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Die unterschiedlichen Gesichter der Nichterwerbstätigkeit

Immer mehr Menschen in der Schweiz sind erwerbstätig. Umso vielfältiger sind die Gründe, warum manche es nicht sind.
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Wieder mehr im Büro statt im Sandkasten: Die Familie verliert als Grund, nicht erwerbstätig zu sein, in der Schweiz an Bedeutung. (Bild: Keystone)

Es fällt international auf: In der Schweiz gibt es vergleichsweise wenige Personen, die nicht erwerbstätig sind. Das zeigt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, siehe Kasten). Im Jahr 2019 waren es 15% aller Personen im Alter zwischen 15 und 64.[1] Nur Schweden und Island wiesen mit 14% respektive 13% leicht geringere Anteile aus (siehe Abbildung 1). Rund doppelt so hoch lagen die entsprechenden Anteile in Spanien, Italien und Griechenland.

Die Gründe, nicht erwerbstätig zu sein, sind vielfältig: Krankheit oder Invalidität, familiäre Verpflichtungen wie die Kinderbetreuung, (Früh-)Pensionierungen oder eine vorübergehende Erwerbslosigkeit. In der Schweiz sind 4,0% erwerbslos und auf Stellensuche – damit liegt sie im Mittelfeld der 26 betrachteten OECD-Staaten. Eine Nichterwerbstätigkeit aufgrund von Krankheit oder Invalidität (4,4%), von familiären Verpflichtungen (4,3%) und von (Früh-)Pensionierungen (2,7%) ist in der Schweiz dagegen deutlich seltener als im Durchschnitt der Vergleichsländer.

Abb. 1: Vier Gründe, nicht erwerbstätig zu sein (2019, in Prozent aller Personen im Alter zwischen 15 und 64)

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Quelle: Georgieff, A. (2024). Faces of Joblessness in Switzerland: A People-centred Perspective on Employment Barriers and Policies, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 306, OECD Publishing / Darstellung Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) / Die Volkswirtschaft

Bedeutung von familiären Verpflichtungen und Frühpensionierungen nimmt ab

Ähnlich ausgewogen verteilt wie in der Schweiz sind die Gründe für die Nichterwerbstätigkeit beispielsweise in Deutschland, Grossbritannien, Belgien, in den baltischen Staaten oder in den USA. Die prozentualen Anteile der Gründe sind in diesen Ländern jedoch meist etwas höher. Auffällig ist: In Irland, Mexiko, Spanien, Italien und Griechenland haben familiäre Verpflichtungen eine deutlich grössere Bedeutung. Slowenien, Österreich und Luxemburg haben hingegen einen hohen Anteil an (Früh-)Pensionierten. In den meisten nordischen Ländern wiederum spielen Krankheit oder Invalidität eine wichtige Rolle, nicht erwerbstätig zu sein, wohingegen familiäre Verpflichtungen und auch Frühpensionierungen weniger relevant erscheinen.

Seit Anfang der 2000er-Jahre haben in den meisten OECD-Ländern familiäre Verpflichtungen und (Früh-)Pensionierungen wie in der Schweiz als Grund für Nichterwerbstätigkeit an Bedeutung verloren. Dafür gewannen Krankheit und Invalidität in rund der Hälfte der untersuchten Länder leicht an Bedeutung. Die Zahlen der OECD bestätigen insgesamt, dass die Schweizer Bevölkerung im Erwerbsalter im internationalen Vergleich sehr gut im Arbeitsmarkt integriert ist und dass sich diese Integration – ausgehend von einem bereits sehr hohen Stand im Jahr 2000 – weiter verbessert hat.

Ebenfalls analysiert hat die OECD, wie umfassend und wie stabil die Bevölkerung im Erwerbsalter im Arbeitsmarkt integriert ist. Dabei zeigt sich, dass in der Schweiz 2019 nur 12% der 16- bis 64-Jährigen über ein ganzes Jahr betrachtet nie erwerbstätig waren (siehe Abbildung 2). Nur die Niederlande, Estland, Dänemark, Norwegen und Schweden erreichen einen ähnlich tiefen Wert.

Demgegenüber wies die Schweiz im europäischen Quervergleich mit 12,5% den höchsten Anteil von Personen mit geringer Arbeitsmarktbindung auf. Darunter fallen Personen, die weniger als die Hälfte des Jahres erwerbstätig waren (in der Schweiz 8,5%), ein Arbeitspensum von 20 oder weniger Stunden pro Woche leisten (3,4%), oder Personen, die praktisch ohne Entgelt gearbeitet haben (0,6%). Ähnlich hoch wie in der Schweiz liegt der Anteil an Personen mit geringer Arbeitsmarktbindung in Irland, leicht niedriger in Deutschland, den Niederlanden, Spanien, Belgien und Finnland mit je rund 10%.

