Konsumentenstimmung: Jeden Monat neu
Berufstätige werden in der neuen Erhebung der Konsumentenstimmung besser repräsentiert. Schaufensterpuppen in einem Kleidergeschäft. (Bild: Keystone)
Die Konsumentenstimmung wird seit 1972 erhoben und bezieht sich im Unterschied zu vielen gängigen Konjunkturindikatoren auf die privaten Haushalte. Zudem werden in der Umfrage soziodemografische und sozioökonomische Daten erhoben, welche über die Konjunkturbeobachtung hinaus wichtige Erkenntnisse liefern können. 50 Jahre nach ihrer Einführung wurde die Konsumentenstimmung nun grundlegend weiterentwickelt.[1]
Kontinuierliche Datenerhebung
Eine der wichtigsten Änderungen ist die Frequenz der Datenerhebung. Bisher fand die Umfrage jeweils in den ersten drei Wochen eines Quartals statt. Dadurch ergaben sich zwischen den einzelnen Quartalserhebungen grosse Informationslücken. Insbesondere in Krisensituationen braucht es zur Einschätzung der inländischen Konjunktur aktuelle Daten – die Konsumentenstimmung wird daher neu nicht mehr quartalsweise, sondern laufend in einem sogenannten Rolling-Cross-Section-Design erhoben. Jedes Jahr wird in jeder Kalenderwoche die gleiche Anzahl zufällig ausgewählter Personen ab 16 Jahren eingeladen, an der Befragung teilzunehmen.
So kann die Konsumentenstimmung praktisch kontinuierlich beobachtet und die Auswirkungen von besonderen Ereignissen auf die Stimmung jederzeit ausgewertet werden. Dies ermöglicht insbesondere, Daten monatlich zu publizieren – die Schweiz schliesst damit zu vergleichbaren Ländern auf.
Internetbasierte Datenerhebung
Die zweite wichtige Änderung betrifft die Art der Erhebung. Bisher fand die Umfrage hauptsächlich telefonisch statt, neu online über das Internet. In den vergangenen Jahren ist die telefonische Erreichbarkeit der Bevölkerung stetig zurückgegangen. Die Befragung über das Internet bietet daher die grösstmögliche Flexibilität: Sie kann sowohl zeit- als auch ortsunabhängig und über unterschiedliche Endgeräte (Computer, Tablet, Handy) ausgefüllt werden. So bleibt der Aufwand für die Befragten möglichst gering.
Die hohe Teilnahmequote bestätigt das Vorgehen bislang. Während der Testphase im Jahr 2023 nahmen von den Personen, die zur Befragung eingeladen wurden, 45 Prozent teil – ein sehr erfreuliches Ergebnis für eine freiwillige Erhebung wie die Konsumentenstimmung.
Ältere ab 80 unterrepräsentiert
Ein potenzieller Nachteil von Internetbefragungen ist, dass Teile der Bevölkerung nicht daran teilnehmen können, weil sie zum Beispiel keinen Internetzugang haben. Eine oft geäusserte Befürchtung in diesem Zusammenhang ist, dass ältere Personen systematisch unterrepräsentiert werden.
Die Testphase, in der beide Befragungen parallel durchgeführt wurden, stimmt insgesamt aber zuversichtlich. Zwar nehmen manche Personen aus technischen Gründen nicht an der Umfrage teil, und Personen im Alter von über 80 Jahren sind gegenüber ihrem Anteil an der Bevölkerung tendenziell untervertreten (siehe Abbildung 1). In anderen Altersklassen stimmt die Altersverteilung der Teilnehmenden hingegen besser mit der Gesamtbevölkerung überein als bei der bisherigen Erhebung. Dies ist beispielsweise bei den Personen zwischen 71 und 80 Jahren sowie jenen zwischen 31 und 40 Jahren der Fall. So dürften insbesondere berufstätige Personen von der zeit- und ortsunabhängigen Teilnahme profitieren. Analog dazu wurde die Teilnahmebereitschaft für andere Kontrollvariablen wie das Geschlecht, die Nationalität und die Grossregionen ausgewertet. Das positive Fazit zur neuen Erhebung bestätigt sich.
Abb. 1: Berufstätige (20–60 Jahre) sind in der neuen Konsumentenstimmung besser repräsentiert
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«Alte» und «neue» Konsumentenstimmung
Wie bisher wird der Index der Konsumentenstimmung anhand von vier Fragen bzw. Teilindizes berechnet: der erwarteten Wirtschaftsentwicklung, der vergangenen sowie der erwarteten eigenen finanziellen Lage und der Neigung zu grösseren Anschaffungen. Obwohl die Formulierung der Fragen unverändert geblieben ist, sind gewisse Unterschiede in den Resultaten der bisherigen und der neuen Erhebung auszumachen.
