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Wie Technologie den Journalismus umkrempelt

Immer schneller, immer kürzer: Der technologische Wandel verändert den Journalismus nachhaltig und stellt die Medien von morgen vor neue Herausforderungen. Was die Forschung zur Transformation beitragen kann.
Der beschleunigte technologische Fortschritt fordert den Journalismus heraus. Das Videospiel «Pokémon Go» brauchte nur 19 Tage, um 50 Millionen Nutzer zu erreichen. (Bild: Keystone)

Neue Technologien bilden seit je eine wesentliche Triebfeder des journalistischen Wandels.[1] Die Einführung der Druckerpresse legte den Grundstein, Nachrichten nicht nur mündlich oder handschriftlich zu verbreiten. Zeitungen mit grosser Auflage wurden erst durch Innovationen in der Drucktechnologie wie den Rotationsdruck möglich. Die Entwicklung des Rundfunks, später die gesellschaftliche Ausbreitung des Internets und von Smartphones machten die Mediennutzung mobil und zeitlich unabhängig. Insbesondere durch künstliche Intelligenz (KI) steht der Journalismus heute an der Schwelle zu einer erneuten digitalen Transformation.

Fortschritt weckt Sorge und Begeisterung

Um die Frage zu beantworten, wie die Medien von morgen aussehen, lohnt also der Blick auf den technologischen Fortschritt. Technologie schafft neue Formen der Produktion, der Distribution und der Nutzung des Journalismus – und regt noch dazu die Fantasie an. Denn gesellschaftlich werden technische Entwicklungen regelmässig von ebenso grosser Befürchtung wie Faszination begleitet. Die Sorge, die Technik könnte den Journalisten ersetzen, wechselt sich ab mit der Hoffnung, sie würde alle gegenwärtigen Probleme des Journalismus von ganz allein lösen.[2]

Die Aufgabe einer technologieorientierten Journalismusforschung sollte es sein, fernab von Hypes und Moden die Folgen der Technologieentwicklung für den Journalismus auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz abzuschätzen. Aus einer solchen Perspektive werden derzeit drei Kernherausforderungen sichtbar: erstens eine fundamentale Beschleunigung von Technologie, zweitens ein möglicher Autonomieverlust der Medien sowie drittens die Gefahr einer Substitution von Journalismus durch Technologie.

Neue Technologien, kürzere Lebenszyklen

Beschleunigung meint die rapide Entwicklung einer wachsenden Anzahl von Technologien, die immer schneller viele Menschen erreichen. Während es beispielsweise beim Telefon 50 Jahre und beim Smartphone 12 Jahre dauerte, um 50 Millionen Nutzer zu erreichen, benötigte das Videospiel «Pokemon Go» nur 19 Tage.[3] Gleichzeitig scheinen sich ihre Lebenszyklen zu verkürzen. Was gestern noch relevant erschien, verliert schnell wieder an Bedeutung, zum Beispiel intelligente Lautsprecher wie Alexa, denen man Befehle erteilen kann.

Mit der Entwicklung mitzuhalten und in diesem Marktumfeld vorausschauende Entscheidungen zu treffen, stellt eine wesentliche Herausforderung für den Journalismus dar.[4] Bei welcher Technologie, auf welcher Plattform müssen Medien dabei sein, um nicht die nächste Schlüsselentwicklung zu verpassen? Die Journalismusforschung wiederum steht vor der Aufgabe, durch empirische Studien und Theoriebildung ihre Fähigkeit zur Früherkennung von relevanten Technologieentwicklungen zu verbessern.

Verlust der Unabhängigkeit

Autonomieverlust, als zweites Phänomen, bezeichnet die Herausforderung, dass Medienunternehmen immer weniger Einfluss auf diejenigen Technologien haben, mit denen sie ihre Inhalte verbreiten. In der Vergangenheit waren Druckereien meist Teil des Verlags, und auch Logistik und Zustellung wurden im Geschäftsverbund organisiert. Heute halten Journalismus und Medien ihre Technologie nur noch sehr bedingt selbst in den Händen.[5] Stattdessen werden sie in wachsendem Masse abhängig von externen Anbietern wie Meta, Byte Dance oder Open AI.

