werden kann, sondern vielmehr um ernährungspolitische (z. B. Reduktion von Food-Waste) und ökologische Belange wie etwa die Verringerung des Pestizideinsatzes.[6]

Eine produktive und nachhaltige Landwirtschaft wirkt jedoch Abhängigkeiten von Importen bei Futter- und Nahrungsmitteln entgegen. Zusätzlich stärkt sie den Selbstversorgungsgrad und generiert Einkommen. Zudem schafft eine innovative genetische Verbesserung von Kulturpflanzen neben sozioökonomischem Nutzen nachweislich auch ökologische Vorteile. Denn die Pflanzenzüchtung in all ihren Variationen ist die wirksamste Massnahme der pflanzlichen Produktion, um beispielsweise den CO2-Fussabdruck[7] zu senken, und sie hilft, Kulturpflanzen gegenüber Krankheiten, Schaderregern und Wetterextremen wie Trockenheit resistent zu machen. Durch neue Pflanzenzüchtungen könnten auch Herausforderungen beim Pflanzenschutz wie etwa die bereits umgesetzten Verbote alter Pflanzenschutzmittel oder ein Zulassungsstau bei neuen Produkten bewältigt werden.

In Zukunft dürfte die Steigerung der Produktivität von Ackerkulturen durch die Entwicklung leistungsfähiger und resistenter Sorten eine noch wichtigere Rolle einnehmen, denn die Wirksamkeit anderer Massnahmen des Pflanzenbaus und der Bodenbewirtschaftung – wie etwa Pflanzenschutz, Dünger und Fruchtfolge – ist begrenzt.[8]

Crispr: Präzis, effizient und kostengünstig

Eine Revolution auf dem Gebiet der Pflanzenzüchtungen gab es dank den sogenannten neuen genomischen Techniken (NGT). Ihr Erfolg beruht darauf, dass Erbgut (DNA) zielgerichtet verändert werden kann, keine Fremd-DNA von aussen eingeführt werden muss wie bei der traditionellen Gentechnik und die Veränderung auch unter natürlichen Bedingungen durch herkömmliche Kreuzungszüchtung hätte erreicht werden können. Dementsprechend können NGT-Produkte nicht unterschieden werden von solchen aus herkömmlicher Züchtung. Die molekulare «Genschere» Crispr/CAS (von englisch Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) ist die bekannteste Methode zur Genom-Editierung: Sie durchtrennt DNA, während die Reparatur der Zelle einzelne oder mehrere DNA-Bausteine im Erbgut entfernt oder einzelne Bausteine ersetzt oder hinzufügt. So werden bestimmte Eigenschaften oder Merkmale verändert. Im Jahr 2020 erhielten zwei Forscherinnen den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung dieser neuen Technologie.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Kreuzungen erzeugen NGT präzise, effiziente und kostengünstige Pflanzensorten ohne Ertragsverluste.[9] Solche Sorten sind zum Beispiel klima- und schädlingsresistent, oder sie brauchen weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel.[10] Auch für die Schweiz könnte die Technologie interessant sein: etwa für Mehltau-resistente Reben, Feuerbrand-resistente Äpfel, Kartoffeln mit Resistenz gegen Kraut- und Knollenfäule oder Weizen mit verringertem Glutengehalt.[11] Nicht nur die Entwicklungskosten, sondern auch die Entwicklungszeiten würden sich massiv verringern.[12]

Umdenken bei grüner Gentechnik?

Allerdings: In der Schweiz gilt seit der Volksabstimmung vom November 2005 ein Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, welche artfremde DNA enthalten. Das Parlament hat 2022 das Moratorium zum vierten Mal bis 2025 verlängert. Gleichzeitig wurde der Bundesrat beauftragt, bis 2025 einen Erlassentwurf für eine risikobasierte Zulassungsregelung für NGT-Nutzpflanzen vorzulegen. Gemäss dem Auftrag des Parlaments[13] müssen NGT gegenüber herkömmlichen Züchtungen «einen nachgewiesenen Mehrwert für die Landwirtschaft, die Umwelt oder die Konsumentinnen und Konsumenten haben».

