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«X könnte dieses Jahr von Threads überflügelt werden»

Die klassischen Medien sollten sich bei den sozialen Medien betreffend Bezahlmodelle etwas abschauen, sagt Siri Fischer, Expertin für digitale Medien. Tiktok etwa verdiene sehr viel Geld über virtuelle Münzen. Bei den textbasierten sozialen Medien rechnet sie dieses Jahr mit einer neuen Nummer eins.

«X könnte dieses Jahr von Threads überflügelt werden»

Siri Fischer im Co-Working-Space Resident in Zürich: «Für letztes Jahr haben wir geschätzt, dass 505 bis 620 Millionen Franken für Werbung nur in den sozialen Medien investiert wurden.» (Bild: Urs Bucher / Keystone)
Frau Fischer, Sie befassen sich ausschliesslich mit digitalen Medien in Ihrer Forschung. Haben Sie trotzdem ab und an Druckerschwärze an den Händen?

Ich bin wahrscheinlich nicht ganz die typische Mediennutzerin der Schweiz. Ich habe nämlich von praktisch allen Schweizer Medien ein Digitalabo. Einzig die Fachpresse habe ich gedruckt abonniert für die Arbeit, und den «Economist» bekomme ich privat als gedrucktes Magazin. Damit die Kinder auch ein bisschen internationale News mitbekommen.

Ihr Verein erhebt einmal im Jahr, wie die Schweizer Bevölkerung digitale Medien nutzt. Dazu zählen auch die sozialen Medien. Wie entwickeln sich diese?

Knapp drei Viertel der Bevölkerung ab 15 Jahren nutzen mindestens gelegentlich soziale Medien. Diese Zahl ist in den letzten drei Jahren stabil geblieben. Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist täglich auf Social-Media-Kanälen wie Instagram, Facebook, Linkedin, Tiktok und X.

Woran liegt es, dass der Bevölkerungsanteil, der soziale Medien gelegentlich nutzt, nicht weiter steigt?

Mit Corona gab es 2020 bei vielen digitalen Angeboten einen enormen Digitalisierungsschub. Die Zahl der Social-Media-Nutzer ist damals schweizweit um rund eine halbe Million gestiegen. Diese Leute, die 2020 die Welt von Social Media neu entdeckt haben, nutzen sie immer noch. Es fehlen jedoch die älteren Generationen, damit die sozialen Medien zu einem Massenmedium wie Fernsehen und Radio werden. Dort ist Social Media jedoch nicht am Wachsen und kann das Potenzial nicht ausschöpfen.

Letztes Jahr löste Instagram bei der Gesamtbevölkerung Facebook als meistgenutzte Social-Media-Plattform ab. Wie ist das bei den 15- bis 24-Jährigen?

Bei den Jüngeren ist Instagram bereits seit Jahren die Nummer eins. Da sind wir bei über 70 Prozent der Jungen, die das täglich nutzen. Auch Snapchat mit knapp 60 Prozent und Tiktok mit fast 40 Prozent sind sehr weit oben. Während Instagram wieder leicht sinkt, sind Tiktok, Linkedin und Snapchat auf dem aufsteigenden Ast.

Vor knapp eineinhalb Jahren hat Unternehmer Elon Musk Twitter gekauft und in X umbenannt. Was hat sich seither auf der Plattform getan?

Twitter ist ein Medienphänomen. In der breiten Bevölkerung war das nie eine wirklich relevante Plattform. Seit unserem Messbeginn 2014 bis heute haben nie mehr als rund 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung die Plattform genutzt. In den klassischen Medien wird die Plattform jedoch deutlich überproportional zitiert. Das liegt daran, dass Politiker und Journalistinnen auf X aktiv sind und X-Posts oft von Medienschaffenden in Artikel eingebaut werden.

Sind die Nutzerzahlen mit der Übernahme Musks gestiegen oder gesunken?