Abb. 2: Geringe Arbeitsmarktbindung in der Schweiz häufiger (2019, prozentualer Anteil aller Personen im Alter zwischen 16 und 64)

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Anmerkung: Personen mit geringer Arbeitsmarktbindung sind weniger als die Hälfte des Jahres erwerbstätig, leisten ein Arbeitspensum von 20 oder weniger Stunden pro Woche oder arbeiten praktisch ohne Entgelt. Personen ohne Arbeitsmarktbindung sind nicht erwerbstätig.
Quelle: Georgieff, A. (2024). Faces of Joblessness in Switzerland: A People-centred Perspective on Employment Barriers and Policies, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 306, OECD Publishing / Die Volkswirtschaft

Weniger Nichterwerbstätige mit hohem Bildungsniveau

Bezüglich Geschlechter zeigt sich, dass Frauen gegenüber Männern in der Schweiz sowohl in der Gruppe ohne Erwerbstätigkeit (17% vs. 7%) als auch in jener mit geringer Arbeitsmarktbindung (18% vs. 7%) deutlich übervertreten sind. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass Frauen besonders in Familienhaushalten mehr Haushalts- und Kinderbetreuungsaufgaben übernehmen.

Bezogen auf die Altersgruppen ist bei den 55- bis 64‑Jährigen der Anteil Nichterwerbstätiger aufgrund von (Früh‑)Pensionierungen höher als bei jüngeren. Demgegenüber kommt eine geringe Arbeitsmarktbindung bei Älteren im Vergleich zu Jüngeren nicht wesentlich häufiger vor.

Relevante Unterschiede zeigen sich auch nach Bildungsniveau, wobei sowohl eine Nichterwerbstätigkeit als auch eine geringe Arbeitsmarktbindung mit steigendem Bildungsniveau seltener vorkommen. Letzteres spiegelt sich indirekt auch darin, dass Personen aus Nicht-EU-Staaten, die eher ein tiefes Bildungsniveau aufweisen, deutlich häufiger nicht oder nur schwach im Arbeitsmarkt eingebunden sind als Personen aus der Schweiz und den Staaten der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta).

Hemmnisse, einer Arbeit nachzugehen

Die Analyse der OECD ging auch der Frage nach, was Menschen daran hindert, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dabei lagen die folgenden sechs potenziellen Hemmnisse am häufigsten vor: keine kürzlich erworbene Erwerbserfahrung (75%), ein hohes Partner- oder Nichterwerbseinkommen (30%), familiäre Betreuungsaufgaben (22%), eine geringe berufliche Qualifikation (22%), ein tiefes Bildungsniveau (19%) und gesundheitliche Beeinträchtigungen (18%).

Bei Personen mit geringer Arbeitsmarktbindung wurden die folgenden sechs Hemmnisse am häufigsten identifiziert: ein hohes Partner- oder Nichterwerbseinkommen (31%), ein tiefes Bildungsniveau (14%), geringe berufliche Qualifikationen (12%), eine erfolglose Jobsuche (12%), eine relativ grosszügige soziale Absicherung (8%) und gesundheitliche Beeinträchtigungen (7%).

Die Vielfalt der Hemmnisse spricht dafür, dass auf unterschiedlichen Ebenen angesetzt werden muss, um mehr Personen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu gehören Investitionen in die Aus- und Weiterbildung, Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf genauso wie positive Arbeitsanreize im Steuersystem und bei der sozialen Sicherung. In der Arbeitsmarktpolitik braucht es unter anderem Arbeitsmarktinstitutionen, welche die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und Arbeitnehmenden unterstützen, und präventive Massnahmen, um Unfälle zu vermeiden und die Gesundheit bei der Arbeit zu erhalten.

  1. Personen in Aus- oder Weiterbildung und Teilzeiterwerbstätige werden hier mit zu den Erwerbstätigen gezählt. []

Zitiervorschlag: Weber, Bernhard (2024). Die unterschiedlichen Gesichter der Nichterwerbstätigkeit. Die Volkswirtschaft, 23. April.

OECD-Studie zum Arbeitsmarkt

Die OECD hat im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ihren Ansatz der «Faces of Joblessness» auf die Schweiz übertragen. Als Datenquellen wurde einerseits die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (Sake) und andererseits die Erhebung über die Einkommen und Lebensbedingungen (EU-Silc) jeweils aus dem Vorpandemiejahr 2019 verwendet. Dies ermöglicht einen internationalen Vergleich der Nichterwerbslosigkeit und vertiefende Analysen für die Schweiz. Die vollständige Studie findet sich unter diesem Link.