Der Unterhalt von Alpenstrassen ist teuer. Sie waren einer der ersten Gründe für Finanzausgleichszahlungen vom Bund an die Kantone. (Bild: Keystone)
Wer über den schweizerischen Finanzausgleich spricht, meint in der Regel die Ausgleichszahlungen zwischen den Kantonen. Dies hat wohl damit zu tun, dass die Geberkantone immer wieder öffentliche Kritik äussern, die von den Medien bereitwillig aufgenommen wird. Zuletzt hat sich der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker kritisch zum bestehenden Ausgleichssystem geäussert. Zürich sei die Milchkuh für alle, erklärte er im März 2023 an einer Pressekonferenz.[1]
Die Konzentration auf diese horizontalen Zahlungen zwischen den Kantonen im sogenannten Ressourcenausgleich ist jedoch zu eng. Zum einen blendet sie aus, dass der schweizerische Finanzausgleich aus mehreren Ausgleichsgefässen besteht. Neben dem Ressourcenausgleich, der rund drei Viertel des Finanzausgleichs ausmacht, gibt es auch einen Lastenausgleich für unverschuldete Kosten eines Kantons aufgrund der Bevölkerungsstruktur oder der Zentrumsfunktion sowie weitere temporäre Instrumente. Diese Instrumente und der Lastenausgleich werden vollumfänglich vom Bund finanziert. Zum anderen steuert der Bund auch im Ressourcenausgleich 60 Prozent bei. Alles zusammengerechnet, stemmt der Bund rund 70 Prozent der insgesamt 5,9 Milliarden Franken, die 2024 im Rahmen des Finanzausgleichs verteilt werden.
Ausgleich zwischen Kantonen eher neu
Zum anderen ist der Fokus auf die Zahlungen zwischen den Kantonen auch historisch gesehen verkürzt. Denn die Geschichte der vertikalen Transferzahlungen des Bundes an die Kantone ist deutlich älter. Sie begann bereits 1848 nach der Gründung des Bundesstaats. Der horizontale Finanzausgleich zwischen den Kantonen hat seine Anfänge hingegen erst nach dem Zweiten Weltkrieg und erhielt erst 1959 eine verfassungsmässige Grundlage. Der 1958 in einer Volksabstimmung angenommene Artikel[2] lautete: «Der Bund fördert den Finanzausgleich unter den Kantonen. Insbesondere ist bei der Gewährung von Bundesbeiträgen auf die Finanzkraft der Kantone und auf die Berggebiete angemessen Rücksicht zu nehmen.»
Dass die Zahlungen des Bundes an die Kantone viel älter sind, überrascht nicht. Denn die Gründer von 1848 sahen sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, nach einem Bürgerkrieg einen zukunftsfähigen Staat zu schaffen. Die sorgfältig austarierte institutionelle Struktur, die den Kantonen grosse Autonomie verlieh und ihnen im Ständerat eine direkte Vertretung auf Bundesebene einräumte, garantierte zwar ein Stück weit die gewünschte Stabilität. Dennoch war allen klar, dass das neue Staatswesen auch finanzpolitisch zusammengehalten werden musste. Und sobald es Geld zum Verteilen gibt, ist die Chance grösser, dass man sich zusammenrauft.
Am Anfang standen Post- und Zolleinnahmen
Alles begann damit, dass sich der Bund 1848 verpflichtete, einen Teil seiner Zoll- und Posteinnahmen an die Kantone auszuzahlen. Gerechtfertigt wurde dieser Transfer dadurch, dass diese beiden Steuerkategorien bis zur Gründung des Bundesstaats einen bedeutenden Teil der kantonalen Einnahmen ausgemacht hatten. Die Angelegenheit war so wichtig, dass der Verteilschlüssel bereits in der Bundesverfassung von 1848 und nicht erst auf Gesetzesstufe detailliert geregelt wurde. Der entsprechende Artikel[3] sah vor, wie viel jeder Kanton erhält: nämlich «4 Bazen auf den Kopf nach dem Massstab der Gesamtbevölkerung, welche nach der Volkszählung von 1838 berechnet wird». Und wenn dies nicht ausreichte, um das Niveau der kantonalen Einnahmen vor 1848 auszugleichen, musste der Bund zusätzliche Zahlungen an den jeweiligen Kanton ausrichten.
Die Bundesverfassung von 1874 enthielt diesen Ausgleich nicht mehr. Der Schock des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 hatte dazu geführt, dass der Bund zur Landesverteidigung mehr Kompetenzen und finanzielle Mittel erhielt. Entsprechend hielt die Verfassung fest: «Der Ertrag der Zölle fällt in die Bundeskasse. Die den Kantonen bisher bezahlten Entschädigungen für die losgekauften Zölle, Weg- und Brückengelder, Kaufhaus- und andern Gebühren dieser Art fallen weg.»[4]
Allerdings enthielt derselbe Artikel neue Zahlungen an einzelne Kantone, und wiederum ist kurios, dass diese Ausgaben auf Verfassungsstufe im Detail festgelegt wurden: «Ausnahmsweise erhalten die Kantone Uri, Graubünden, Tessin und Wallis, mit Rücksicht auf ihre internationalen Alpenstrassen, eine jährliche Entschädigung, welche, in Würdigung aller Verhältnisse, festgestellt wird.» Die Zahlungen waren bedeutend. Graubünden und das Tessin erhielten je 200’000 Franken, Uri 80’000 Franken und das Wallis 50’000 Franken. Ausserdem erhielten die Kantone Uri und Tessin eine jährliche Entschädigung von insgesamt 40’000 Franken «für die Besorgung des Schneebruches auf dem St. Gotthard», und zwar «so lange, als die Strasse über den Bergpass nicht durch eine Eisenbahn ersetzt sein wird». Zusammen machten diese Sonderausgaben rund 5 Prozent der gesamten Bundesausgaben von 1874 aus.
