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Qualitätsmedien auf der Suche nach dem verlorenen Geschäftsmodell

Die Digitalisierung bedroht das Geschäftsmodell journalistischer Medien. Die Medienkonzentration nimmt zu – mit negativen Konsequenzen für Demokratie und Gesellschaft.
Hat der Qualitätsjournalismus bald ausgedient? Insbesondere die Jungen wenden sich anderen Anbietern wie Instagram oder Tiktok zu. (Bild: Keystone)

Am 20. September 1999 erschien die umfangreichste Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ), die es je gab: Normalteil und Sonderbeilagen summierten sich auf 168 Seiten, so berichtet es der Journalist Friedeman Bartu in seinem 2020 erschienenen Porträt über die NZZ. Der Druck dieser Ausgabe sei nicht nur eine technische Meisterleistung gewesen, sondern habe auch erheblich zum Unternehmensgewinn beigetragen. Die Gewinne seien so reichlich gesprudelt, dass die NZZ in einem damals gängigen Bonmot als die einzige Bank der Schweiz bezeichnet worden sei, die sich eine Tageszeitung leiste, so Bartu.

Das Geschäftsmodell von Qualitätsmedien beruht darauf, dass Menschen bereit sind, für publizistische Inhalte zu zahlen, die ihrer Aufmerksamkeit wert sind. Die Aufmerksamkeit wird mit Werbung und Kleinanzeigen zu weiterem Geld gemacht. Lange Zeit sicherte diese wechselseitige Mischfinanzierung, die als zweiseitiges Geschäftsmodell bezeichnet wird, den Medienunternehmen hohe Gewinne und der Gesellschaft journalistische Vielfalt. Doch die Zeit der sprudelnden Gewinne ist passé – nicht nur für die NZZ. Die Digitalisierung bedroht dieses Modell, mit negativen Konsequenzen für Demokratie und Gesellschaft.

Zu lange wähnten sich die Medienunternehmen von der Digitalisierung nur am Rande betroffen, schliesslich sei Qualitätsjournalismus ein zeitloses Premiumprodukt. Doch die Kommunikations- und Medienwissenschaft warnte schon früh, dass es der seriöse Journalismus in Zeiten der Digitalisierung immer weniger vermag die «Nachfrage nach Information und Bildung gewinnträchtig zu befriedigen», wie Jürgen Habermas 2008 konstatierte. Inzwischen kann von einem Marktversagen gesprochen werden: Der Medienmarkt ist nicht mehr in der Lage, die publizistische Vielfalt zu liefern, die Demokratie und Gesellschaft benötigen, so Habermas im Jahr 2022.

Wie kam es zum Niedergang dieses lange erfolgreichen zweiseitigen Geschäftsmodells? Und warum findet sich kein neues Erfolgsrezept für den gesellschaftlich so wertvollen Qualitätsjournalismus?

Pfeiler der politischen Öffentlichkeit

Auch Unterhaltungsformate mögen Qualität aufweisen. Heutige Streamingdienste stellen hochwertige Inhalte her, deren gesellschaftlicher Nutzen jedoch begrenzt bleibt. Doch die gesellschaftlich bedeutsame Qualität eines Mediums bemisst sich daran, inwiefern es durch seine redaktionellen Inhalte vielfältige vernunftgeleitete Meinungen zu bilden ermöglicht. Hierfür sind vier Kriterien massgeblich.[1]

Erstens: Die Inhalte besitzen gesellschaftliche Relevanz; Hard News, etwa über Politik und Wirtschaft, werden den Soft News, etwa über das Privatleben von Prominenten, vorgezogen. Zweitens: Die Inhalte decken insgesamt ein weites Feld an Themen und Meinungen ab, um der Gesellschaft in ihrer Vielfalt gerecht zu werden. Drittens: Die Inhalte entsprechen professionellen Standards mit hoher Eigenleistung und sorgfältiger Recherche. Viertens: Die Inhalte ordnen Fakten und Themen anhand fundierten Hintergrundwissens ein.

Für das Publikum und die Werbewirtschaft sind journalistische Medientitel nur noch eine Option unter unzähligen Möglichkeiten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an von Rimscha und Siegert (2015) / Die Volkswirtschaft

Wettbewerb um Aufmerksamkeit

Im Allgemeinen setzt sich Qualität im Wettbewerb durch – ein ökonomisches Prinzip, das bei den meisten Produkten wie Elektronik, Lebensmitteln oder Bildungsangeboten gültig ist. Die Abbildung illustriert, weshalb journalistisch hochwertige Medientitel trotzdem um ihr Bestehen kämpfen. Das innere Rechteck zeigt das traditionelle, zweiseitige Geschäftsmodell klassischer Medienunternehmen.[2] Dieses besteht einerseits aus dem ökonomisch orientierten Medienmanagement, das sich beispielsweise um Finanzen und Personal kümmert, und andererseits aus den publizistisch unabhängigen Redaktionen.