Im ersten Jahr nach der Übernahme, also 2023, sehen wir einen leichten Rückgang bei den X-Nutzerinnen und -Nutzern in der Schweiz. Zwar gab es keinen Totaleinbruch, aber X könnte dieses Jahr von der neuen textfokussierten Plattform Threads, die stark mit Instagram verknüpft ist, überflügelt werden.

Jede fünfte Frau und jeder vierte Mann nutzt Teletext mindestens einmal pro Woche.

In der Gesamtbevölkerung nutzen gut 90 Prozent das Massenmedium Fernsehen mindestens gelegentlich. Wie erklären Sie sich das?

Wir dürfen nicht vergessen, dass bei den Personen von über 15 Jahren der Altersmedian bei 50 Jahren liegt. Die Hälfte der Bevölkerung ist also über 50 Jahre alt. Diese Personen sind mit dem Fernsehen aufgewachsen. Zudem ist der Fernsehkonsum viel angenehmer geworden. Ich kann die Sendung stoppen, kann Werbung überspringen, und ich kann Sendungen aufnehmen. Und: Fernsehschauen ist nicht nur auf dem TV-Gerät möglich, sondern auch beispielsweise auf dem Smartphone.

Sind TV und Radio bei den Jungen abgeschrieben?

Nein, so kann man das nicht sagen. Nur bei der täglichen Nutzung sind TV und Radio deutlich weniger relevant als bei der Gesamtbevölkerung. Tatsache ist aber, dass diese Medien von den Jungen gezielt ein bis zwei Mal pro Woche konsumiert werden.

Apropos klassische Medien: Gemäss Ihrem Digitalmonitor nutzen heute noch knapp 750’000 Personen in der Schweiz täglich Teletext. Wie ist das möglich?

Tatsächlich hat Teletext fast gleich viele Nutzer wie etwa Netflix oder Instagram. Es ist ähnlich wie beim Fernsehen. Die Nutzerschaft des Teletextes ist mit 54 Jahren noch etwas älter als der Durchschnitt der Bevölkerung. Teletext hat auch mit Gewohnheit zu tun. Jede fünfte Frau und jeder vierte Mann nutzt Teletext mindestens einmal pro Woche. Für Sportinteressierte ist Teletext eine gute Quelle. In der langfristigen Analyse ist die Nutzung aber schon rückläufig. Dieses Jahr feiert Teletext das 40-jährige Bestehen.

Siri Fischer: «Die Verlage haben zwei Möglichkeiten, die Printabos zu kompensieren: Mehreinnahmen bei digitalen Abonnementen oder mehr Werbeeinnahmen. Beides ist schwierig.» (Bild: Urs Bucher / Keystone)
Drei Viertel der Schweizer Bevölkerung nutzen zumindest gelegentlich Schweizer Nachrichtenportale. Wie verbreitet sind Fake News?

Wir befragen die Schweizer Bevölkerung nach ihrer Mediennutzung. Ob sie konkret konfrontiert wird mit Fake News, erheben wir nicht. Aufgrund der vielen Medienbeobachtungen sehen wir jedoch, dass die Menge an Inhalten, bei denen nicht ein klassisches verifiziertes Medienhaus im Hintergrund steht, den grössten Anteil ausmacht. Es gibt sehr viele von Nutzern und Influencern gemachte Inhalte. Zu diesen sogenannten User-generated Contents kommen Inhalte dazu, die durch künstliche Intelligenz erstellt wurden. Das können reine Textbeiträge, Bilder oder Videos ab Text sein. Open AI hat kürzlich Sora lanciert, und die Videos sehen überraschend gut aus. Solche Inhalte werden in Zukunft massiv zunehmen. Und deswegen wird eine verlässliche Urheberschaft immer wichtiger.

Von den Menschen, die Nachrichtenportale nutzen, bezahlen 20 Prozent für ein Digital-Abo. Das entspricht rund 1’400’000 Abozahlenden. Steigt die Bereitschaft im digitalen Umfeld, für Nachrichten zu bezahlen?