Der Zugang zu technischen Entwicklungen, die Budgets und Kompetenzen sowie letztlich die Möglichkeiten der Einflussnahme, wie diese ausgestaltet werden, sind sehr ungleich verteilt. Das wird zum einen im Vergleich zwischen globalen Digitalkonzernen und europäischen Verlagen sichtbar. Zum anderen aber auch zwischen Grossverlagen und den kleineren Regional- und Lokalhäusern. Der Autonomieverlust kann zu einer wachsenden Ungleichheit in der Branche führen, dem die Journalismusforschung mehr Aufmerksamkeit widmen sollte.

Schliesslich, als dritte Kernherausforderung, kommt es zu einer Substitutionsgefahr, sobald Technologie mehr und mehr in den Kern der journalistischen Produktion vordringt. Frühere Innovationen wie der Telegraf, die Schreibmaschine oder die Fotografie haben journalistische Arbeit vor allem ergänzt. Nun besteht die Gefahr, dass generative KI für Text, Bild und Video, wodurch nicht menschliche Akteure Inhalte erzeugen, den Journalismus ersetzt. Aufgabe der Journalismusforschung wäre es, diese Entwicklungen kritisch zu begleiten.

Mit Partnerschaften in die Zukunft

Um den Kernherausforderungen von Beschleunigung, Autonomieverlust und drohender Substitution zu begegnen, wird es entscheidend sein, offenere Formen der Zusammenarbeit, neue Kooperationen und Allianzen für den Journalismus zu entwickeln – sowohl innerhalb der Branche als auch über ihre Grenzen hinaus. So besteht die Möglichkeit, Technologie zum Wohle des Journalismus auszugestalten.

Dabei ist an die gemeinschaftliche Entwicklung und Erprobung von Open-Source-Anwendungen (zum Beispiel offene KI-Modelle oder gemeinwohlorientierte Algorithmen), an das Teilen von Daten und Infrastruktur zwischen den Branchenakteuren zu denken. Zum Beispiel könnte ein Verbund von Verlagen eine gemeinsame Plattform für den Journalismus an den Markt bringen, ähnlich einem «Spotify für News», um mehr Unabhängigkeit von externen Technologieanbietern zu erlangen.[6] Würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk überall dort, wo journalistischer Mehrwert für die Bevölkerung entsteht, mit Infrastruktur helfen, könnte er dadurch ebenfalls zu einer dienenden Ausgestaltung von Technologie beitragen.[7]

Eine neue partnerschaftliche Beziehung zum Journalismus liesse sich für die Journalismusforschung durch einen transformativen Ansatz begründen.[8] Transformative Forschung beobachtet und beschreibt journalistische Veränderungsprozesse nicht nur wissenschaftlich, sondern stösst sie durch ein Zusammenwirken mit der Praxis aktiv an. Auf diese Weise wird die Journalismusforschung selbst zum Akteur des Wandels.

  1. Siehe Schreiber und Zimmermann (2014). Anmerkung: Der Beitrag fusst in Teilen auf der Antrittsvorlesung des Autors an der Technischen Universität Hamburg und Hamburg Media School am 11. Januar 2024. []
  2. Die einschlägige Forschung hat hierfür den Begriff des Shiny New Things Syndrome geprägt. Siehe Posetti (2018). Zu gegenwärtigen Problemen des Journalismus siehe Buschow (2020). []
  3. Siehe Wagner (2018). []
  4. Siehe Buschow (2020). []
  5. Siehe Arias-Robles et al. (2024). []
  6. Siehe Erbrich et al. (2024). []
  7. Siehe Dobusch (2023). []
  8. Siehe Buschow et al. (2024). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Christopher Buschow (2024). Wie Technologie den Journalismus umkrempelt. Die Volkswirtschaft, 05. März.