Föderalistischer «Beutezug»?
Konservative und föderalistisch gestimmte Bürger waren verärgert über den zunehmenden Mittelzufluss an den Bund. Nachdem 1891 das Initiativrecht in die Bundesverfassung aufgenommen worden war, reichten sie die Initiative «zur Abgabe eines Teils der Zolleinnahmen an die Kantone» ein. Die Verfassung sollte wie folgt ergänzt werden: «Der Bund hat den Kantonen vom Gesamtbetrag der Zölle alljährlich 2 Franken per Kopf nach Massgabe der durch die jeweilige letzte eidgenössische Volkszählung ermittelten Wohnbevölkerung zu verabfolgen.» Die Vorlage wurde jedoch 1894 an der Urne mit fast 70 Prozent der Stimmen abgelehnt. Der sogenannte Beutezug, wie der Vorstoss von der freisinnigen Parlamentsmehrheit polemisch betitelt wurde, scheiterte grandios.
Die Bundesverfassung von 1874 enthielt dennoch Bundesbeiträge, die allen Kantonen zugutekamen. So wurden etwa die Einnahmen aus der Militärpflichtersatzabgabe zur Hälfte an die Kantone weitergeleitet. Zwar handelte es sich nicht um eine hohe Summe, aber das Prinzip, dass bei jeder neuen Bundessteuer ein Teil der Einnahmen den Kantonen gehörte, war von da an fest etabliert. So erhielten die Kantone ab den späten 1880er-Jahren einen Teil der Alkoholsteuer. Während der beiden Weltkriege resultierten aus diesem Grundsatz hohe Transferzahlungen für die Kantone.
Erster horizontaler Ausgleich
In dieser Zeit kam es am Rande auch zu einem horizontalen Finanzausgleich zwischen den Kantonen. Der Bund zahlte ein Fünftel der Einnahmen aus den Stempelabgaben und der Couponsteuer, die 1917 und 1921 eingeführt wurden und die Kapitalbeschaffung sowie Kapitalerträge besteuerte, an die Kantone aus. Die Auszahlung erfolgte gemäss Einwohnerzahl und nicht gemäss Steueraufkommen, was de facto zu einer Umverteilung zwischen den Kantonen führt. Bei der Erhebung von direkten Steuern, die vom Bund seit 1915 zunächst unregelmässig und ab 1940 kontinuierlich erhoben wurden, war dies anders. Die Kantone erhielten einen bestimmten Anteil des Betrags, den sie zugunsten der Bundeskasse einnahmen: Reiche Kantone erhielten pro Kopf mehr als arme Kantone.
Bereits ab dem späten 19. Jahrhundert richtete der Bund zunehmend auch Subventionen aus, die dem vertikalen Finanzausgleich zugerechnet werden. Den Anfang dieser neuen Finanztransfers vom Bund an die Kantone machte der in der Bundesverfassung von 1874 erwähnte Zuschuss an die Bergkantone. Unterstützt wurden die Kantone beim Strassenbau, bei der Landwirtschaft, beim beruflichen Bildungswesen, bei der Primarschulbildung und dem Gesundheitswesen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts erreichten die Bundessubventionen etwa 10 Prozent der gesamten Kantonseinnahmen.
Sozialpolitischer Wertewandel
Dass nach dem Zweiten Weltkrieg auch der horizontale Finanzausgleich forciert wurde, hat mit einer neuen Bewertung von Ungleichheit zu tun. In der Sozialpolitik äusserte sich dieser Wertewandel in der hohen Zustimmung zum ersten AHV-Gesetz im Jahr 1947. Die am selben Abstimmungssonntag angenommenen Wirtschaftsartikel, welche das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft regelten, zeigten ein Umdenken in der Finanzpolitik an. Der Bund war fortan befugt, Vorschriften «zum Schutze wirtschaftlich bedrohter Landesteile» zu erlassen, «wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt».[5] Von da an war es nur ein kurzer Schritt zum einleitend zitierten finanzpolitischen Artikel von 1959, der zum ersten Mal den horizontalen Finanzausgleich explizit enthielt.
Doch die damalige Kombination von vertikalem und horizontalem Finanzausgleich verfehlte das Ziel, die Strukturunterschiede zwischen den Kantonen zu verringern. Deshalb begannen Bund und Kantone in den 1990er-Jahren eine Vorlage für einen neuen Finanzausgleich (NFA) auszuarbeiten. Er wurde im Jahr 2004 mit 64,4 Prozent deutlich vom Volk angenommen und ist seit 2008 in Kraft. Er gilt bis heute. Das neue System ist jedoch alles andere als perfekt, weswegen seit einigen Jahren immer wieder der Ruf nach einer Reform des Finanzausgleichs ertönt. Die Geschichte des schweizerischen Finanzausgleichs ist also noch längst nicht zu Ende geschrieben.
Literaturverzeichnis
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Rey, Alfred (2017). Finanzausgleich, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.07.2017 (konsultiert am: 12.03.2024).
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Weber, Max (1961). Der Finanzausgleich im schweizerischen Bundesstaat. Finanzarchiv, Neue Folge, Band 21, Heft 1, S. 71–85.
Bibliographie
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Rey, Alfred (2017). Finanzausgleich, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.07.2017 (konsultiert am: 12.03.2024).
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Weber, Max (1961). Der Finanzausgleich im schweizerischen Bundesstaat. Finanzarchiv, Neue Folge, Band 21, Heft 1, S. 71–85.
Zitiervorschlag: Straumann, Tobias (2024). Der Finanzausgleich: Lange Geschichte – kurz erklärt. Die Volkswirtschaft, 16. April.