Nein, dieser Anteil ist in den letzten zwei Jahren stabil geblieben. Bis jetzt sind vor allem Personen in Führungspositionen mit Interesse an Wirtschaft oder Politik, mit grösserem Einkommen oder mit höherer Bildung bereit, für ein Digital-Abo zu bezahlen. Gerade das Wachstum über diese Bevölkerungsgruppen hinaus stellt eine Herausforderung dar. Daher sind zum Beispiel Mediengutscheine, wie sie von Politikerinnen und Ökonomen für das Heranführen von jungen Erwachsenen an den bezahlpflichtigen Journalismus vorgeschlagen werden, sicherlich eine vertiefte Prüfung wert.

Der Content-Creator kann die Münzen dann bei Tiktok wieder gegen Geld umwandeln.

Eigentlich sollten die Medienverlage die sinkenden Einnahmen bei den Printabos mit digitalen Abos kompensieren können.

Die Verlage haben zwei Möglichkeiten, die Printabos zu kompensieren: Mehreinnahmen bei digitalen Abonnementen oder mehr Werbeeinnahmen. Beides ist schwierig. Insbesondere, weil Inhalte auf anderen Plattformen gratis zur Verfügung stehen. Unter wirtschaftlichem Druck setzen immer mehr Schweizer Newsplattformen auf bezahlte Angebote. Jüngstes Beispiel ist Blick.ch, das seit der Einführung seiner kostenpflichtigen Paywall «Blick+» im Sommer 2023 schon über 16’000 Abonnenten gewinnen konnte. Wir sind gespannt, ob wir in der diesjährigen Studie nach diesen Initiativen dann auch gesamthaft einen Anstieg von bezahlten Digital-News-Abos registrieren können.

Und der Werbemarkt?

Dieser ist einerseits wirtschaftlich bedingt unter Druck, und andererseits entziehen internationale Plattformen dem Schweizer Werbemarkt Gelder, die dann für journalistische Inhalte fehlen. Da könnten sich die klassischen Medien vielleicht bei den sozialen Medien etwas abschauen.

Wie meinen Sie das?

Bei Social Media gibt es Tendenzen für Bezahlmodelle. Instagram, Tiktok, Snapchat und Facebook haben ein Bezahlangebot lanciert, bei welchem der Nutzer anklickt, ob er Werbung erhalten will oder nicht. Das werbefreie Angebot von Instagram kostet seit Anfang März 12 Franken pro Monat. Solche Bezahlmodelle wurden vor allem wegen Datenschutzbestimmungen lanciert. Aber natürlich generieren diese zusätzliche Einnahmen. Für Tiktok ist jedoch ein anderes Modell die grösste Einnahmequelle, nämlich das Kaufen von Coins.

Wie funktioniert das?

Als Konsument kann ich Münzen kaufen, zum Beispiel für 30 Rappen, und diese schenke ich freiwillig einem Creator, also zum Beispiel jemandem, der ein hübsches Video gemacht hat. Die Münzen sind wie eine virtuelle Währung. Der Content-Creator kann die Münzen dann bei Tiktok wieder gegen Geld umwandeln. Dazwischen ist eine Marge. Damit verdient Tiktok weltweit sehr viel Geld, sogar mehr als mit Werbeeinnahmen. Kleinvieh macht eben auch viel Mist. Wenn 100 Millionen europäische Tiktok-User ein paar Rappen hin- und herschicken, ist das ein erfolgreiches Geschäftsmodell für die Social-Media-Plattform. Das ist ein Bereich, der den klassischen Medien auch Geld entzieht. Insbesondere die jüngeren Medienkonsumenten verfügen gerade über wenig Geld.

Wie reagieren die klassischen Medienhäuser auf die Bezahlmodelle der sozialen Medien?