In der EU hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu NGT von 2018 die Technik dem europäischen Gentechnikgesetz unterstellt. Dessen prozessorientiertes Bewilligungsverfahren ist mit extremen Auflagen verbunden, die den Anbau fast verunmöglichen. Doch im Sommer 2023 hat die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung geschickt, der für NGT-Pflanzen den Wechsel zur Produktbewilligung vorsieht und dadurch die Marktzulassung vereinfachen soll: Administrative Hürden wie die spezielle Kennzeichnung oder ein vollständig getrennter Warenfluss sind nicht mehr vorgesehen. Die Wissenschaft ist sich einig: Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und NGT-Pflanzen sind nicht risikobehafteter als herkömmlich gezüchtete.[14] In den USA, in mehreren Ländern Südamerikas und in Australien fallen NGT-Pflanzen nicht unter die gesetzliche Regulierung als GVO (siehe dunkelgrün markierte Länder in Abbildung 2).

Abb. 2: Weltweite Regulierungsunterschiede bei neuen genomischen Techniken (NGT) (Stand Januar 2024)

Vielversprechendes Potenzial

Erfolgversprechend sind die neuen genomischen Techniken bei der Produktivitätssteigerung, der Ernährungssicherheit, bei landwirtschaftlichen Einkommen oder der Verringerung des Umweltfussabdrucks. Denn sie helfen bei der Landersparnis und der Reduktion von Produktionsverlusten – verursacht etwa durch Schädlingsbefall oder Trockenheit. Dadurch reduzieren sie CO2-Emissionen und senken den Wasserverbrauch. Es wird sich aber erst noch zeigen, ob die Deregulierungsvorhaben Erfolg haben werden oder ob die grüne Gentechnik in Europa eine Geschichte der verpassten Chancen bleibt.

Die gesellschaftliche Akzeptanz spielt dabei eine wichtige Rolle. Diese beeinflusst nämlich langfristige Investitionen in innovative Sorten und die Weiterentwicklung der Züchtungstechnologien. Da NGT kostengünstig sind, könnten bei entsprechenden Rahmenbedingungen neue Firmen in diesen Markt einsteigen und den Wettbewerb beleben. Grossbritannien macht es vor: Dank seiner pragmatischen Zulassungspraxis für NGT-Pflanzen ist das Land unterwegs an die Spitze der (Grundlagen-)Forschung im Agrar- und Lebensmittelbereich. Hierzulande muss das Parlament erst noch darüber entscheiden, ob sich die Schweiz dem internationalen Deregulierungstrend bei neuen genomischen Techniken anschliesst oder nicht.

  1. Siehe Fuglie et al.(2020). []
  2. Siehe Alston und Pardey (2014). []
  3. Siehe Morgan et al. (2022). []
  4. Siehe Agristat (2019), S. 6–7. []
  5. Siehe Agristat (2019), S. 6–7. []
  6. Siehe Noleppa und Cartsburg (2021). []
  7. Siehe Riedesel et al. (2022). []
  8. Siehe Noleppa und Cartsburg (2021). []
  9. Bei konventionellen Züchtungen (Mutagenese) werden Genveränderungen etwa via radioaktive Bestrahlung in die Pflanzen-DNA eingeführt. Dieser Prozess erfolgt zufällig und nicht zielgerichtet wie bei NGT. []
  10. Siehe EU-Kommission (2023). []
  11. Siehe Kümin et al. (2023). []
  12. Siehe Kock (2022). []
  13. Siehe Art. 37a Abs. 2 Gentechnikgesetz (GTG; SR 814.91). []
  14. Siehe eine Übersicht auf dem Portal «Transparenz Gentechnik»; das Nationale Forschungsprogramm «Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen» (NFP 59) hat ebenfalls keine höheren Risiken von GVO für die Umwelt festgestellt. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Isabelle Schluep, Markus Hardegger (2024). Ernährung: Gehört der grünen Genschere die Zukunft. Die Volkswirtschaft, 05. März.