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Meinungsbildung unter Druck?

Medien stellen die Grundversorgung der Bevölkerung mit Informationen sicher. In den letzten Jahren machten die Schweizer Medien aber vor allem mit Sparmassnahmen und eingestellten Angeboten Schlagzeilen. Wie wirkt sich dies auf die freie Meinungsbildung aus?

Meinungsbildung unter Druck?

Schwierige Zeiten für Printmedien – die Einnahmen aus Werbung gingen seit dem Jahr 2000 um 75 Prozent zurück. Transportvorrichtung einer Rotationsdruckmaschine von CH Media in St. Gallen. (Bild: Keystone)

Die Schweizer Bevölkerung kann sich über Initiativen und Referenden sehr direkt in den politischen Prozess einbringen. Für die dazu nötige freie Meinungs- und Willensbildung ist sie auf eine vielfältige Medienlandschaft angewiesen. Denn: Zur Demokratie, wo alle am politischen Prozess teilhaben, gehört der Einbezug verschiedener Meinungen und Standpunkte. Und diese erschliessen sich einem grösseren Publikum vor allem via Medien.

Werbeeinnahmen sinken

In den letzten Jahren sind aber alle wichtigen Finanzierungsquellen von Schweizer Medien unter Druck geraten. Die Werbeeinnahmen gingen teils dramatisch zurück: bei den Printmedien zum Beispiel gegenüber dem Jahr 2000 um 75 Prozent. Mittlerweile fliesst mindestens gleich viel Werbegeld aus der Schweiz zu den grossen Internet-Plattformen – wie beispielsweise Google von Alphabet oder Instagram und Facebook von Meta – wie in alle Schweizer Medien zusammen. Diese Plattformen berichten aber nicht über die verschiedenen Regionen in der Schweiz.

Im Printbereich gehen Einnahmen aus Abonnements zurück, und Onlinemedien leiden unter der tiefen Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte im Netz. Auch die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks – der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) – ist durch die eidgenössische Volksinitiative «200 Franken sind genug! (SRG-Initiative)», die die Reduktion der Haushaltabgabe auf 200 Franken und die komplette Streichung der Unternehmensabgabe fordert, von möglichen Kürzungen bedroht.

Die Schweizer Medien reagieren auf dieses herausfordernde wirtschaftliche Umfeld mit Sparmassnahmen: Personal wird entlassen, die journalistische Produktion nach wirtschaftlicher Logik effizienter organisiert und optimiert, die Angebote werden ausgedünnt. Andererseits zeigt sich eine Tendenz zur Konzentration: Medienangebote verschwinden vom Markt oder werden in Medienkonzerne integriert. Für die Grundversorgung der Schweizer Bevölkerung mit vielfältigen Informationen sind beide Reaktionen problematisch. Während es Einsparungen und Entlassungen erschweren, die publizistische Qualität aufrechtzuerhalten, führt die Medienkonzentration dazu, dass sich die Meinungsmacht auf einige wenige, dafür grosse Medienkonzerne verdichtet.

Hohe regionale Medienkonzentration

Den Begriff der Meinungsmacht nimmt der Medienmonitor Schweiz auf, der im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) Entwicklungen in der Schweizer Medienlandschaft seit 2017 systematisch nachzeichnet. Meinungsmacht wird hier als Potenzial verstanden, meinungsbildende Wirkung zu entfalten. Empirisch gemessen wird sie anhand von zwei Komponenten: Erstens beurteilen Mediennutzende in einer repräsentativen Befragung Medienangebote unter anderem hinsichtlich ihrer Leistung als Informationsmedien. Zweitens, wie die Angebote durch das Publikum genutzt werden.

Die gute Nachricht zuerst: Weder auf nationaler noch auf sprachregionaler oder auf lokaler Ebene geht von einer einzelnen Medienmarke (zum Beispiel dem «Tages-Anzeiger») eine Monopolgefahr aus. Dies zeigt die aktuellste Erhebung aus dem Jahr 2022. In jeder Region der Schweiz stehen der Bevölkerung mehrere Medienangebote zur Befriedigung ihres Informationsbedürfnisses zur Verfügung. Allerdings greift diese Betrachtung zu kurz, um die Meinungsvielfalt einzuschätzen oder eine Aussage zur Medienkonzentration zu treffen. Denn die Konzentration zeigt sich bereits darin, dass mehr als 100 der im Medienmonitor untersuchten 176 Medienangebote nur gerade zehn Konzernen gehören. Allein auf das Konto von CH Media oder der TX Group gehen 31 respektive 19 Medienmarken. Die SRG, als Betreiberin des öffentlichen Radios und Fernsehens, ist mit 24 Angeboten vertreten.

Gerade in der Schweiz ist zudem aufgrund der föderalistischen, dezentralen Struktur, der vier Landessprachen und der einschneidenden topografischen Konturen eine regionale Sichtweise wichtig. Und hier – konkret in der italienischsprachigen Schweiz sowie in der Hälfte aller insgesamt untersuchten lokalen Medienräume – zeigt sich die Medienkonzentration deutlich. Als am höchsten konzentriert gelten das Berner Oberland, das Oberwallis und Teile der Zentralschweiz sowie der Grossraum Bern. Aber auch in Graubünden, der Zentralschweiz und den nordöstlichen Teilen der Region Zürich (Kantone Zürich, Thurgau und Schaffhausen) nimmt die Medienkonzentration zu. In all diesen Gebieten wird der Meinungsmarkt von zwei grossen Medienhäusern dominiert. Einer der zwei dominierenden Player ist aber jeweils die SRG.

Verschiebung hin zu digitalen Kanälen

Aus gesellschaftlicher Sicht wäre eine Verteilung der Meinungsmacht auf mehr Medienhäuser wünschenswert. Gleichzeitig bildet die starke Stellung der SRG ein Gegengewicht zu den grössten kommerziell orientierten Medienkonzernen, denn sie ist zu inhaltlicher Vielfalt und ausgewogener Berichterstattung verpflichtet – im Gegensatz zu den Angeboten der übrigen Konzerne ohne Leistungsauftrag. Damit ist auch eine in der aktuellen Diskussion kaum berücksichtigte Eigenschaft der SRG angesprochen, die sich im Medienmonitor aber sehr klar empirisch nachweisen lässt: Ohne die SRG wäre in vielen Regionen der Schweiz die vielfältige und ausgewogene Versorgung der Bevölkerung mit Information nicht in ausreichendem Mass sichergestellt.

Das Schweizer Mediensystem erfüllt die Voraussetzungen für eine freie Meinungsbildung vorläufig noch. Die Medienvielfalt und damit die Meinungsvielfalt stehen aber unter Druck, in regional unterschiedlichem Ausmass. Im Medienmonitor zeigt sich zudem eine Verschiebung der Meinungsmacht weg von den klassischen Medien (Print, TV, Radio) und hin zu neueren, digitalen Angeboten (Onlinemedien und Social Media). Die finanzielle Situation vieler journalistischer Onlineangebote, insbesondere in der französisch- und der italienischsprachigen Schweiz, ist jedoch prekär, wie eine Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (Fög) im Auftrag des Bakom zeigt. Die zunehmende Wichtigkeit dieser digitalen Informationsangebote – vor allem, aber nicht nur für jüngere Zielgruppen – stellt folglich eine neue Herausforderung für die längerfristige Sicherstellung der Meinungsvielfalt dar.

Zitiervorschlag: Matthias Brändli (2024). Meinungsbildung unter Druck. Die Volkswirtschaft, 08. März.