Die Präsenz der klassischen Medien auf Social Media setzt zum Beispiel die NZZ mit Instagram gut um. Auch bei Soda, dem Instagram-Kanal von «Blick», gibt es gute Inhalte für Junge. Die Themenauswahl bei «Watson» spricht die Jungen an. Wie hier aber zusätzliche finanzielle Mittel oder direkt neue Abonnenten und Abonnentinnen generiert werden könnten, sehe ich nicht – abgesehen von gesponserten Beiträgen, bei denen ein Produkt oder eine Dienstleistung mehr oder weniger offensichtlich in einen Social-Media-Beitrag integriert wird. Der NZZ eine Münze schicken zu können, das wärs doch. Die Präsenz auf den Social-Media-Kanälen allein ist noch kein wirtschaftlicher Erfolg. Es fehlen den klassischen Medien die einfachen Bezahlmöglichkeiten, das könnten die erwähnten Münzen sein oder Preise für Einzelartikel.

Wie viele Werbegelder fliessen in die sozialen Medien in der Schweiz?

Bei den internationalen Plattformen verfügen wir nur über Schätzungen bezüglich der Werbeeinnahmen. Da existiert im Gegensatz zu den Schweizer Publishern keine Transparenz, wie viel Geld Firmen in der Schweiz für Werbung auf den digitalen Plattformen ausgeben. Für letztes Jahr haben wir in der Werbestatistik Schweiz geschätzt, dass 505 bis 620 Millionen Franken für Werbung nur in den sozialen Medien investiert werden. Youtube kommt zusätzlich auf 120 bis 145 Millionen Franken, und der grösste Betrag fliesst zu den Suchmaschinen – vor allem zu Google und etwas zu Bing. Das sind dann noch mal 1,1 bis 1,3 Milliarden Franken. Da sieht man, wo die Werbeeinnahmen, die unter anderem bei den Printmedien abfliessen, hingehen.

Wie viel Geld investieren die Firmen in die Printmedien?

Für die gesamte gedruckte Presse gaben Unternehmen 2022 in der Schweiz 735 Millionen Franken für Werbung aus. Nur schon vier Jahre zuvor betrugen die Werbeeinnahmen der Presse noch über eine Milliarde Franken.

Zitiervorschlag: Nicole Tesar (2024). «X könnte dieses Jahr von Threads überflügelt werden». Die Volkswirtschaft, 08. März.

Siri Fischer

Siri Fischer (49) ist seit 2017 Geschäftsführerin der Interessengemeinschaft elektronische Medien (Igem). Verlage wie TX Group, Ringier und CH Media sind Mitglied, aber auch Werbevermarkter, Mediaagenturen, Telekomunternehmen und Forschungsfirmen sind Teil des Vereins. Daneben ist die Medienwissenschaftlerin mit Fokus auf den Digitalwerbemarkt im Advisory Board der IAB Switzerland, in der Forschungskommission von Mediapulse, im Stiftungsrat der Werbestatistik Schweiz und im Vorstand des Dachverbands Kommunikation Schweiz (KS/CS).

Jüngere soziale Medien

Tiktok

Tiktok ist eine Videoplattform des chinesischen Unternehmens Bytedance, die wie eine Social-Media-Plattform funktioniert. Tiktok-Nutzer können Videoinhalte selber erstellen, teilen oder Videos von anderen Nutzern entdecken.

Snapchat

Snapchat ist eine Instant-Messaging-App. Die Hauptfunktion besteht darin, ein Foto oder ein Video aufzunehmen, Filter, Linsen oder andere Effekte hinzuzufügen und es zu teilen. Bilder und Nachrichten auf Snapchat sind in der Regel nur für eine kurze Zeit verfügbar, bevor sie verschwinden.

Threads

Der Kurznachrichtendienst Threads des Facebook-Konzerns Meta ist Mitte Dezember 2023 in der Schweiz gestartet. Threads ist eine textbasierte App für den sozialen Austausch, in der die Mitglieder Kommentare über sich selbst austauschen, aktuelle Ereignisse diskutieren und in einen Dialog treten können. Threads ist eng mit der Meta-Plattform Instagram verknüpft.