Insbesondere liegt die Konsumentenstimmung gemäss der neuen Erhebung auf tieferen Niveaus (siehe Abbildung 2). Verschiebungen dieser Art sind bei einer Umstellung der Befragungsmethode aus verschiedenen Gründen zu erwarten. Zum einen kann, wie oben beschrieben, die Zusammensetzung der Teilnehmenden in den beiden Umfragemodalitäten unterschiedlich ausfallen. Zum anderen wirkt sich die Methode der Datenerhebung auf das Antwortverhalten aus.[2]
Für die Konsumentenstimmung als Konjunkturindikator ist allerdings weniger das absolute Niveau als die Entwicklung der Resultate über die Zeit relevant. Hier zeigen die bisherige und die neue Erhebung eine grosse Ähnlichkeit: Im Frühling 2023 ist in beiden Befragungen eine leichte Eintrübung der Stimmung festzustellen, im Sommer eine leichte Aufhellung. Insbesondere im Herbst ist die Stimmung in beiden Reihen deutlich tiefer als zuvor, wozu neben der geopolitischen Lage die Ankündigung von Preis- und Krankenkassenprämienerhöhungen beigetragen haben könnte. Anhand der neuen Erhebung konnte aber bereits im November eine Aufhellung der Stimmung beobachtet werden. Dies hätte man in der früheren Quartalserhebung erst im Januar mit Abschluss der dann anstehenden Feldphase festgestellt.
Abb. 2: Tieferes Niveau der Konsumentenstimmung bei kontinuierlicher Erhebung
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Lange Zeitreihe wird weitergeführt
Datennutzende haben weiterhin Zugriff auf lange Zeitreihen ab 1972. Sämtliche Teilindizes sowie der Gesamtindex der Konsumentenstimmung werden auf Quartalsfrequenz fortgesetzt. Dafür werden die Resultate der neuen Erhebung im jeweils ersten Monat eines Quartals verwendet.
Die Niveauverschiebungen der einzelnen Teilindizes zwischen den historischen und den aktuellen Ergebnissen werden mithilfe der Testphase von 2023 korrigiert und die historischen Daten entsprechend verschoben.[3] Saisonale Schwankungen in den Monatsdaten können erst in einigen Jahren statistisch geglättet werden. Im Gegensatz dazu stehen die langen Reihen ab 1972 weiterhin saisonbereinigt zur Verfügung.[4]
Experimentelle Daten zu den Preiserwartungen
Die Neuerungen berücksichtigen die Bedürfnisse der Datennutzenden, zum Beispiel den Wunsch nach konkreten Zahlen für die erwartete Preisentwicklung. Bereits seit 1972 werden die Befragten im Rahmen der Konsumentenstimmung gebeten, qualitativ einzuschätzen, ob die Preise steigen oder sinken werden. Neu wird zusätzlich nach einer konkreten Veränderung in Prozent gefragt. Die Daten dürften insbesondere zu Forschungszwecken relevant sein.[5]
Allerdings ist die Auswertung dieser Resultate komplex, sodass sich international bislang kein einheitliches Vorgehen etabliert hat. Ähnlich wie andere Institutionen publiziert das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) daher drei unterschiedliche Auswertungen der erwarteten Preisentwicklung.[6] Insgesamt haben die Daten zu den numerischen Preiserwartungen aktuell einen experimentellen Charakter: Ihre Aussagekraft muss über die Zeit weiter beobachtet werden, und es ist nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft die Fragestellungen oder die Datenauswertung angepasst werden müssen.
Literaturverzeichnis
- Abberger, K. et al. (2024). Studie zur Erhebung der Inflationserwartungen in der Umfrage der Schweizer Konsumentenstimmung. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 51. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern, Schweiz.
- Kemeny, F. und S. Widmer (2022). Neuerungen zum 50. Geburtstag der Konsumentenstimmung. Die Volkswirtschaft.
- Lutz, G. et al. (2024). Study to Evaluate the Future Data Compilation for the Swiss Consumer Sentiment Index. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 43. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern, Schweiz.
- Marlar, J. (2018). Why Phone and Web Survey Results Aren’t the Same.
Bibliographie
- Abberger, K. et al. (2024). Studie zur Erhebung der Inflationserwartungen in der Umfrage der Schweizer Konsumentenstimmung. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 51. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern, Schweiz.
- Kemeny, F. und S. Widmer (2022). Neuerungen zum 50. Geburtstag der Konsumentenstimmung. Die Volkswirtschaft.
- Lutz, G. et al. (2024). Study to Evaluate the Future Data Compilation for the Swiss Consumer Sentiment Index. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 43. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern, Schweiz.
- Marlar, J. (2018). Why Phone and Web Survey Results Aren’t the Same.
Zitiervorschlag: Kemeny, Felicitas; Kyriacou, Lucas; Widmer, Simon (2024). Konsumentenstimmung: Jeden Monat neu. Die Volkswirtschaft, 11. März.
Herunterladen und lesen kann man die neu monatlich erscheinende und kommentierte Publikation der Konsumentenstimmung auf der Website des Seco. Die Daten werden sowohl in Excel-Dateien als auch in einem einfach maschinenlesbaren Format zur Verfügung gestellt.