Diese Zweikammerstruktur gewährleistet redaktionelle Unabhängigkeit, um Inhalte von öffentlichem Interesse zu schaffen, was sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich vorteilhaft ist. Ein breites Publikum, das durch glaubwürdige Inhalte angezogen wird, ist wiederum für die Werbebranche attraktiv, da Anzeigen von kaufkräftigen Konsumenten wahrgenommen werden. Dieses Modell hat lange erfolgreich unabhängigen Journalismus hervorgebracht und somit ökonomischen sowie gesellschaftlichen Nutzen gestiftet.

Die Digitalisierung hat den klassischen Medienmarkt stark verändert: Werbeeinnahmen fliessen zunehmend zu Tech-Giganten wie Google und Facebook, die algorithmisch gesteuerte Werbung schalten, ohne journalistische Inhalte zu produzieren. Dies entzieht traditionellen Medienunternehmen wichtige Gewinne. Kompensationen, etwa dadurch, dass die internationalen Tech-Firmen dafür zahlen, wenn sie Inhalte von Schweizer Medien übernehmen oder als Trainingsmaterial für künstliche Intelligenz (KI) verwenden, sind unzureichend, um Verluste auszugleichen. Trotz weiterhin bestehender Werbeschaltungen in Medien sinkt die Nachfrage aufgrund der neuen Konkurrenz. Zudem führt die Digitalisierung zu geringeren Erträgen im Publikumsmarkt – die Abonnemente und direkten Verkaufserlöse gehen zurück.

Journalistische Medien konkurrieren nicht nur untereinander, sondern auch mit vielen anderen Anbietern um die Aufmerksamkeit des Publikums: Wer Instagram oder Netflix nutzt, hat weniger Zeit für traditionelle Medien. Qualitätsmedien sind nun eine Option unter vielen, und besonders junge Zielgruppen wenden sich ab.

Zunehmende Medienkonzentration

Trotz Marktversagen gibt es weiterhin qualitativ hochwertige Medientitel. In der Schweiz macht das Medienqualitätsrating diese Qualität sichtbar. Dennoch darf dies nicht den Blick darauf verstellen, dass die beiden tragenden Säulen – in Form von Verkaufs- und Werbeerlösen – des klassischen Medienmarkts wegbrechen.

Traditionelle Medienunternehmen wie Ringier und TX Group wenden sich neuen, nicht journalistischen Geschäftsfeldern zu, zum Beispiel digitalen Jobportalen, die die Stellenanzeigen in Tageszeitungen ersetzen. Zwar werden Ressourcen in gut ausgestatteten Mantelredaktionen gebündelt, die weniger, dafür aber hochwertigen Journalismus produzieren. Dennoch leidet durch diese Konzentration die Qualität des Gesamtsystems. Für Demokratie und Gesellschaft sind viele Redaktionen vorteilhafter als wenige, wenn auch vermeintlich besser ausgestattete Mantelredaktionen.

Weniger Vielfalt wird besonders deutlich in der Romandie und im Tessin sowie im Regionaljournalismus.[3] Was einmal verloren geht, kommt in seiner ursprünglichen Form nicht zurück. Noch vor rund zwanzig Jahren wurde die NZZ als die «einzige Bank mit Tageszeitung» betrachtet. Schon heute muss auch die NZZ dafür kämpfen, ein privates Medienunternehmen mit eigener Redaktion zu bleiben.

  1. Siehe Bachmann, Ingenhoff und Eisenegger (2022). []
  2. Siehe von Rimscha und Siegert (2015). []
  3. Siehe Burger et al. (2024). []

Literaturverzeichnis
  • Bachmann, P., Ingenhoff D. und M. Eisenegger (2022). Defining and Measuring News Media Quality: Comparing the Content Perspective and the Audience Perspective.
  • Bartu, F. (2020). Die Neue Zürcher Zeitung. Ein kritisches Porträt.
  • Burger et al. (2024). Darbende Lokalmedien: Medien als vierte Gewalt in Gefahr? Die Volkswirtschaft, 12. März.
  • Habermas, J. (2008). Medien, Märkte, Konsumenten. Die seriöse Presse als Rückgrat der politischen Öffentlichkeit.
  • Habermas, J. (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik.
  • Von Rimscha, B. und G. Siegert (2015). Medienökonomie. Eine problemorientierte Einführung.

Bibliographie
  • Bachmann, P., Ingenhoff D. und M. Eisenegger (2022). Defining and Measuring News Media Quality: Comparing the Content Perspective and the Audience Perspective.
  • Bartu, F. (2020). Die Neue Zürcher Zeitung. Ein kritisches Porträt.
  • Burger et al. (2024). Darbende Lokalmedien: Medien als vierte Gewalt in Gefahr? Die Volkswirtschaft, 12. März.
  • Habermas, J. (2008). Medien, Märkte, Konsumenten. Die seriöse Presse als Rückgrat der politischen Öffentlichkeit.
  • Habermas, J. (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik.
  • Von Rimscha, B. und G. Siegert (2015). Medienökonomie. Eine problemorientierte Einführung.

Zitiervorschlag: Philipp Bachmann, Ingo Gächter (2024). Qualitätsmedien auf der Suche nach dem verlorenen Geschäftsmodell. Die Volkswirtschaft, 12. März.